Nach der Explosionsserie vermeldet die Polizei neue Festnahmen und legt Strukturen der Kriminalität offen.
Festnahmen im DrogenkriegExplosionen in Köln von Kriminellen bestellt
40 Razzien, 46 Ermittlungsverfahren, 1300 sichergestellte Gegenstände, 23 Menschen in Haft und 24 gefundene Schusswaffen: Rund ein halbes Jahr nach dem Beginn der Kölner Explosionsserie und weiteren Gewaltverbrechen haben Polizei und Staatsanwaltschaft erneut Bilanz gezogen. Kölns Kripochef Michael Esser sprach am Donnerstag von einem „unermüdlichen Einsatz“ vieler Polizisten: „Der Aufwand hat sich gelohnt“.
Großen Aufwand betrieben die Ermittler auch bei drei Festnahmen in Amsterdam. Am Mittwoch nahmen Spezialkräfte in der niederländischen Metropole drei junge Männer im Alter von 18, 19 und 22 Jahren fest. Bei den Razzien fanden die Beamten sechs Cobra-Sprengsätze, zwei Blitzknallsätze, eine scharfe Schusswaffe und Drogen sicher. Die Festgenommenen sollen an der Geiselnahme und Folterung in einer Rodenkirchener Villa am Eibenweg sowie einer Sprengung in Duisburg beteiligt gewesen sein. Ein Pärchen wurde dort regelrecht gefoltert, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Die nun festgenommenen Tatverdächtigen konnten danach flüchten. Die Fahnder vermuteten die Männer schon lange in den Niederlanden; nun der Zugriff.
„Verbrechen auf Bestellung“
Hintergrund der Gewaltspirale waren, wie schon mehrfach berichtet, rund 300 Kilo geraubtes Marihuana im Sommer 2024 aus einer Lagerhalle in Hürth-Kalscheuren. Im Anschluss sollen Mitglieder einer Drogenbande aus Kalk Kriminelle aus dem niederländischen Drogenmilieu engagiert haben, um das Rauschgift im Wert von rund 1,5 Millionen Euro wiederzuerlangen. Dies ist bis heute nicht gelungen. Die Kölner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die am Mittwoch festgenommenen Niederländer als Handlanger oder Gehilfen angeheuert wurden, um den Raub in Hürth „zu klären“.
Der Drahtzieher und Schlüsselfigur für die Explosionsserie soll ein 22-Jähriger sein. Er ist Sohn eines Kölner Gastronoms aus dem Rechtsrheinischen. In dem Lokal sollen sich Mitglieder der Drogenbande getroffen und ihre kriminelle Aktivitäten geplant haben. Der 22-Jährige wurde nach einem längeren juristischen Hick-Hack am Mittwoch, 22. Januar, von den französischen Behörden nach Deutschland ausgeliefert. Der Verdächtige war am 1. Oktober 2024 am Pariser Flughafen Roissy festgenommen worden und befand sich seitdem in Auslieferungshaft. Nach seiner Auslieferung an Deutschland wurde der Mann über den Flughafen Köln/Bonn von der Polizei in Begleitung durch Spezialeinheit in eine Justizvollzugsanstalt geflogen. Zuvor hatte ein Richter des Amtsgerichts dem 22-Jährigen seinen Haftbefehl verkündet.
Explosionen in Köln: Gewalt als Dienstleistung
Kripochef Michael Esser ging am Mittwoch auf eine besondere Kriminalitätsart ein. So würden Täter in den Niederlanden häufig auf kriminellen Online-Plattformen Menschen für Sprengstoffanschläge oder andere Straftaten suchen und finden. Das Phänomen nennt sich laut Esser „Violence as a service“ – Gewalt als Dienstleistung. Die Polizei nennt es auch „Verbrechen auf Bestellung“. Die Sprenger waren auch in Köln aktiv. „Die Täter kennen in der Regel den Auftraggeber und die Hintergründe der Tat nicht und erhalten später über Mittelsmänner eine Entlohnung“, so Esser. Diese Sprenger in der organisierten Drogenkriminalität werden nach Beobachtung der Polizei immer jünger. „Die sind alle 20, 24, 25 Jahre alt. Und das ist neu, das macht mir Sorgen“, sagte der NRW-Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Oliver Huth. Er denke dabei etwa an die Tatverdächtigen rund um die Kölner Explosionsserie des vergangenen Halbjahrs. Als Hintergrund dieser Taten wird eine Auseinandersetzung unter Drogenbanden vermutet. „Wir beobachten das in ganz Europa, aber jetzt eben auch unter einem Brennglas in Köln“, sagte Huth. „Es gibt da ein Täterspektrum in der organisierten Kriminalität, das sehr jung ist und gleichzeitig absolut brutal. Diese Täter wollen sich schnell in den Markt bringen, in Hierarchien aufsteigen und dafür sind sie bereit, praktisch jedes Risiko einzugehen. Das macht mir an diesem Kölner Sachverhalt Sorgen.“
Auch die internationale Polizeibehörde Interpol äußerte sich zu dem Phänomen. „Jüngste von Europol unterstützte Untersuchungen bestätigen, dass Minderjährige eine aktive Rolle im Drogenhandel spielen, hauptsächlich auf den Kokain- und Cannabismärkten“, schreibt Europol. Sie werden als Straßendealer eingesetzt, aber auch als Drogenkuriere, Lagerverwalter oder beim Raub oder Diebstahl von Drogen in großen Mengen. Die Anwerber aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität suchen ihren Nachwuchs laut Europol gezielt in sozialen Medien und sprechen vorwiegend 13- bis 17-Jährige an. „Wir setzen alles daran, Beteiligte zu identifizieren und zu überführen“, betonte Kripochef Esser weiter.
Esser geht davon aus, dass junge angeworbene Straftäter auch für die Explosionen vor der Disko „Vanity“ auf dem Hohenzollernring und Tage später vor dem Modegeschäft „LFDY“ an der Ehrenstraße verantwortlich sind. Der Sprenger von der Ehrenstraße reiste nach der Tat über den Kölner Hauptbahnhof wieder ab, vermutlich in die Niederlande. Auf den Fotos von Überwachungskameras waren Jugendliche zu erkennen. Zu ihren bisherigen Ermittlungsergebnissen bei den beiden Explosionen auf den Ringen und der Ehrenstraße geben sich die Ermittler weiter äußerst wortkarg. „Diese Verfahren werden noch im verdeckten Bereich geführt. Wir werden dazu keine Stellung nehmen“, sagte Esser weiter.