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FC-Fan im StimmungstiefJedes Spiel des 1. FC Köln besucht – dann kam Corona

Lesezeit 4 Minuten
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„Das ist kein Fußball. Die Atmosphäre wirkt surreal“, sagt Gerd Jany.

  1. Gerd Jany ist seit Jahren ständiger Begleiter des 1. FC Köln.
  2. Die Pandemie hat ihn ausgebremst.
  3. Ein Besuch.

Köln – Dafür, dass Gerd Jany (60) auf Entzug ist, wirkt er erstaunlich ausgeglichen. Die Fahne seines 1. FC Köln hängt ordentlich im Vorgarten am Mast, ein silberner Geißbock baumelt als Kette locker um seinen Hals. „Aber die vergangenen Wochen haben Wirkung hinterlassen. Normalerweise fahren wir alles“, sagt er. Alles heißt wirklich alles. Jedes Spiel des FC, egal ob daheim oder auswärts. Seit mehr als zehn Jahren. Und jetzt muss er die Spiele vor dem Fernseher verfolgen. „Eine Katastrophe“, urteilt der Fan.

Der Stammplatz von Gerd Jany befindet sich normalerweise im Oberrang Süd, Block 12, Reihe 1, Platz 18, direkt hinter dem Tor. Er überlegt sehr lange, wann sein Platz letztmals leer blieb. Aber es fällt ihm nicht ein. Auswärts ist das was anderes. Im Oktober 2017 brach der FC im Europapokal zur Exkursion nach Weißrussland auf, um bei Bate Borrisow zu spielen. Jany hatte sich sogar eine Karte besorgt, doch sein Job bei den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB), wo er seit 33 Jahren in der Energietechnik arbeitet, hatte dieses Mal Vorrang. „Meine ganze Familie ist FC“, sagt er zufrieden. Abgesehen von seiner Frau. Die Geisterspiele in der Fußball-Bundesliga erweisen sich nicht nur als Stimmungskiller.

Letztes Live-Spiel am 6. März

Seit Wiederaufnahme des Spielbetriebs schmierten die Einschaltquoten der ARD-Sportschau ab, auch das Sportstudio im ZDF hat weniger Zuschauer, im Gegenzug stellte der Bezahlsender Sky nur einen leichten Anstieg der Konferenz-Zuschauer fest. Fußball ohne Zuschauer macht offenbar auch am Bildschirm keinen Spaß.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Am 6. März hat Jany zuletzt ein Fußballspiel live erlebt. Ein Freitagabend, der FC gewann 2:1 in Paderborn. Das erste Geisterspiel des FC bei Borussia Mönchengladbach hatte er in einer Altstadt-Kneipe verfolgt. „Das ist kein Fußball, die Atmosphäre wirkt surreal. Die könnten auch auf dem Platz von Adler Dellbrück spielen“, stellt er fest. Jetzt trifft sich Janys Fan-Club, die „Sektion Suff“, zu den Spielen des Clubs im „Schlagbaumseck“ und sitzt mit Abstand vor dem Fernseher. „Nur bei Toren geht es drunter und drüber. Ich bin kein Typ, der einen Barhocker umarmt, die Emotionen müssen raus“, sagt Jany. Die Stadiongesänge, die Pfiffe, all das fehlt ihm. Im letzten Heimspiel diesen Samstag gegen Eintracht Frankfurt könnte der FC mal wieder ein Tor vertragen.

Ein eigenes Geißbockeim daheim

Gerd und Birgit Jany leben sehr idyllisch in Dellbrück, am Stadtrand, die drei ältesten Kinder sind längst ausgezogen, der jüngste Sohn wohnt noch zu Hause. Alle sind sie Mitglied beim FC geworden, auch die vier Enkelkinder. Im Vorgarten wohnen Zwerghühner im Stall, sogar Ziegen hatten sie mal – im Grunde hatte Familie Jany also ihr eigenes Geißbockheim. „Oft werde ich um meine Frau beneidet. Sie akzeptiert meine Fußballleidenschaft so, wie sie ist“, lobt Gerd Jany. Wenn es nach seiner Frau ginge, könnten die Geisterspiele aber auch bald wieder enden. „Mein Mann war zuletzt sehr viel zu Hause“, meint sie.

Seine ersten FC-Spiele hat er als kleiner Junge in den 1960er Jahren in der alten Müngersdorfer Hauptkampfbahn gesehen. Sein Onkel hatte ihn damals noch mitgenommen, später sah er die FC-Spiele in der Radrennbahn. Heimspieltage laufen seit Jahren nach einem festen Ritual. Um zehn Uhr treffen sich die 30 Fan-Club-Mitglieder im Stadtwaldgarten. „Wir schließen quasi die Tür auf. Egal, ob der FC um 15.30 Uhr oder um 18 Uhr spielt. Wir fachsimpeln über die gesamte Liga“, sagt Jany. Die Getränke werden pauschal abgerechnet. Abends sei der Deckel „mehr als rund“, erzählt er.

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Das Ritual hat Corona überlebt. Nun trifft sich die Gruppe bei den Spielen in der Übergangs-Kneipe. Als der Spuk mit den Geisterspielen losging, hatten viele Fans ihr Trikot zum Stadion gebracht, damit die Tribüne nicht so leer wirkt. Auf diese Form der dekorierten Trostlosigkeit hatte Jany keine Lust. „Aber ich habe auf die Rückforderung meines Eintrittsgeldes für die ausgefallenen Spiele verzichtet. Der FC hat mir so viel gegeben, da wollte ich was zurückgeben“, erzählt Jany.

Irgendwie wird diese geschichtsträchtige Spielzeit zu Ende gehen. Mit Jany und seinen Kumpels vor dem Fernseher. In der neuen Saison hofft er auf ein Stück Normalität. Und auf die Rückkehr auf Süd 12, Reihe 1, Platz 18.