Köln-Humboldt-Gremberg – Grundsätzlich sind alle Aspekte des Lebens bedeutender Zeitgenossen für den Geschichtswissenschaftler von Interesse. Das betrifft auch den Alltag und sogar die Gegenstände, das Mobiliar, mit dem sich die Person umgab. So veröffentlichte beispielsweise Hans-Peter Schwarz Anfang der 90er Jahre im Geschichtsmagazin „MobilarDamals“ einen Aufsatz unter der Überschrift „Adenauers Schreibtische“. Was schon deshalb Sinn machte, weil Konrad Adenauer vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister in der Kölner Stadtverwaltung tätig war. Man darf also davon ausgehen, dass Schreibtische in seinem Berufsleben von Beginn an eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielten.
Aufsatz über wuchtige Möbelstücke in Adenauers Besitz
„Design der Macht“ lautet das Schlagwort über dem Aufsatz, und Schwarz beschreibt die unterschiedlichsten Stücke: Den wuchtigen Schreibtisch des jungen Oberbürgermeisters aus den 20er Jahren, das neuromanische Möbel aus der Klosterzelle von Maria Laach, wo Adenauer als „Bruder Konrad“ vorübergehend Zuflucht vor den Nationalsozialisten gesucht hatte. Auch das Chippendale-Exemplar aus dem Palais Schaumburg oder den Schreibtisch mit „Myrthe-Maser-Furnier“, den er 1954 beim Honnefer Tischlermeister Jakob Walkembach für sein Rhöndorfer Arbeitszimmer bestellte.
Schreiner aus Viersen soll Duplikat hergestellt haben
Hartmut Welters hat den Artikel genau durchgelesen, auch die beigefügten Fotos studiert: nix dabei. Welters sucht nach dem Original eines „Adenauer-Schreibtischs“, dessen Duplikat seit Jahrzehnten im Besitz seiner Familie ist. So wenigstens besagt es die Familien-Legende. „Mein Großonkel mütterlicherseits, ein Schreiner aus Viersen namens Bax, soll in den 20er Jahren einen Schreibtisch und einen Bücherschrank für das private Arbeitszimmer von Adenauer angefertigt haben“, erzählt Welters. „Dabei hat er wohl gleich eine 1:1-Kopie für seine Familie hergestellt. Diese Geschichte war bei Gesprächen im Kreis der Familie häufig zu hören. Aufzeichnungen darüber gibt es aber leider nicht.“
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Zeugen, die Genaueres wissen könnten, gebe es in der Familie nicht mehr, erzählt der 62-Jährige, der seit 1993 in Humboldt-Gremberg lebt, demselben Jahr, in dem er den Schreibtisch von seiner Großmutter erbte. Von dem Bruder des Großvaters, jenem Schreiner Bax, der bereits 1969 starb, habe er nur ein vages Bild im Kopf, erzählt Welters, der aus Erkelenz stammt. Man habe sich nur selten getroffen, bei größeren Familienfesten etwa, er erinnere sich nicht einmal an den Vornamen des Großonkels.
Stiftung in Rhöndorf hat keine Kenntnisse
Nachdenklich blickt Hartmut Welters zu dem im klassizistischen Stil gehaltenen Schreibtisch aus Kirschholz, den seine Frau bis vor wenigen Jahren noch für berufliche Zwecke genutzt hat. Es sei schon erstaunlich, dass Adenauer ausgerechnet einen Schreiner aus Viersen beauftragt haben soll. Auch bei der in Rhöndorf ansässigen Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus weiß man nichts von einer solchen Verbindung: „Konrad Adenauer hatte keine Verwandtschaftsbeziehungen an den Niederrhein“, teilt Holger Löttel, Mitarbeiter der Stiftung, auf Nachfrage mit. Andererseits: Weshalb sollten ein Schreiner aus Viersen und seine Familie eine so unwahrscheinliche Geschichte frei erfinden?, fragt sich Welters, Professor an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen und Mitinhaber eines Büros für Stadtplanung in Dortmund.
Kein Foto von Lindenthaler Schreibtisch
Eine Spur immerhin ist im Aufsatz von Hans-Peter Schwarz zu entdecken. Dort ist von einem privaten Schreibtisch in der „geschmackvoll eingerichteten Villa in der Max-Bruch-Straße“ in Lindenthal die Rede, die Adenauer in den 20er Jahren bewohnte. Von diesem Schreibtisch sei jedoch „bisher kein Foto aufgetaucht“, heißt es weiter. „Es gibt zwar ein paar Fotos von der Einrichtung des Hauses, das Arbeitszimmer wird aber nicht darauf gezeigt“, bestätigt Melanie Eckert von der Adenauer-Stiftung. Im privaten Nachlass, der in Rhöndorf lagert, sei auch kein Beleg für die Viersener Geschichte zu finden. Das sei allerdings nicht verwunderlich: Zwar habe Konrad Adenauer 1935 private Unterlagen mit nach Rhöndorf gebracht, doch diese seien „leider sehr spärlich. Zum einen konnte er nicht alles mitbringen, zum anderen hat die Gestapo bei einer Durchsuchung einiges verbrannt.“
Schäl Sick=Sibirien
Auch, dass sich die Mitglieder der Familie Adenauer bei der Vorlage eines Fotos des Schreibtischs nicht an das Möbel erinnern konnten, ist angesichts des zeitlichen Abstands wenig aussagekräftig. Nun muss Hartmut Welters weiter auf handfeste Beweise für seine Familien-Legende warten. Und die Frage verdrängen, ob es Konrad Adenauer überhaupt gefallen hätte, wenn einer seiner Schreibtische – wenn auch nur als Duplikat – im rechtsrheinischen Köln stünde. Für den Altkanzler begann mit der Schäl Sick bekanntlich schon Sibirien.