Ehrenfeld – Die Hauswand vor dem Eingang ist nahezu komplett gereinigt, die Kaugummis, die auf Einlass wartende Besucher darauf geklebt haben, sind verschwunden. Im Innenhof erinnert nur noch ein im Gebüsch hängender abgewetzter Gürtel an Exzesse vergangener Tage. Seit einem Jahr finden wegen der Corona-Pandemie in der Live Music Hall wie auch in anderen Veranstaltungshallen keine Konzerte oder Partys mehr statt.
Wir haben mit den Betreibern Micki Pick und Georg Schmitz-Behrenz sowie ihrem technischen Leiter Arman Arslanyan und dem Bläck-Fööss-Gitarristen Bömmel Lückerath darüber gesprochen, was das Jahr mit ihnen und der gesamten Branche gemacht hat.
Eigentlich hätte 2020 ein feuchtfröhliches Jahr für die Live Music Hall werden sollen. Vor exakt 30 Jahren eröffnete die beliebte Location an der Lichtstraße in Ehrenfeld. Stattdessen fiel am 11. März der Vorhang zum vorerst letzten Mal. An diesem Abend hatte YelaWolf noch ein Konzert gespielt – bereits da mit einer Zuschauerbegrenzung.
Am 13. März wurde alles abgesagt
Das Konzert von Rex Orange County tags darauf sollte zunächst noch auf zwei Shows aufgeteilt werden, wurde dann aber doch abgesagt. Am 13. März wurde in den sozialen Medien schließlich verkündet, dass man sich „heute einheitlich entschlossen“ habe, alle Veranstaltungen „bis auf Weiteres abzusagen“. Man sei sich der „Verantwortung in dieser schwierigen Situation bewusst“.
Es hat dagegen ein wenig gedauert, bis in den Köpfen angekommen war, wie schwierig die Situation wirklich werden sollte. „Ich habe das gar nicht so richtig wahrgenommen und dachte, dass wir halt für eine Weile zumachen, und dann geht es wieder weiter“, erinnert sich Micki Pick an seine Gedanken von damals. Erst mit der Zeit hat er realisiert, dass es doch nicht so schnell vorüber sein sollte.
Mehrere Wellen zwischen Hoffnung und Frust
„Ab da war es dann ein richtiger Kulturschock für mich.“ Mehrere Wellen zwischen Hoffnung und Frust habe er seitdem geritten. „Es sind ja nicht nur die Konzerte, die fehlen, sondern all die Leute, Kollegen, Freunde und Familie, die man kaum noch sieht.“
Dass der Einschnitt schwer zu fassen war, erkennt man auch an einem späteren Eintrag auf der Facebook-Seite der Live Music Hall. Am 22. Juni heißt es dort fast noch hoffnungsvoll: „Bitte nicht noch weitere 100 Tage...“. Mittlerweile herrscht nach nunmehr 365 Tagen die Gewissheit, dass es noch länger nicht weitergeht – daran werden wohl auch die Impfungen zunächst nichts ändern.
Die Geschichte
1990 wurde die Live Music Hall im Lichtviertel in Ehrenfeld eröffnet. Das Gebäude, das heute als Industriedenkmal gilt, gehörte zur ehemaligen Maschinenfabrik Heinz Strunck+Co, zuletzt Robert Bosch GmbH, und stand vor der Nutzung als Veranstaltungshalle mehrere Jahre leer. Die Location erfreute sich schnell großer Beliebtheit, weil in Köln damals ein Veranstaltungsort mittlerer Größe fehlte. 1200 bis 1800 Personen finden je nach Veranstaltung Platz in der Live Music Hall.
2012 musste die Live Music Hall schon einmal für einige Zeit geschlossen werden, als während eines Konzertes der Metalcore-Band Callejon ein Teil der Decke einstürzte. Elf Besucher wurden damals dabei leicht verletzt.
Neben Konzerten finden in der Live Music Hall vor allem Partys verschiedenster Ausrichtungen statt. National erfolgreiche Künstler wie Bushido, The Boss Hoss oder Jeanette Biedermann haben dort ebenso gespielt wie internationale Größen, zum Beispiel wie The Killers, Prince und die Manic Street Preachers. (roe)
„Die Dimensionen hätte sich niemand wirklich vorstellen können“, sagt auch Bömmel Lückerath. Als ein Gründungsmitglied der Fööss gehe es ihm zwar finanziell gut. „Viele haben das Wasser aber bis zum Hals stehen und kämpfen ums Überleben.“
Besonders hart getroffen von der Krise sind nicht bloß die Künstler, sondern die Menschen, die hinter der Bühne arbeiten. Davon kann auch Arman Arslanyan berichten. Seit 27 Jahren ist er freiberuflich in der Live Music Hall angestellt, hat sich zum Technischen Leiter hochgearbeitet und sorgt für den reibungslosen Ablauf der Veranstaltungen.
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Dazu gehöre auch, dass er dafür sorgte, dass Peter Doherty die Bühne verlässt, bevor er mit dem Mikroständer auf das Publikum einschlägt, erzählt er lachend. „Schlimm ist, dass viele der Branche nun den Rücken zukehren. Wenn es wieder losgeht, muss man quasi von null anfangen“, sagt er. Er selbst hat sich zunächst mit Jobs in der Gastronomie über Wasser gehalten und bezieht nun Hartz 4 und verbraucht Teile seiner angesparten Rücklagen.Von der Politik zeigen sich alle enttäuscht.
„Es gibt keine klare Linie, was die Leute immer mehr verunsichert“, ärgert sich Pick. Dass gerade die Kulturbranche so vernachlässigt wird, liegt für ihn an der fehlenden Lobby. „Kultur gilt vielen als nicht essenziell“, fügt Schmitz-Behrenz hinzu und beklagt die schleppende Bürokratie. Dabei gebe es viele gute Konzepte. Ihr Wunsch? Sich wirklich zusammensetzen, um gemeinsam Lösungen zu finden.