AboAbonnieren

Interview ZDK-Präsident„Wir reden hier ja nicht über ein Fußballspiel“

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Thomas Sternberg.

  1. Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Thomas Sternberg, verteidigt die Präsenzgottesdienste an den Feiertagen: Kirchen seien keine Hotspots.
  2. Er selbst feiere die Osternacht dieses Jahr allerdings nicht in der Kirche.

Herr Sternberg, wie feiern Sie in diesem Jahr Ostern?

Thomas Sternberg: So sehr ich mich für Präsenzgottesdienste einsetze, werde ich in diesem Jahr selbst nicht die Osternacht in der Kirche feiern. Wir wollen Familienmitglieder nicht gefährden. Leider kommen pandemiebedingt nicht alle Kinder, aber meine Tochter, mein Schwiegersohn und die Enkel werden bei uns zu Hause sein. Die anderen werden in der Osternacht per Video zugeschaltet, und wir machen einen Hausgottesdienst mit Lesungen, Kerzen und Wasser, nur ohne Eucharistiefeier.

Die Kirchen schienen etwas angefasst zu reagieren, als die Bitte im Raum stand, auf Präsenzgottesdienste zu verzichten. Darf man christliche Kirchen in dieser Gesellschaft nicht um etwas bitten?

Natürlich darf man die christlichen Kirchen darum bitten. Und im vergangenen Jahr sind ja auch die Ostergottesdienste ausgefallen. Aber wissen Sie: Es fliegen gerade Hunderte Flugzeuge nach Mallorca, in denen Leute dicht nebeneinandersitzen. Gleichzeitig sind die katholischen und evangelischen Gottesdienste keine Hotspots. Da verstehe ich nicht, warum sie mit strengen Regeln und großen Abständen nicht möglich sein sollen. Das Osterfest ist keines, das nur digital oder in der Aufzeichnung stattfindet – es findet in Liturgien statt, in den wichtigsten Liturgien der Christenheit. Wir reden hier ja nicht über ein Fußballspiel oder ein Volksfest. Es geht darum, warum es diese vier Tage zwischen Gründonnerstag und Ostern gibt.

Ist die Kirche hinreichend sichtbar in der Pandemie? Es geht oft um Formales wie Gottesdienstverbote, aber wo ist die ethische, seelsorgerische Dimension?

Diese Frage treibt mich am meisten um. Ich habe den Eindruck, dass wir als Kirche gerade vorrangig als Gruppe in der Gesellschaft verstanden werden, die für sich ihre Gottesdienste feiern will. Dabei passiert doch auch viel in unseren Gemeinden und Gemeinschaften, und das nicht nur für uns selbst. Nachbarschaftshilfe zum Beispiel, Telefonseelsorge und anderes mehr. Auch in der Pandemie setzen wir uns für besonders betroffene Gruppen ein – etwa Kinder aus bildungsfernen Familien.

Zu fundamentalen Fragen hat man häufig die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, gehört. Führende Kirchenvertreter weniger. Warum?

Das ist gerade die spannende Frage: In all den Tagesschau- und Heute-Sondersendungen fragt man zwar Virologen, Physiker, Soziologen – aber nicht die Kirchen. Traut man uns da keine wichtige Position zu? Die Kirchen haben sich zwar auf vielen Ebenen geäußert, kommen aber nicht vor. Ich habe die große Befürchtung, dass wir mittlerweile als Sondergruppen ohne Bedeutung für die Allgemeinheit wahrgenommen werden. Wir erleben gerade Ängste, Sorgen, Einsamkeit von Tausenden Menschen. Da frage ich mich: Wie reagiert die Kirche darauf, aber auch ich als einzelner Christ? Wie können wir Ansprechpartner sein? Ich glaube, wir müssen über den Synodalen Weg für Reformen werben, für eine offene Kirche, damit die Menschen das mit Kirche verbinden können, was nicht nur ich damit verbinde.

Hat die Kirche ihre frühere Bedeutung nicht in wesentlichen Teilen selbst verspielt, etwa durch Vorgänge wie in Köln?

Gerade weil das Geschehen dort so wichtig, so erschreckend und bedauerlich ist, müssen wir uns selbst und die Welt immer wieder daran erinnern, dass Kirche mehr ist als der Missbrauchsskandal.

Der Vatikan hält Segnungen homosexueller Paare für nicht möglich – ein weiterer Rückschlag für den Synodalen Weg nach Zwischenrufen zum Zölibat und zu Laien als Gemeindeleiter. Kann man den Reformprozess nicht auch gleich absagen, wenn Rom ein Thema nach dem nächsten abräumt?

Richtig ist, dass aus Rom gerade erstaunlich scharfe Auslegungen des Katechismus“ und der Gesetze kommen. Nur: Ich brauche keine Reformen anzugehen, wenn ich davon ausgehe, dass alles, was dort steht, richtig wäre. Ich glaube, wir müssen deutlich machen, dass es beim Synodalen Weg unterschiedliche Beschlüsse geben wird: Solche, die in Deutschland umgesetzt werden können, und solche, die von unserer Weltkirche akzeptiert werden müssen – nicht nur von Rom.

In einer aktuellen YouGov-Studie heißt es, 82 Prozent der Deutschen seien der Meinung, die katholische Kirche habe innerhalb der letzten Monate an Glaubwürdigkeit verloren. In Köln treten Tausende aus. Erodiert die Kirche, bis irgendwann nichts mehr übrig ist?

Ich habe den Eindruck, dass das Desaster im Erzbistum Köln zu Unrecht auf die übrigen Bistümer ausstrahlt. Die Austrittszahlen sind insgesamt alarmierend, denn wir wissen aus Studien: Wer einmal austritt, kommt zumeist nicht wieder. In Köln hängt die Verärgerung ja auch nicht nur damit zusammen, dass ein Rechtsgutachten nicht veröffentlicht wurde. Da geht es um einen Pastoralplan, der gigantische Seelsorgeeinheiten vorsieht, um Entscheidungen über die Köpfe der Gemeinden hinweg, um Ärger im Hochschulbereich. Ich habe den Eindruck, dass die Öffentlichkeit jetzt einen spektakulären Rücktritt erwartet. Aber der würde noch nicht die zugrunde liegenden Probleme lösen. Wenn sich die Lage in Köln beruhigt hat, werden vermutlich anderswo neue auftreten.

Sie haben den Bußgottesdienst des Osnabrücker Bischofs als eindrucksvoll bezeichnet. Franz-Josef Bode hat jedoch zum Beispiel auch einen Täter in den Ruhestand versetzt und dann dessen Auflagen nicht mehr kontrolliert. Wie beurteilen Sie das?

Ich weigere mich, auf Zuruf den Stab über Personen zu brechen, ohne die Materie sehr genau zu kennen.

Aber Sie loben diesen Bischof ja auch. Müsste man dazu nicht über ein vollständiges Bild verfügen?

Wenn ich da etwas gelobt habe, dann aufgrund eines konkreten Tatbestandes, den ich kenne.

Konkretes Beispiel: Bischof Bode hat einen Missbrauchstäter in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Dort sollte er keinen Kontakt mehr zu Kindern haben. Das hat das Bistum nicht kontrolliert, und er wurde in einer neuen Gemeinde weiterbeschäftigt, hat im Pfarrteam mitgearbeitet. Dafür hat sich der Bischof entschuldigt.

Wie perfekt kann die Kontrolle eines Priesters sein, den das Bistum bereits in den vorzeitgien Ruhestand geschickt hat, mit guten Gründen? Die aus einzelnen Fällen resultierenden Folgen sind komplex. Gut, dass sich Bischof Bode auch da verantwortlich gezeigt hat. Ich halte ihn für einen unverzichtbaren Mann, der beim Synodalen Weg die Ursachen von Fehlentwicklungen bearbeitet.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zum Rücktrittsangebot des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße hat nun ein Gutachten geführt. Braucht es nicht endlich nationale Kirchengerichte, damit Verstöße gegen Kirchenrecht auf nationaler Ebene verhandelt werden können?

Das ist schon vor mehr als 40 Jahren gefordert worden. Mittlerweile hat die Bischofskonferenz die Einrichtung beschlossen. Es gibt jetzt eine Vorlage dafür - die liegt aber mal wieder in Rom. Es ist ärgerlich, dass wir immer noch auf eine Antwort warten. Ich gehe davon aus, dass wir im laufenden Jahr diese Verwaltungsgerichtsbarkeit einrichten können. Wenn nicht, würde das das Verhältnis der deutschen katholischen Kirche zum Vatikan belasten.

Wir haben über Kirchenpolitik und Probleme gesprochen – was erfreut Sie in diesen Tagen in der Kirche?

Wenn ich in Südamerika, in Korea oder hier in Deutschland in der Osternacht in der Kirche sitze oder online diesen Gottesdienst verfolge, erklingt das dreimalige Lumen Christi in einer Liturgie, die auch meine Osterliturgie ist. Wenn ich das höre, weiß ich wieder, warum ich in dieser Kirche zuhause bin.