Ein halbes Jahr nach der FlutDiese Kölnerin hilft unermüdlich weiter
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Köln – Emily Miller von der Osten erhielt am Abend des 14. Juli einen Anruf, der ihr Leben veränderte. Eine Mitarbeiterin erklärte, dass sie am nächsten Tag nicht ins Büro kommen könne. Der Regen, die Flut. Was sie nicht sagte: Sie würde auch in den Tagen danach andere Dinge zu tun haben. Zu diesem Zeitpunkt war der Jungunternehmerin das Ausmaß der Katastrophe noch nicht bewusst. Erst als sie am nächsten Morgen die Medien verfolgte und zwei ihrer Mitarbeiterinnen, gute Freundinnen, nicht mehr erreichen konnte, breiteten sich Panik und Ungewissheit aus.
Freunde sollten nachsehen, wo Hilfe benötigt wird
Die 27-Jährige bat Freunde aus der Eifel an den Häusern zu klingeln. Sie sollten nachschauen, wie es den Betroffenen geht. Und dann war ihr klar: Ich muss den Menschen helfen. Über Instagram startete sie Samstagabend, 16. Juli, einen Aufruf, um freiwillige Unterstützer anzuwerben. Sie informierte die Menschen über die Lage in den betroffenen Gebieten und zeigte Bilder der Flutkatastrophe.
Was sie nicht wusste: Wer sich dem Aufruf anschließen würde. Sie hatte Angst, dass niemand kommen würde, organisierte aber trotzdem einen Reisebus. Am nächsten Morgen standen 65 Freiwillige vor ihrem Büro am Maarweg. Mit ihnen fuhr Miller nach Arloff, Bad Münstereifel, um die Betroffenen zu unterstützen.
Vor Abreise stellte sich die Ehrenfelderin auf eine Mülltonne und erklärte die wichtigsten Fakten. Beispielsweise sei eine Tetanusimpfung verpflichtend, jede kleine Wunde müsse desinfiziert werden und das Leitungswasser dürfe aufgrund der Keime nicht getrunken werden. Außerdem sollte sich jeder Helfer einen Partner suchen, sodass sie immer aufeinander aufpassen können. Nach Ankunft in dem Flutgebiet, wurden Emily und die Helfer von Freunden der Kölnerin empfangen. Sie zeigten den Freiwilligen, wie sie die Familien unterstützen können.
Lauter Unbekannte, ein Netzwerk
Emily Miller kannte keinen der Helfer. „Das war das prägendste Erlebnis der vergangenen sechs Monate. Ich kann es bis heute kaum glauben, dass so viele unbekannte Menschen einfach mitgemacht haben.“ In den folgenden Wochen entstand ein immer größer werdendes Netzwerk für die Flutbetroffenen. In der dritten Woche kamen 450 Helfer zusammen. Gemeinsam haben sie in Arloff, Iversheim, Bad Münstereifel und Gemünd Schlamm geschippt, Häuser ausgeräumt und anschließend entkernt.
Ab der vierten Woche fuhren die Helfer nach Altenburg und Dernau ins Ahrtal. Obwohl sich die Freiwilligen auch untereinander nicht kannten, haben sie immer zusammengehalten und sich gegenseitig unterstützt. Es sind viele Freundschaften entstanden. In Erinnerung sind Emily Miller aber vor allem emotionale Momente. Während ihrer Arbeit vor Ort wurde einem 65-Jährigen Rentner aus der Eifel gesagt, dass sein bereits entkerntes Haus abgerissen werden muss. „Er brach vor mir in Tränen aus.“
Ein anderer Betroffener suchte nach seinem Handy, um Nummern austauschen zu können. „Als er es nicht mehr fand, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er nichts mehr besitzt außer der Kleidung an seinem Körper.“ Solch emotionale Erfahrungen sind der Grund, warum die junge Frau auch sechs Monate nach der Katastrophe jedes Wochenende an die Ahr oder in die Eifel fährt. „Jeder kann was, jeder kann etwas beitragen“, sagt sie, „das war mein Teil.“
Hilfe bei Anträgen und Behördengängen
Sie unterstützt die Betroffenen auch organisatorisch. Vor allem formale Aufgaben, wie das Beantragen von Versicherungsleistungen, seien für viele eine Herausforderung. Auch bei der Weitervermittlung an Fachkräfte, wie beispielsweise Elektriker, hilft die Kölnerin. Außerdem mache ihr die Arbeit mit den Familien Spaß. Viele seien über die Zeit zu Freunden geworden.
Ein halbes Jahr nach der Katastrophe will die Jungunternehmerin auf die aktuellen Probleme vor Ort aufmerksam machen. Obwohl die Häuser zwar größtenteils ausgeräumt und entkernt sind, gibt es weiterhin große Hürden zu nehmen. Besonders traurig findet Emily, dass die Haushalte in der Eifel und dem Ahrtal bislang nur die Soforthilfen erhalten haben. Spendengelder seien nicht angekommen. Ein Großteil der Familien muss in Vorkasse treten, um sich ihr Leben wieder aufbauen zu können.
Das 5-Euro-Haus
Das Hilfsprojekt soll transparent Unterstützung zu den betroffenen Familien weiterleiten. Zerstörten Häuser der Familien werden mit einer dazugehörigen Bankverbindung veröffentlicht. Ziel ist es, durch eine kleine regelmäßige Spende, die Betroffenen durchgängig zu unterstützen. Somit erhalten die Familien ein feste monatliche Unterstützung.
Jeder Haushalt hat nach der Idee einen eigenen Paten, der die jeweiligen Spender über Fortschritte informiert. Somit können die Unterstützer sicher sein, dass ihr Geld ankommt und die Erfolge des Wiederaufbaus mitverfolgen.
www.joerg-burghardt.de/
5-euro-haus
Deswegen macht Emily Miller von der Osten auf das Hilfsprojekt „5-Euro-Haus“ aufmerksam (siehe Infotext). Emily wünscht sich, dass die zerstörten Gebiete würdevoll aufgebaut werden. Dies sei aber nur möglich, wenn die Spendengelder auch bei den Familien ankommen.
Inzwischen unterstützt die Unternehmerin die Gebiete am Wochenende. In der Woche widmet sie sich wieder ihrem Start-up, mit dem sie Handyhüllen verkauft. Die gebürtige Kölnerin hat das Unternehmen im Mai 2020 gegründet. Die Idee: Handyhüllen mit abnehmbarer Kordel. Das Milux-Team besteht ausschließlich aus Freunden und der Familie, acht Mitarbeiter sind es insgesamt, sogar die Oma ist Teil des Teams. Nur dank der familiären Unterstützung konnte das Unternehmen in den vergangenen Monaten aufrecht gehalten werden – allerdings mit erheblichen Einbußen.
Obwohl Emily Miller von der Osten mit ihrem Engagement ihr eigenes Unternehmen ins Risiko gesetzt hat, würde sie es genauso wieder machen. Sie sagt stolz: „Ich gucke nicht zurück und ärgere mich. Ich weiß, wofür ich es getan habe.“