Aufarbeitung für das Erzbistum KölnVorsitzender Prof. Stephan Rixen im Interview
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Im Juni hat die unabhängige Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Köln ihre Arbeit aufgenommen. Über die ersten Maßnahmen und Konsequenzen sprach Raimund Neuss mit dem Vorsitzenden Prof. Stephan Rixen.
Welche Aufgaben hat ihre Kommission? Es gibt ja allein für das Erzbistum Köln bereits zwei Studien, was sind jetzt die nächsten Schritte?
Rixen: Aufgabe der Kommission ist die Aufarbeitung. Das heißt: Wir sehen uns an, wie im Erzbistum die Aufklärung von Taten und Tatvorwürfen abgelaufen ist beziehungsweise abläuft. Außerdem prüfen wir, wie die Prävention konkret umgesetzt wird. Wir sind also eine Art Aufsichts- und Beratungsgremium, das danach fragt: Was ist gut oder nicht gut organisiert, was muss verbessert werden? Auf dieser Basis formulieren wir dann Einschätzungen und Empfehlungen.
Stehen Ihnen relevante kirchliche Akten uneingeschränkt zur Verfügung? Und was ist ggf. mit Akten der staatlichen Justiz bei dort anhängig gewordenen Fällen?
Ich bin sicher, dass uns das Erzbistum alle Akten, die wir für unsere Arbeit benötigen, zur Verfügung stellt. Dabei gelten natürlich auch für uns die üblichen Bestimmungen zum Datenschutz und zur Verschwiegenheit. Der Zugang zu Akten der Justiz ist möglich. Hier gelten aber im Detail ganz unterschiedliche Regeln, etwa der Strafprozessordnung oder des Archivrechts.
Wie unabhängig ist Ihre Kommission wirklich? Auch die Vertreter des Betroffenenbeirats sind vom Erzbistum ernannt, und nach der Gemeinsamen Erklärung können Sie bestimmte Untersuchungsaufträge nur „im Einvernehmen“ mit dem Bistum vergeben.
In der Kommission haben wir uns darauf verständigt, mögliche Befangenheiten oder Interessenkonflikte offen anzusprechen. Außerdem wissen wir, dass die Öffentlichkeit genau beobachtet, was wir tun. Nötig ist eine selbstkritische Haltung, die sich immer wieder neu um Unabhängigkeit bemüht. Die Kommission kann aber nur ein Anfang sein. Eine staatliche Aufarbeitungskommission, die ohne kirchlichen Einfluss bestellt wird, wäre die beste Lösung, um Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Manche Betroffene fühlen sich von den aktuellen Vertretern, die dann ja auch in Ihrer Kommission sitzen, nicht wirklich vertreten – und im umgekehrten Fall wäre es wohl genauso. Wie gehen Sie damit um?
Wir planen, mit verschiedenen Betroffenen-Initiativen ins Gespräch zu kommen, auch um die Konflikte besser zu verstehen. Streit ist manchmal nötig, damit alles auf den Tisch kommt, was aus Sicht der Betroffenen diskutiert werden muss. Da kann man legitimerweise bei vielem anderer Ansicht sein, etwa, was man von der Kirche konkret erwartet, nicht zuletzt bei der finanziellen Entschädigung.
Was haben die beiden Gutachten unterm Strich erbracht, wo sind offene Fragen?
Wir befassen uns in der nächsten Sitzung der Kommission mit diesen Fragen, deshalb möchte ich nicht zu sehr vorgreifen. Mich bewegt eine Frage besonders: Wer hat, obwohl er etwas mitbekommen hat, geschwiegen und sich hinter angeblicher Unzuständigkeit versteckt? Der Hang, sich rauszureden, ist leider auch in der Kirche ziemlich groß. Gegen diesen Ungeist der Achtlosigkeit brauchen wir eine Kultur der Verantwortung, die hat mit Rechtsnormen relativ wenig zu tun.
Sollte das WSW-Gutachten nicht endlich an die Öffentlichkeit?
Das Erzbistum hätte den Mut haben sollen, das Gutachten zu veröffentlichen, und dann hätte man ja gesehen, ob wirklich dagegen geklagt wird. Stattdessen hat sich das Erzbistum offenbar von hochrangigen Klerikern Angst einjagen lassen, die meinen, Unrecht vertuschen und Betroffene demütigen sei völlig in Ordnung. Solchen Leuten würde ein bisschen Öffentlichkeit ganz guttun.
Zur Person:
Prof. Stephan Rixen, Jahrgang 1967, ist Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln. Rixen gehört dem Deutschen Ethikrat an. Er ist Mitglied des Deutschen Ethikrats, berät die Deutsche Bischofskonferenz in gesellschaftlichen Fragen und hat für die Bischöfe auch Empfehlungen zur Reform der Anerkennungsleitungen für die Opfer sexualisierter Gewalt mit erarbeitet.
Das Land NRW hat Rixen im Juni 2022 als Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Köln ernannt, im August wurde er zum Vorsitzender dieser Kommission gewählt. Dem siebenköpfigen Gremium gehören jeweils zwei vom Land und vom Betroffenenbeirat benannte Mitglieder an, ferner drei Mitglieder, die das Erzbistum benannt hat. Die Bildung solcher Kommissionen und ihre Aufgaben wurden zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Unabhängigen Beauftragen für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs bundesweit vereinbart. (rn)
Dann sehen sie vielleicht endlich ein, was sie mir ihrer Arroganz und Ignoranz so alles angerichtet haben. Ganz ehrlich: Bei der Vorstellung, dass diese Leute sich immer noch für würdige Priester halten, wird mir schlecht.
Seit 2018 ist viel passiert (z.B. Fall U., Fall P.). Müsste es da zuallererst eine Art Gercke-„Update“ geben?
Darüber muss man ernsthaft nachdenken, das tun wir auch in der Kommission. Es kann gut sein, dass das zu unseren Empfehlungen gehört.
Wie stark wird Ihre Kommission neben dem Verhalten kirchlicher Behörden auch die Missbrauchstaten selbst und ihre Opfer in den Blick nehmen – und was kann da noch geschehen? In welchem Verhältnis stünde das zur Arbeit der Staatsanwaltschaften? Ist eine Tatsachenaufklärung bei älteren, verjährten Fällen noch realistisch?
Wir sind eine ehrenamtlich tätige Kommission. Das heißt, wir müssen unsere Möglichkeiten realistisch einschätzen. Wir werden also nicht das leisten können, was das Gercke- und das WSW-Gutachten geleistet haben, und wir sind auch nicht die Staatsanwaltschaft. Bei der Aufklärung älterer Vorwürfe passen die strengen Maßstäbe eines Strafverfahrens ohnehin nicht, weil die mutmaßlichen Täter oft schon lange tot sind.
Die Gutachten beziehen sich auftragsgemäß auf die Zeitspanne von 1975 bis 2018, sie setzen also erst sechs Jahre nach dem Amtsantritt von Kardinal Joseph Höffner ein. Versuchen Sie noch weiter zurückzublicken?
Als unabhängige Kommission können wir weiter zurückblicken, und wir werden das tun, wenn uns das nötig erscheint. Jedem ist klar, dass es sexualisierte Gewalt im Erzbistum Köln vor 1975 gegeben hat. Kardinal Höffner hat schon 1969 das Bischofsamt von Kardinal Frings übernommen. Deshalb werden wir in der Kommission prüfen, ob ein weiter zurückreichendes Gutachten nötig ist.
Das sollte aber nicht von Rechtsanwälten erstellt werden, schon gar nicht von Rechtsanwalt Gercke – einfach, weil er Kardinal Woelki in jüngerer Zeit anwaltlich vertreten hat und ihm damit die nötige Distanz für ein neues Gutachten fehlt. Da sind jetzt unabhängige Historiker gefragt. Eine juristische Betrachtung ist wichtig, aber ein historischer Blick sieht mehr.