Köln – Wohl keiner hat das Unglück des Archiveinsturzes tagtäglich so nah vor Augen wie Christopher Tennes. Nicht, dass er privat betroffen wäre. Aber beruflich. Tennes ist Geschäftsführer des Unternehmens Aquanautik. Mit einem siebenköpfigen Team taucht er runter in das vom Grundwasser geflutete Gleiswechselbauwerk unter dem Waidmarkt. Er bereitet den Boden dafür, dass voraussichtlich im Jahr 2029 die Trasse der Nord-Süd Stadtbahn durchgängig befahrbar sein wird.
Reste vom Dachstuhl in 20 Meter Tiefe
Der Arbeitsplatz von Christopher Tennes und seinem Team liegt zurzeit zwölf Meter unterm Grundwasserspiegel am Waidmarkt. Momentan arbeitet er auf der untersten Bauwerksebene (siehe Kasten).
Die Arbeiten an der Unglücksstelle
Die Taucher arbeiten am Waidmarkt zurzeit im Bereich zwischen der Baugrubensohle und der Zwischendecke. Dort stellen sie mit dem vorhandenen Material einen ebenen Untergrund her. Mit einer Pumpe schichten sie Kies und Erde um.
Um die Fertigstellung des Gleiswechselbauwerkes zu ermöglichen, müssen die bereits vor dem Archiveinsturz im März 2009 gegossenen Betondecken wieder entfernt werden. Nur so können Materialien nach unten verbracht werden. Denn für die weiteren Arbeiten muss zwischenzeitlich der Bereich zwischen Sohle und Zwischendecke nochmals vollständig verfüllt werden.
Ziel ist es, das Bauwerk im unteren Bereich fertigzustellen. In zahlreichen Arbeitsschritten werden darum zwischen die Seitenwände Rundstahlstangen eingesetzt. Sie versteifen das Bauwerk. Zwischen den Stangen sind Freiräume, die unter anderem ermöglichen, die unteren Ebenen mit Baumaterialien zu beschicken. Durch die Versteifung mit den Stangen können von oben nach unten der Deckel und die Zwischendecke abgerissen werden. Dann wird das Bauwerk von unten nach oben fertig gebaut, mit einer neuen Zwischendecke und einem neuen Deckel.
Die Dauer der Arbeiten ist schwer voraussehbar. Der Geschäftsführer der in einer Arbeitsgemeinschaft vereinten Baufirmen betont, dass es keinen Vergleich für die Arbeitsmethode gibt. KVB-Technikvorstand Jörn Schwarze hebt hervor, Sicherheit gehe bei dem Projekt vor Schnelligkeit. (ngo)
Sie liegt oberhalb des Loches in der Betonwand, durch das Grundwasser und Erdreich eindrangen – bis der Boden unter dem benachbarten Stadtarchiv so weit unterspült war, dass das Gebäude einstürzte. „Den ganzen Schutt wie Dachstuhlreste, Baugerüste oder auch Träger haben wir schon raus geschafft“, sagt der 37-Jährige. Bereits im vergangenen November hatten die Arbeiten an der Unglücksstelle wieder begonnen. Der Weg dazu wurde frei, nachdem sich die Stadt Köln mit den in einer Arbeitsgemeinschaft vereinten Baufirmen Mitte 2020 in einem Mediationsverfahren außergerichtlich einigen konnten. Die Baufirmen zahlen 600 Millionen Euro an die Stadt und übernehmen die Kosten für Sanierung und Fertigbau des Gleiswechselbauwerks. Dort werden Weichenanlagen eingebaut, die ermöglichen, dass Stadtbahnen von einem Tunnel in den anderen wechseln können.
Vom Grundwasser geflutet
Vor dem Unglück wurde die Baustelle unter der Erde trocken gehalten, nun ist sie vom Grundwasser geflutet. Der Job von Christopher Tennes und seinem Team: „Wir stellen auf der untersten Ebene mit dem dort vorhandenen Material ein Planum her“, sagt er. Das Taucherteam saugt mit einer Pumpe, die ähnlich wie ein Staubsauger arbeitet, auch das vor dem Archiveinsturz eingespülte Erdreich ein. Auf der anderen Seite der Pumpe wird das Material dann gleichmäßig am Grund verteilt. Auf diese gerade Fläche kann dann eine Kiesschicht aufgebracht werden. Danach wird die Ebene mit Beton verfüllt. Der dient aber nur zwischenzeitlich der Stabilisierung.
Harte Arbeit schützt vor Auskühlung
Doch wie sind überhaupt die Sichtverhältnisse im Grundwasser unter dem Waidmarkt? Müssen sich die Taucher vortasten? „Wir haben bis eineinhalb Meter Sicht“, sagt Christopher Tennes. „Das sind Karibik-Verhältnisse.“ Das Wasser wird mit einer so genannten Separationsanlage gefiltert. Mag die Sicht auch wie in der Karibik sein, die Temperaturen sind es nicht. Das Wasser hat gerade mal fünf Grad. Ein Trockentauchanzug schützt die Taucher vor dem Auskühlen. Zudem: „Wir schichten jetzt Erdreich um, das ist eine körperlich anstrengende Arbeit, die hält warm.“ Anders sei das bei Schweißarbeiten. Wegen geringerer Bewegung drohe schneller die Auskühlung. Darum werde die Arbeitszeit fürs Schweißen unter Wasser verkürzt.
Schichtdienst im fliegenden Wechsel
Teams von zwei Männern können maximal vier Stunden am Stück unten sein. Abgelöst werden sie im fliegenden Wechsel. Die mögliche Dauer des Tauchgangs hängt auch von der Tauchtiefe ab. Im Laufe der Sanierung wird bis zu 20 Meter unter den Grundwasserspiegel vorgedrungen. Das lässt weniger Tauchzeit zu, es sei denn, die Taucher nutzen ein Mischgas.
Das Unglück nicht im Hinterkopf
Der Archiveinsturz war eines der verheerendsten Unglücke in Köln in der Nachkriegszeit. Zwei Menschen starben im Schutt. Rund acht Prozent der Archivalien sind für immer verloren. Unzählige müssen aufwändig gerettet werden. Ist das immer im Hinterkopf bei den Tauchgängen? „Offen gestanden, nein“, sagt Tennes. „Wir müssen unabhängig von der Geschichte immer auf höchstem Sicherheitslevel arbeiten.“ Er hat schon an vielen „namhaften“ Baustellen getaucht. Unter anderem am Terminal 3 des Frankfurter Flughafens. „Die Arbeiten am Waidmarkt sind umfangreich, aber aus fachlicher Sicht nicht ungewöhnlich.“ Außer vielleicht: „Für die Taucher gibt es nur vier schmale Zugänge. „Dadurch müssen wir alles rein und raus befördern.“
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Mit Hobby hat das nichts zu tun
Schon beim ersten Blick auf das Tauchequipment der „Aqua-Nautiker“ vom Waidmarkt wird klar, mit Hobbytauchen hat die Arbeit von Tennes und seinen Leuten nichts zu tun. „Voraussetzung für unseren Job als Berufstaucher ist eine handwerkliche Ausbildung. Tennes selbst ist Heizungsbauer. In seinem Team arbeiten Schweißer, Glaser, Maurer und auch Schlosser. Die Fortbildung zum Berufstaucher dauert anschließend zwei Jahre, ist gespickt mit Fortbildungen und schließt mit einer Prüfung an der Industrie- und Handelskammer ab. Körperliche Fitness ist ein Muss. „Jedes Jahr unterziehen wir uns einer Tauglichkeitsuntersuchung.“ Lungenfunktion und Belastbarkeit kommen auf den Prüfstand.
Das Leben hängt an drei Schläuchen
Am Helm der Taucher sind ein Schlauch und mehrere Kabel befestigt. Sie reichen bis in den Tauchcontainer an der Oberfläche. Die Kabel ermöglichen Licht, Kommunikation und Videoaufzeichnungen. Durch den Schlauch strömt komprimierte Atemluft. Er ist die Lebensversicherung der Taucher vom Waidmarkt.