In unserer Serie "Expedition Endstation" fahren wir die KVB-Bahnlinien bis zum Ende durch.
Michael Fuchs nahm die Linie 16 nach Niehl und erlebte in dem einstigen Fischerdorf reizvolle Kontraste zwischen Dorfleben, Industriekulisse und Natur.
Köln – Der erste Eindruck nach dem Aussteigen erinnert eher an die Berliner Stadtautobahn als an Rheinromantik. Zur Linken donnert hoch über den Köpfen der Verkehr über die Brücke der Industriestraße. Rechts zwängen sich Autos durch die schmale Sebastianstraße. Ein Blick zurück auf die gleichnamige Endhaltestelle verblüfft Ortsunkundige: "Bonn Bad Godesberg" steht auf der Bahn. Der Direktanschluss an die frühere Bundeshauptstadt mit der Linie 16 besteht seit 2003.
Eines der ältesten Veedel
"Willkommen in Niehl, einem der ältesten Stadtteile Kölns", begrüßt mich Bernd Valjeur (70), Vorsitzender des Niehler Bürgervereins. Der gebürtige Brandenburger lebt seit 1961 in Niehl, er ist stolz auf sein Veedel. "Der Stadtteil wächst, es wird viel gebaut, Familien ziehen hierher." Auch Integration werde groß geschrieben. "Als die Stadt vor Jahren 80 geflüchtete junge Männer in der Turnhalle der Grundschule unterbrachte, hat sich eine Willkommensinitiative gegründet, die ehrenamtlich Sprachkurse angeboten hat."
Doch es gibt auch Probleme. Noch immer sei Alt-Niehl - der Teil nördlich der Industriestraße - stark von Durchgangsverkehr und parkenden Autos geprägt. Zudem fehle es an Geschäften, so Valjeur. "Wir haben zwar mit St. Agatha ein eigenes Krankenhaus im Ort, aber keine Apotheke." Auch eine Bankfiliale sucht man in Alt-Niehl vergebens. Und als 2011 mit "Kaiser's" der letzte Supermarkt im Veedel dicht machte, war das laut Valjeur "eine Katastrophe für die Menschen hier".
Doch dann wurde noch eine Erfolgsgeschichte daraus. Der Nippeser Integrations- und Qualifizierungsverein "Zug um Zug" eröffnete 2012 an der Sebastianstraße 186 einen "Nahkauf"-Supermarkt mit Rewe-Sortiment, der in der Mehrzahl schwerbehinderte Mitarbeiter beschäftigt. Bis heute versorgt er die Niehler mit allen Dingen des täglichen Bedarfs.
Griechische Gastfreundschaft in Niehl
Ein Stück weiter sorgt Konstantinos Papadopoulos (51) mit griechischer Gastfreundschaft für das leibliche Wohl. Die auf Corona-Abstand gestellten Tische im Biergarten sind gut gefüllt. Der Wirt des Traditionslokals "Bei d'r Bunn" begrüßt uns und will wissen, ob Valjeur ihm nicht ein paar von den Wassersäcken besorgen könne, die die Stadt zum Bewässern von Bäumen bereitstellt? Das erleichtere ihm die Arbeit, schon seit Wochen gieße er die Straßenbäume vor seinem Lokal. "Klar, die hast du morgen", versichert Valjeur.
Weiter geht's, wir passieren einige jahrhundertealte Häuser, daneben Baustellen, auf denen neue Wohnungen entstehen. Das einstige Fischerdorf Niehl entstand dort, wo die alte Römerstraße nach Neuss auf den Rhein traf. Noch heute zeugen viele enge, verwinkelte Pfade und Sträßchen wie die Lachsgasse, Katzengasse oder Schifferstraße mit ihren gedrungenen Fischerhäuschen von der Vergangenheit.
Am Ende der Sebastianstraße wacht am Rheinufer eine Statue des Heiligen Johannes von Nepomuk vor dem ältesten Gebäude des Ortes: Die 1260 geweihte romanisch-gotische Kirche Alt St. Katharina, das "Niehler Dömchen", ist ein architektonisches Juwel, kann aber nur nach Anmeldung besichtigt werden. Direkt vor der Kirche verläuft der Niehler Damm entlang des Rheins - sein Bau im 18. Jahrhundert machte den ständigen Überflutungen des Dorfs bei Rheinhochwasser ein Ende.
Kölns größtes Industriegebiet
Am nördlichen Horizont beherrschen die Ford-Werke das Bild, dort liegt das größte Industriegebiet Kölns. Als wichtigster Arbeitgeber habe Ford für Niehl nach wie vor große Bedeutung, betont Valjeur. In Richtung Süden überwiegen dagegen die Natureindrücke. Unter dem schattigen Laubdach der denkmalgeschützten Linden-Allee auf dem Damm tummeln sich Spaziergänger und Radfahrer. Der weite Blick über den Rhein samt Möwen am Himmel vermittelt ein Gefühl von Freiheit und der großen weiten Welt. Tatsächlich liegt Kölns Tor zur Welt nicht weit entfernt. Im Niehler Hafen, einem der größten Container-Terminals am Rhein, werden viele Waren für Köln und die Region umgeschlagen - weitgehend unbemerkt von den Kölnern.
Auf dem Weg dorthin liegt das "Gaffel im Linkewitz". Die Wirtsleute Karoline und Kalle Köckeritz haben das beliebte Ausflugslokal 2015 wiedereröffnet, bieten österreichische und mediterrane Küche. "Das Haus wurde 1790 als Fischerbörse errichtet, war mal französische Kommandantur", erzählt Kalle Köckeritz. Hinter der Fußgängerbrücke am Hafen trifft man am Rheinufer auf weitläufige Wiesen, Sandstrand und knorrige alte Bäume im Cranach-Wädchen. Flussromatik pur - die "Niehler Riviera" kann es ohne Weiteres mit ihrem Pendant in Rodenkirchen aufnehmen. Kinder planschen im Rhein, Sonnenhungrige liegen im Sand, und auf den Buhnen - in den Fluss gebaute Dämme - sitzen Angler und versuchen ihr Glück. Brassen gebe es hier viele, auch Rotaugen, manchmal fange er einen Zander, erklärt einer der Männer. "Wir gehen jeden zweiten Tag zum Rhein, das ist Naherholung direkt vor der Haustür", sagt Anwohner Dennis Eßer (35), der seit seiner Geburt in Niehl lebt. Als Jugendlicher sei er ständig am Rhein gewesen. "Im Winter waren wir auf der Wiese Schlittenfahren, im Sommer haben wir hier geangelt und gebadet."
Auch jetzt toben ein paar Pänz im Schutze einer Buhne im flachen Wasser. Weiter draußen ist die Strömung tückisch - dort kann das Schwimmen im Rhein lebensgefährlich sein. Was ihm an Niehl am besten gefällt? "Die Mischung aus Stadt und Dorf", meint Dennis Eßer. Man wohne abseits der Großstadt, habe hier seine Ruhe, doch alle Angebote der Metropole seien schnell erreichbar. Das sieht auch Valjeur so: "Das macht Niehl so lebenswert."
Tipps zur Einkehr
Gaffel im Linkewitz, Niehler Damm 179. Werktags 10 bis 14 und 17 bis 23 Uhr. Samstags 10 bis 1 Uhr, Sonntag 10 bis 23 Uhr Dienstag Ruhetag.
Bei d'r Bunn, Sebastianstraße, täglich 10 bis 1 Uhr, Mittwoch Ruhetag.