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Interview zur schwul-lesbischen BewegungCome-Together-Cup-Initiator sieht Zeitenwende

Lesezeit 5 Minuten
Rheinenergiestadion

Das Rheinenergiestadion wurde zum Deutschlandspiel erleuchtet.

  1. Seit dem EM-Spiel gegen Ungarn sind die Regenbogenfarben für Toleranz allgegenwärtig.
  2. Am Samstag findet der 27. Come-Together-Cup für Vielfalt statt.
  3. Mit Initiator Andreas Stiene (56) sprach Jens Meifert.

KölnHerr Stiene, wie fühlt sich diese Woche an für jemanden, der seit mehr als einem Vierteljahrhundert für die Akzeptanz von Homosexuellen auch im Fußball streitet?

Es ist wie eine Zeitenwende. Ich bin positiv überrascht und begeistert, in welcher Breite das Thema unterstützt wird. Die StattGarde Colonja Ahoi hat unter anderem mit uns in Köln angeregt, das Stadion in Regenbogenfarben anzustrahlen, das ist in ganz vielen Städten passiert, das war großartig. Diese Dynamik ist der Wahnsinn.

Hat die UEFA mit der Entscheidung, die Münchener Stadionbeleuchtung nicht zu genehmigen, eine Steilvorlage für die Bewegung geliefert?

Absolut. Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können. Im Grunde wollte die UEFA die Leute erziehen und ihre überkommene Haltung durchdrücken, sich politisch nicht zu äußern. Und damit haben sie ein klassisches Eigentor geschossen. Sie hätten uns nicht kraftvoller unterstützen können.

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Andreas Stiene

Frankreichs Superstar Antoine Griezmann trägt die Regenbogenfarben im Profilbild, es gibt entsprechende Labello-Stifte, die KVB schicken die bunten Bahnen los und witzeln über die Uefa: Es ist fast komisch.

Aber das ist ja das Gute. Man tritt für den Regenbogen ein und für Vielfalt – auf eine lockere und selbstverständliche Art. Wir versuchen, uns auch beim Come-Together-Cup nicht zu ernst zu nehmen. Beim Promispaß-Kick spielen wir mit den Klischees. Wenn es etwas zu Lachen gibt, ist das immer gut, ab und an auch beim ernsten Fußball.

Im Münchener Stadion gab es die hässliche Seite zu sehen: Homophobe Sprechchöre von rechten Fan-Gruppen.

Das sind Extrempositionen. Ich bin auch, was die Entwicklung in den Stadien angeht, optimistisch. Inzwischen hat fast jeder Bundesliga-Verein einen queeren Fan-Club. Als wir angefangen haben 2007 mit dem FC-Fan-Club Andersrum Rut-Wiess (erster schwul-lesbischer Fan-Club/Anm. d. Red.) war das noch ganz anders. Heute sind wir anerkannt, und es gab mit einem anderen Fan-Club schon mal eine Zusammenarbeit im sozialen Fanprojekt. In Köln ist das vielleicht einfacher. Die Toleranz ist hier größer, das heißt aber nicht, dass hier alles toll ist. Ich denke, dass die Gesellschaft, insbesondere viele junge Leute, inzwischen viel weiter sind und Toleranz in die Stadien trägt.

Zur Person

Vor knapp 30 Jahren hat Andreas Stiene (56) seinen Dienst als Kriminalkommissar bei der Polizei in Essen quittiert. Er outete sich als schwul und zog nach Köln, wo er den Come-Together-Cup initiierte.

Das Fußball-Fest für Toleranz und Vielfalt findet an diesem Samstag von 11 bis 20 Uhr zum 27. Mal statt. Das Turnier (es gibt inzwischen Ableger unter anderem auf Schalke) unterstützt Initiativen der queeren Bewegung. Aufgrund der Corona-Krise kann auch in diesem Jahr nur ein reduziertes Programm stattfinden. Das Prominenten-Spiel beginnt um 14 Uhr, ab 17.45 Uhr spielen Cat Ballou. Vorab ist die Buchung eines kostenfreien Online-Tickets erforderlich. (mft)

www.come-together-cup.de

Der frühere Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der sich nach seiner Karriere geoutet hat, sagt: Toleranz ist schön, aber Akzeptanz ist die nächste Stufe. Stehen wir gerade an dieser Stufe?

Ich hoffe. Ich war immer auf der Suche nach solidarischen Verbündeten. Menschen wie Jürgen Roters (früherer Oberbürgermeister, Anm. d. Red.) oder Elfi Scho-Antwerpes (frühere Bürgermeisterin, Anm. d. Red.) die haben uns immer unterstützt, obwohl sie selber nicht schwul oder lesbisch sind. Überall da, wo es persönliche Beziehungen gibt, verschwinden Vorbehalte und Barrieren. Und ich glaube, das ist auf dem Weg. Das ist übrigens genau das Konzept des Come-Together-Cup: Einfach Miteinander.

Könnte die Regenbogenfarbe zu einem kurzzeitigen Werbegag verkommen?

Natürlich gibt es Effekte in die Richtung, manche entdecken das jetzt als schickes Thema. Aber: Alles was ernst gemeint ist, ist gut und richtig. Und davon erleben wir derzeit viel.

Was haben Sie gedacht, als Leon Goretzka nach seinem Tor das Herz geformt hat vor der Tribüne der Ungarn-Fans?

Leon Goretzka ist ein ganz besonderer Spieler. Eine wahnsinnig schöne Szene.

Er kommt wie Sie aus dem Ruhrpott. Sie haben früher Landesliga gespielt. „Schwule Sau“ war damals ein normaler Fluch auf dem Platz. Niemand hat gezuckt ...

.. ich habe schon gezuckt ...

.. aber sonst nicht viele. Ist das heute anders?

Schwer zu sagen. Ich kenne jemanden, der sich geoutet hat als Spieler, und es ist gut gelaufen. Ich kenne aber auch jemanden, der stand plötzlich alleine unter der Dusche. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Die Belastung, das zu verbergen, ist enorm. Als ich es gesagt habe, bin ich nach Köln gegangen und habe nur noch freizeitmäßig gekickt. Aber ich bin fußballerisch hier viel besser geworden. Ich war wie befreit.

Bräuchte es nicht auch auf den Amateurplätzen Regenbogenfarben?

Das vielleicht nicht, aber es gibt einige vielversprechende Ansätze für mehr Vielfalt im Fußball, auch zum Beispiel beim hiesigen Fußball-Verband Mittelrhein.

Wann outet sich der erste aktive Profi?

In den nächsten fünf Jahren, aber das sage ich schon seit Jahren (lacht). Ich glaube, wenn es jemand ist, der ohnehin sehr positiv wahrgenommen wird, dann ist es einfacher und wird für alle besser laufen. Es braucht dazu eine große innere Stärke, einen starken familiären Rückhalt. Es geht aber auch gar nicht darum, dass das jetzt endlich jemand macht. Es sollte sich keiner getrieben fühlen. Irgendwann wird sich einer trauen.