Wolfgang Niedecken zeigt der Rundschau vor seinem 70. Geburtstag Erinnerungsorte.
Wir zeigen historische Aufnahmen im ersten Teil unserer 5-teiligen Mini-Serie zu Wolfgang Niedecken.
Köln – Den Chlodwigplatz hat Wolfgang Niedecken als seinen „Nabel der Welt“ besungen. Hier, wo er als Kind auf den Trümmern neben der Torburg gespielt hat, wo das Roxy-Kino Sehnsuchtsort war und wo er heute noch wie ein Nachbar aus dem Veedel gegrüßt wird. Vor seinem 70. Geburtstag am 30. März spaziert er mit der Rundschau durch die Südstadt, eine Zeitreise zu neun Erinnerungsorten.
Alteburger Straße
Was hätte Frau Herrmanns wohl gesagt? In der Altentagesstätte an der Alteburger Straße hat Wolfgang Niedecken seinen Zivildienst abgeleistet.
Morgens um 10 Uhr ging es los, 70 Mahlzeiten in Stanniol-Verpackung mussten bis zum Mittag ausgeliefert werden. An der Hausnummer 107 hat er aber auch „Leev, Frau Herrmanns“ gespielt, ein Stück, das er in seinem Raritäten-Archiv wiederentdeckt hat. „Der erste kölsche Text, den ich geschrieben habe.“ Gewidmet war und ist er Frau Herrmanns, die an der Lothringer Straße wohnte. Im Seniorenhaus gab es Kaffee und Kuchen. „Es war nett hier.“ Heute sind die Jalousien heruntergelassen.
Am Kurfürstenhof ist der Song „Wahnsinn“ entstanden. „Ich kannte den Laden schon als Kunststudent“, sagt Niedecken. Mit Manfred „Schmal“ Boecker, dem langjährigen Begleiter, ging er hier schon mal mittags ’ne Frikadelle essen und Billard spielen.
Irgendwann wurde die Kneipe zum Szeneladen. Mit schwarzen Wänden, Neonröhren und vergitterten Fenstern. „Wahnsinn. Do jommer och hin“, heißt es in dem Stück.
„Wir haben uns über die Szene, aber auch über uns selbst lustig gemacht“, sagt Niedecken. „Das war eine unserer Stärken.“ Heute sind die Gitter längst wieder ab. Einen Irokesenschnitt trägt niemand.
Chlodwigplatz
Anders als heute lag das Chlodwig-Eck an der Bonner Straße/Ecke Chlodwigplatz.
1978 hat Wolfgang Niedecken’s BAP das erste Mal vorgespielt. Wirt Clemens Böll wollte die Aufkleber, die der Sänger zu Buchungszwecken fleißig an Automaten hinterlassen hatte, wieder entfernen: Er verwechselte den Schriftzug aber mit dem der Europäischen Arbeiterpartei (EAP).
„Er war so in Rage“, erinnert sich Niedecken lächelnd. Er konnte ihn beruhigen. BAP durfte weiterspielen, zur „Matinee“ und dann auch abends (3 Mark Eintritt).
Severinstorburg
Der Vater hatte sich das Lebensmittelgeschäft im zerbombten Viertel sorgfältig ausgesucht: Er schaute, wo die meisten Leute von der Torburg aus entlang gingen – und machte dort sein Geschäft auf.
Nebenan gibt es auch heute noch die Bäckerei Brochmann, in der Mutter Hubertine („Tinny“) gearbeitet hat und wo sie von Vater Josef umgarnt wurde. Die Familie wohnte im zweiten Obergeschoss, später im ersten, die Toilette lag überm Flur.
In der Nachbarschaft lagen noch die Trümmer des Krieges – ein Abenteuerspielplatz.
Severinstraße
Der Geruch in der Südstadt schwankte zwischen dem der Maische der Reissdorf-Brauerei (An St. Magdalenen) und dem des Kakao aus der Stollwerck-Fabrik.
Die Severinstraße war die tägliche Erlebnisstrecke, die Fahrt mit dem Vater zum Rheinauhafen, wo Dosenmilch und andere Lebensmittel abgeholt wurden, schon die große weite Welt.
Severinskirche
Es ist Markttag auf dem Kirchplatz. Vor über sechs Jahrzehnten war Wolfgang Niedecken Messdiener, ging zur Erstkommunion. „Die Elvis-Frisur hat mir die Frau Ryssel aus der 3.Etage gemacht.
Die Kommunion sei toll gewesen, „ein Initiationsritus, ein wichtiger Schritt.“ Im katholischen Internat wurde Niedecken Missbrauchsopfer, in den 80er Jahren trat er aus der Kirche aus. Zur Aufarbeitung der Kirche sagt er: „Die Männer und Frauen, die sich in der Kirche engagieren, tun mir leid.“
Annostraße
Hier hat BAP am 28. November 1979 das erste Album „Wolfgang Niedecken’s BAP rockt andere kölsche Leeder“ vorgestellt. Hier stand der Anno-Saal, der zur Stollwerck-Fabrik gehörte, er wurde trotz Denkmalschutz abgerissen.
„Es war eine unheimlich düstere Straße. Man ging hier nicht gerne lang.“ Die Platten wurden frisch aus dem Presswerk herübertragen. „Die waren noch warm.“ Einen Karriereplan gab es nicht.
„Schmal“ Boecker (Percussion/Saxofon) sagte: „Malen oder Musik, ist doch egal, womit wir kein Geld verdienen. “
Zwirnerstraße
„Die Erinnerung stellt manchmal Fallen“: Auf der Grundschule Zwirnerstraße hat Niedecken die ersten Schuljahre verbracht. „Ich habe schöne Erinnerungen, aber es war eine harte Szene. Das war die Bronx, da ging man nicht freiwillig hin.“
Auf dem Schulhof trennte eine Linie Mädchen und Jungs. Lehrer Flügel musste mal dafür büßen, dass er einen Schüler nicht nur geschlagen, sondern auch beschimpft hatte: „Du bist doch in der Pissrinne groß geworden.“
Der Junge ist nach Hause gelaufen, kurz drauf stand der Vater vor der Lehrertür – und schlug zurück. „So was wurde sizilianisch gelöst.“
Biberstraße
Heimspiel von BAP 1978 an der Biberstraße/Ecke Zwirnerstraße. Auf dem Foto sieht es aus wie der Soundcheck: „Es war aber das Konzert.“ Die Bürger-Initiative südliche Altstadt (BISA) wollte die „Zogaß“-Kirmes neu beleben und wehrte sich gegen den Abbruch des Stollwerck-Geländes.
„Leider hatten wir unsere Verstärker-Anlage nicht unter Kontrolle. Wir mussten uns entscheiden zwischen Textverständlichkeit und Rocken. Entweder oder – es war ein ständiges Dilemma.“