In den ersten Märztagen 1945 ist Köln auf der Flucht. Innerhalb von zwei Tagen zieht es 80 000 Menschen vom Linksrheinische auf die andere Rheinseite
Am 6. März 1945 rücken die Amerikaner durch die zerbombte Stadt ins Zentrum vor.
Ein Zeitzeuge erinnert sich.
Köln – Obwohl Heinz Monheim im Frühjahr 1945 gerade mal neun Jahre alt ist, hat er sich mit einem Freund entschlossen, die Bereitschaft zur bedingungslosen Kapitulation gut sichtbar zu signalisieren. Aus einem Stöckchen und einem weißen Stück Papier basteln die Jungs simple Fahnen. So stehen sie vor den Hausruinen, als US-Soldaten durch die Hauptstraße in Porz marschieren. „Wir wurden sogar von einem Kriegsfotografen abgelichtet“, erinnert sich Monheim an das geschichtsträchtige Kriegsende vor 75 Jahren.
In den ersten Märztagen 1945 ist Köln auf der Flucht. Innerhalb von zwei Tagen zieht es 80 000 Menschen vom Linksrheinische auf die andere Rheinseite, denn die Nazis verbreiten über ihren Propagandafunk Nachrichten von angeblichen Gräueltaten der Alliierten, die bei ihrem Vormarsch von Westen aus bereits vor den Stadttoren angelangt sind. Dennoch ordnet Gauleiter Joseph Grohé unverdrossen die Verteidigung Kölns „bis zum Letzten“ an. „Im Radio hieß es: Aus niederbrechenden Mauern wird geschossen“, erinnert sich Heinz Monheim. Doch mehr als eine verbale Offensive ist dies nicht mehr, der von den Amerikanern befürchtete „Häuserkampf im mittelalterlichen Stadtbezirk“ findet nicht statt.
Köln ist ausgebombt, nur noch etwa 40 000 Menschen leben im Linksrheinischen, auf den von Schutt gesäumten Straßen sind Plünderer unterwegs. Die Wunden sind so groß, dass Oberbürgermeister Konrad Adenauer später sogar erwägt, die Stadt weiter nördlich wieder aufzubauen. Am 4. März erreichen die US-Truppen die ersten Vororte der Stadt. Über die Aachener und Venloer Straße ziehen die Soldaten Richtung Zentrum vor, begleitet werden sie vom Klackern der gewaltigen Panzerketten. Der 6. März wird zum Tag der Entscheidung.
Am Morgen fasst General Friedrich Köchling die Lage ungeschönt zusammen: „Die Unversehrtheit der Hohenzollernbrücke ist eine Frage von Stunden, ebenso das Halten von Köln mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und Kräften“, heißt es. Der Volkssturm, der am Inneren Grüngürtel Widerstand leisten soll, ist längst verschwunden, die Führungsriege um Grohé flüchtet mit dem Boot ins Rechtsrheinische und bezieht im Bensberger Schloss Quartier.
In diesen Tagen wird die Hohenzollernbrücke zum Nadelöhr für die Flüchtenden – sie ist die einzig verbliebene Rheinquerung. „Zuvor war die stark beschädigte Hindenburgbrücke, die später als Deutzer Brücke wieder aufgebaut wurde, unter der Last des Menschenstroms zusammengebrochen. Die Zahl der Toten wird auf 300 bis 1000 geschätzt“, hat Heinz Monheim für sein Buch „Trümmerblumen oder Frebels Karl“ recherchiert, das er zum 50. Jahrestag des Kriegsendes geschrieben hatte. Das amerikanische Nationalarchiv in Washington stellt ihm damals zahlreiche Fotografien vom Einmarsch der US-Soldaten nach Köln zur Verfügung.
Nur noch vereinzelt rollen an diesem 6. März deutsche Panzer durch die Schuttberge auf den Straßen der Stadt. Vereinzelt haben die Menschen weiße Bettlaken aus den Fenstern gehängt. In der Christophstraße treffen ein deutscher und ein amerikanischer Panzer aufeinander, die Kölnerin Katharina Esser (27) gerät in einem privaten Opel P4 zwischen die Fronten und überlebt den Beschuss des Fahrzeugs nicht.
Deutscher Panzer vor dem Dom
Direkt vor dem Dom verzögert ein deutscher Panzer den Vormarsch der Alliierten und schießt einen amerikanischen Sherman-Panzer in der Komödienstraße ab. Kurz darauf geht dann der deutsche „Panther“ ebenfalls in Flammen auf, das als „Panzerduell am Dom“ bekannt gewordene Gefecht markiert das Ende des Widerstands im linksrheinischen Köln. Um 12.55 Uhr erschüttert schließlich eine gewaltige Explosion das Stadtzentrum. Es ist jener Moment, in dem deutsche Pioniere die Hohenzollernbrücke sprengen, um den Amerikanern den Weg ins Rechtsrheinische abzuschneiden.
Das Kriegsende im rechtsrheinischen Köln
Nach der Sprengung der Hohenzollernbrücke bildet der Rhein die Frontlinie. Unter anderem haben deutschen Soldaten am Rheinbogen in Porz Stellungen aufgebaut und schießen ins Linksrheinische rüber. In den Randbezirken der Stadt wird auch nach dem 6. März unverdrossen gekämpft.
Die Brücke von Remagen bietet den Amerikanern einige Wochen später den Weg ins Rechtsrheinische. Der Versuch der Sprengung durch deutsche Soldaten misslingt, sie verwenden zu wenig Sprengstoff, so dass die Brücke lediglich kurz aus ihren Lagern gehoben wird, aber stehenbleibt. Zwischen dem 11. und 14. April marschieren die Amerikaner schließlich von Süden her in Köln ein. In Porz erlebt Heinz Monheim den Truppeneinmarsch. (tho)
Noch etwa fünf Wochen kommt es rechts des Rheins zu Kampfhandlungen. Dann rollen auch hier amerikanische Panzer und Geländewagen durch die Straßen. „Die Autos hatten Funkradio, das war eine Sensation. Damals habe ich zum ersten Mal traditionellen Jazz gehört“, erinnert sich Heinz Monheim. Der Inhaber eines Lebensmittelladens, ein strammer Nazi, habe kurz zuvor noch eine riesige Hakenkreuzfahne im Garten verbrannt. „In dem Geschäft hing ein Plakat: Trittst Du in diesen Laden ein, soll dein Gruß ,Heil Hitler‘ sein“, erzählt Monheim. Der Ladenbesitzer habe als einer der Ersten die weiße Fahne gehisst.
Monheim lebt zunächst mit seiner Mutter in der Esserstraße in Kalk, kurz vor dem Kriegsende werden beide in einem Haus in Porz einquartiert, aus dem zuvor eine jüdische Familie vertrieben worden war. Unvergessen bleibt Monheim ein „Kinobesuch“, zu dem die Amerikaner alle Bürger drängen. In Begleitung bewaffneter Soldaten werden sie ins Scala-Theater in der Bahnhofstraße gedrängt. „Vor dem Kino stand ein großer Generator. Dann wurde uns die Einnahme eines Konzentrationslagers vorgeführt. Mein ganzes Leben lang habe ich Scham wegen dieses Films empfunden und es nicht richtig verarbeitet“, meint Monheim. Die Bilder der Leichenberge brennen sich verstörend im Gedächtnis des Neunjährigen fest.
Beeindruckt ist er hingegen von den amerikanischen GI’s, die lässig in ihren Geländewagen sitzen. „Sie waren das Gegenteil der ordnungsgedrillten deutschen Soldaten“, sagt Monheim. Hin und wieder überlassen sie den Kindern ihre halb vollen Verpflegungsboxen mit Kaffee, Toilettenpapier und Konservendosen. „Dort habe ich zum ersten Mal Ham und Egg gesehen“, erinnert sich Monheim.
In den folgenden Wochen und Monaten räumen die Menschen mit einfachen Werkzeugen Schutt und Steine von den Straßen. Die Zeit des Wiederaufbaus läuft an.