Köln – Wer die neuen Fraktionsräume von Volt betritt, muss erst an den Granden der Kölner Sozialdemokratie vorbei . Die Bilder des früheren OB Norbert Burger und des Ex-Oberstadtdirektors und OB-Kandidaten Klaus Heugel hängen gerahmt in der Ahnengalerie der SPD auf dem langen Flur. Die Bilder müssen wohl neu geordnet werden. Nach dem Absturz der SPD bei der Kommunalwahl musste die Partei bereits einige Büros räumen. In einem sitzt nun Isabella Venturini.
Die 28-Jährige ist das jüngste Fraktionsmitglied der paneuropäischen Partei Volt, die zum ersten Mal in den Stadtrat eingezogen ist. Die Fraktionsräume sind noch verwaist. Zwei Telefone stehen auf den leer geräumten Schreibtischen, die altehrwürdige Holzvertäfelung verströmt den Duft nüchterner Aktenarbeit. Auf einer Seite hängt die lila Volt-Fahne. Es müssten als erstes ein paar Pflanzen her, sagt die Frau aus Ehrenfeld.
„Ereignis Stadtrat“
Die erste Ratssitzung sei „ein Ereignis“ gewesen. Das Gemurmel im Saal, die Mahnung zur Ordnung, habe sie an die Schulzeit erinnert, sagt sie lachend. „Aber man musste schon aufpassen, weil alles sehr schnell geht.“ Schnell ging es auch politisch voran im Leben der Deutsch-Italienerin. Vor der Europawahl 2019 ist sie zum ersten Mal mit Volt in Kontakt gekommen. Das Treffen in der Südstadt war mehr Happening als Parteiveranstaltung. Man konnte auf der Yoga-Matte entspannen, diskutieren, Plakate malen, vor allem aber: einfach machen. Es gab keine Listen und kein Warten. Die Energie hat sich schnell übertragen. „Ich habe mich sofort wohl gefühlt.“ Bei der Europawahl gewann Volt in Köln 1,6 Prozent, ein großer Erfolg. Bei der Kommunalwahl waren es 4,98 Prozent. Eine Sensation. „Wir hatten vorher gedacht: drei Sitze und damit Fraktionsstärke zu gewinnen, das wäre Wahnsinn.“ Nun sind es vier geworden.
Volt ist erst 2017 als Bürgerbewegung mit Parteicharakter gegründet worden. Der europäische Gedanke ist grundlegend. Die großen Probleme der Zeit wie den Klimawandel lassen sich nicht zwischen Landesgrenzen regeln, das ist der Ansatz. Und: keine Ideologien.
„Ich möchte mich nicht von Alt-68ern belehren lassen“
Isabella Venturini kommt gebürtig aus Hannover. Sie ist Tochter eines italienischen Vaters und einer Mutter aus Costa Rica. Mit leuchtenden Augen erzählt sie von dem mittelamerikanischen Land, der Freundlichkeit der Menschen. Aber sie habe auch eine deutsche Seite. In der 9. Klasse hat sie ein Schülerpraktikum bei den Grünen absolviert. Sie bekam etwas mit von der Verteilung der Gelder und warum für die Sanierung ihrer Schule nichts übrig blieb. Es war ein kommunalpolitisches Schnuppern und das Wissen, dass es sich lohnt mitzugestalten. Später studierte sie Soziologie und Politik, erst in Dresden, später in Köln („genau die richtige Stadt für mich“). Sie schaute mal bei den Linken rein, näherte sich der SPD an, aber am Ende waren ihr die Strukturen zu starr. „Ich möchte mich nicht von Alt-68ern belehren lassen“, sagt sie.“ Nicht weil sie deren Leistung nicht zu würdigen wisse. Weil sie andere Fragen stelle. Und andere Antworten suche.
Die Fraktion
Vier Mitglieder hat die neue Ratsfraktion von Volt. Fraktionschefin ist Jennifer Glashagen (30), ihr Stellvertreter ist Christian Achtelik (32). Dazu kommen Isabella Venturini (28) und das vierte Ratsmitglied Manuel Jeschka (33).
30,8 Jahre beträgt das Durchschnittsalter. Volt ist damit die jüngste Fraktion im Rat. (mft)
Überhaupt denken ihr die etablierten Partei zu wenig lösungsorientiert. „Es wird sehr an alten Zielen festgehalten.“ Schnell gesagt, warum etwas nicht geht. Wer sich fürs Klima engagiere, bekomme zu hören, dass dies zu Lasten der sozial Schwachen gehe. Oder dass keine Wohnungen mehr gebaut werden könnten. „Es bringt nichts, die Themen gegeneinander auszuspielen. Es gibt doch Lösungen.“ Volt hat auf den Plakaten für Radfahren wie in Kopenhagen und eine digitale Verwaltung wie in Estland geworben. Sehr einfach, sehr klar. Das hat gezogen.
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Gerade das Thema Wohnen ist ihr wichtig. Sie selbst wohnt auf 40 Quadratmetern in Ehrenfeld zu einem frivol hohen Mietpreis. Sie ist ledig, hat keine Kinder, kann es sich durch den Job als Projektmitarbeiterin bei der Deutschen Welle leisten. „Aber viele können das nicht.“ Außerdem hasse sie die Wohnungssuche. Es sei entwürdigend, sich mit 50 Mitbewerbern bemühen und am Ende irgendwas nehmen zu müssen. Doch zu inhaltlicher Arbeit ist die Fraktion bislang noch nicht gekommen. Erst muss das Geschäft der Fraktion organisiert werden, Referenten müssen eingestellt werden, sehen, dass alles läuft. Aber gefragt ist Volt schon. Die Partei könnte gleich in ein Bündnis mit den Grünen und der CDU (oder der SPD) gelangen. Die Koalitionsgespräche laufen. „Diese Option ist phänomenal“, sagt Venturini. Warum lange warten? Sie wollen etwas erreichen. „Aber die Richtung bestimmen wir selbst.“