Köln – Es war einmal ein Hutmacher. Er trug einen Mantel aus knielangem Textilleder, eine karierte Weste, deren Rückseite aus weinrotem Satin gefertigt war. Seine Hemdsärmel waren mit feinen Spitzen besetzt, und auf dem Kopf trug er einen großen Hut, den ein rosafarbenes Satinband zierte. Einen Tag benötigten seine Schneider, um die schicke Kleidung herzustellen.
An Karneval vor drei Jahren hatte Herbert Geiss (30) die Rolle des Hutmachers aus "Alice im Wunderland" angenommen. Ein Kostüm von der Stange kam für ihn nicht in Frage, also ließ er es herstellen. Exquisit ist auch seine Alltagskleidung. Er trägt maßgeschneiderte Anzüge, gerne mit Nadelstreifen, ein teurer Chronograph schmückt das Handgelenk, in den Hemdsärmel sind in zartem blau seine Initialen gestickt. Er liebt die Details.
Geschichten wie die über Herbert Geiss, den König der Kostüme, beginnen meist mit "es war einmal". Denn seine Karriere ist bislang wahrlich märchenhaft verlaufen. Er war 19 Jahre alt als ihm sein Onkel das Geschäft "Deiters" in Köln-Marsdorf überließ. Inzwischen hat er sich sein persönliches Wunderland geschaffen. Heute ist er Inhaber von acht Filialen und Chef von 150 fest angestellten Mitarbeitern. In Frechen hat er das nach eigenen Angaben "größte Karnevalskaufhaus der Welt" eröffnet.
In den Maßanzug ist Herbert Geiss genauso reingewachsen wie in die Welt der Kostüme. "Anfangs musste mich die Sekretärin öfters entschuldigen, weil ich in der Berufsschule war", erzählt er und lächelt. Nach der Realschule habe er davon geträumt, etwas zu verkaufen, "auf selbstständiger Basis", betont er. Er begann eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann, später hängte er das Wirtschaftsgymnasium dran. Seit seinem zweiten Lehrjahr ist er Chef. "Der Ehrgeiz kam bei mir am ersten Tag", sagt er und wirkt, als sei er manchmal selbst von sich überrascht.
In diesen Tagen herrscht in seinen Geschäften ein Betrieb wie in einer Vorortkirche an Heiligabend. Um den Andrang zu bändigen, regelt ein Mitarbeiter in der Innenstadt-Filiale am Heumarkt den Zutritt. Die Menschenschlange vor der Tür ist zum Teil 30 Meter lang. "Ich frage mich, ob die Leute auch alle erst am 23. Dezember ihre Weihnachtsgeschenke kaufen", sagt ein Mitarbeiter. Etwa 80 Prozent des Jahresumsatzes macht Deiters in der Karnevalssession. "Feste, bei denen Verkleidungen eine Rolle spielen, nehmen aber zu", sagt Geiss. Für eines dieser Feste ist Geiss sogar ins Veranstaltungs-Business eingestiegen. In der Lanxess-Arena hat er "die größte deutsche Halloweenparty" ausgerichtet. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass Geiss zur Feier die passenden Kostüme anbietet.
Die Schaufensterpuppen in seinen Geschäften tragen dieses Jahr Schlaghosen mit Blümchenmotiv, Rüschenhemden und lockige Perücken. "Flower Power ist dieses Jahr sehr stark", sagt Herbert Geiss. Auch Kostüme für Clowns, Cowboys und Indianer seien gefragt. Und Uniformen. Allein zehn verschiedene Polizeiuniformen hängen an den meterlangen Kleiderständern in der riesigen Karnevalswelt in Frechen. Auf einer Verkaufsfläche von 5000 Quadratmetern werden 20 000 verschiedene Artikel angeboten - von der Schminke bis zum Wurfmaterial.
Seitdem Johnny Depp als Captain Jack Sparrow auf den Kinoleinwänden für Furore sorgte, schwappt Karneval eine Piratenwelle über die Straßen. Nicht nur bei Deiters ist dies das am meisten verkaufte Herrenkostüm. Und dann sind da noch die "SOS-Verkleidungen" wie Herbert Geiss sie nennt: Nonne, Mönch, Sträfling, Arzt. Das geht immer.
Bei der Kreation neuer Kostüme sind die Designer von Deiters einfallsreich. Merchandisingartikel kölscher Bands wie Brings und Bläck Fööss gehen inzwischen bei vielen Menschen als Verkleidung durch. Wer aussehen will, wie Peter Brings oder seine karotragenden Kollegen, findet sogar die passenden Schuhe. Neulich stellten sich die Musiker der Klüngelköpp als Werbegag ins Fenster des Geschäfts und mimten regungslos Schaufensterpuppen. Die Knickerbocker der Band waren am Mittwoch in manchen Größen bereits ausverkauft.
Schon seit einigen Jahren zahlt Deiters dem Festkomitee Kölner Karneval Geld für die Lizenz zur Vermarktung des Mottoschals. "Ich habe mir gedacht: Wenn es einen Mottoschal gibt, warum nicht auch ein komplettes Mottokostüm?", sagt Geiss. Nun hängen rot-weiße Latzhosen in den Geschäften, in Brusthöhe ist das kölsch-brasilianische Karnevalsmotto aufgedruckt. "Demnächst wollen wir die Angebote der hochwertigen Kostüme erweitern", verrät er.
Rein äußerlich erinnert Herbert Geiss zuweilen an den jungen Jean-Claude van Damme, der die Haare in seinen Kampffilmen immer ordentlich zurückgegelt hatte. Geiss gelt auch nach hinten. Dem Firmenchef verleiht dies eine autoritäre Strenge. Seine Freunde beschreiben ihn als "menschlich, zielstrebig und ehrgeizig". Angeblich soll er alle 150 Mitarbeiter der acht Filialen mit Namen kennen und diese bei den Weihnachtsfeiern auch persönlich vorstellen. "Ich würde behaupten, jeder Mitarbeiter würde mich mit dem Auto abholen, das beruht auf Gegenseitigkeit", sagt er.
Wer mit Herbert Geiss spricht, erlebt einen bedachten und zurückhaltenden Mann. Auf die Frage nach den "Geissens", die sich in ihrer Soap auf RTL 2 als prollige Millionärsfamilie präsentieren, antwortet der Deiters-Chef mit Schweigen. Es ist seine Art der Distanz zu seiner glamourösen Verwandtschaft. Er selbst hat voriges Jahr in der Event-Etage des LVR-Turms seinen 30. Geburtstag mit 150 Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern gefeiert. Ganz oben. Mit Blick auf Rhein und Dom.
Bereits zwei Jahre nach der Übernahme der Verantwortung ließ Herbert Geiss die zweite Deiters-Filiale in der Gürzenichstraße eröffnen. Im Jahr 2005 wagte er sich erstmals über die Stadtgrenzen hinaus und eröffnete einen Laden in Bonn. Es folgten Leverkusen, Bergisch Gladbach, Düren und Düsseldorf und ein Shop in der Lanxess-Arena. Ob dies das Ende der Expansion ist? "In Köln gibt es zwei Standorte, die ich interessant finde", sagt er. Es klingt, als habe Geiss noch Visionen.
Die Kostüme lässt der Geschäftsmann in China produzieren, wo die Firma auch über ein eigenes Büro verfügt. Deiters beliefert Geschäfte wie Kaufhof und die Metro mit Kostümen. "Der Erfolg ist da. Am Ende macht das alles stolz", sagt Geiss.
In der "heißen Phase", wie Geiss die Karnevalszeit nennt, sitze er morgens um 7.15 Uhr im Büro und komme abends um acht nach Hause. Hin und wieder zieht es ihn zum Nürburgring, wo er sich in einen Mini mit 300 PS setzt ("die Ultimo-Version") und die Nordschleife rasant in 7:20 Minuten bewältigt. "Ich bin schon länger nicht gefahren. Schließlich trage ich viel Verantwortung", sagt er.
Aus seiner Verkleidung für dieses Jahr macht Geiss ein Geheimnis. Der Hutmacher von damals ist kein Einzelstück geblieben. Das Kostüm wird inzwischen in Serie produziert.