Rebsorten mit Wow-EffektDer Wein vom Rhein erlebt heute eine Renaissance
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Wein aus der Region ist derzeit sehr beliebt. Bei Weinfesten wird dem Getränk gehuldigt, auf Gütern stehen Weinfreunde zum Teil Schlange.
Das liegt auch an an Winzern wie Felix Pieper aus Königswinter, der schon zahlreiche Auszeichnungen für seine Weine bekommen hat.
Was macht den Rheinwein besonders? Welche Güter gibt es und was erwartet Besucher?
Die pittoresken Gässchen von Königswinter atmen allenthalben Geschichte: Hoch oberhalb des Rheinstädtchens am Rheinkilometer 645 soll der nibelungentreue Siegfried der Sage nach den mächtigen Drachen besiegt und in seinem Blut gebadet haben. Nur einen Steinwurf vom Drachenfels entfernt liegt der Petersberg, auf dem Konrad Adenauer als Bundeskanzler Geschichte schrieb, indem er sich keck auf einen reservierten Teppich stellte. Diese Position hatte das strenge Protokoll aber nur den Hohen Kommissaren der Siegermächte vorbehalten.
Aber: Gewisse Dinge lässt ein Rheinländer nicht mit sich machen. Ob Adenauer das Zustandekommen des Petersberger Abkommen im November 1949, das als erster Schritt der Bundesrepublik zu einem eigenständigen Staat gilt, mit einem Gläschen Rheinwein gefeiert hat, ist nicht überliefert, dafür aber, dass der im benachbarten Rhöndorf lebende Staatsmann den Wein genoss, der auf den steilen Hängen im Siebengebirge wächst. Dass genau diese Gewächse heute eine Renaissance erleben, liegt besonders an Winzern wie Felix Pieper aus Königswinter. Der 37 Jahre alte Diplom-Ingenieur für Weinbau und Oenologie keltert am nördlichsten Punkt des Mittelrhein-Weingebietes Weine, die im Gedächtnis bleiben.
Es hagelt rasch Auszeichnungen und Medaillen
Schwer zu sagen ist, was zuerst da war: der Trend zu regionalen Produkten, die nicht erst mit schäbiger CO2-Bilanz über den halben Globus geflogen werden müssen, ehe sie beim Kunden ankommen, oder waren es die außergewöhnlichen Gewächse auf einzigartigem Grund? „Der Trend zur Besinnung auf Regionalität hat während Corona sogar noch zugenommen“, findet Pieper.
2007 stieg er in den alt eingesessenen Familienbetrieb ein.“ Ich musste natürlich erst Erfahrung sammeln, wenn man frisch von der Uni kommt, hat man den Kopf voller Ideen, das ist nicht immer das Gelbe vom Ei“, räumt er ein. Statt sogleich alles auf links zu drehen, setzt der Jungwinzer auf Evolution statt Revolution. Pieper öffnet das Weingut für neue Rebsorten. Neben dem am Mittelrhein zu erwartenden Riesling gibt es vielfältige Grau-, Spät- oder Weißburgunder mit Wow-Effekt. Das spricht sich rum: Es hagelt rasch Auszeichnungen und Medaillen.
Den Hintergrund für diesen Erfolg sieht Pieper im Untergrund: „Unsere Reben gedeihen auf Trachytgestein“, berichtet Pieper. Der vulkanische Ursprung verleiht den Weinen eine natürliche, im Wortsinne ursprüngliche Mineralik, die nicht durch Tricks und Kniffe im Weinkeller hinzugefügt werden muss. Vor allem ist das Gestein reich an Kalium. Gemeinsam mit Natrium reguliert Kalium die Höhe des Blutdrucks. Insbesondere der Riesling profitiert von seiner Herkunft: Die Säure ist erkennbar milder als es Zunge und Gaumen von einem Riesling erwarten. „Der Wein schmeckt frisch und rauchig. Erst recht, wenn die Weine ein paar Jahre auf dem Buckel haben“, sagt Felix Pieper. Sein jüngster Coup: Er haucht in Königswinter österreichischen Veltiner-Reben eine vulkanische Seele ein. Dabei ist diese außergewöhnliche Rebsorte bekannt dafür, dass sie außerhalb Österreichs nur ungern Wurzeln schlägt. „Nun bauen wir hier den nördlichsten Veltiner Deutschlands – wenn nicht der Welt – an.“
Nachfrage nach Wein aus ökologischem Anbau ist hoch
Das weckt Begehrlichkeiten: Allerlei Lebensmittelketten klopfen bei Pieper an. Aber. Anders als etwa in den weiten, ebenerdigen Weinflächen Kaliforniens ist die Anbaufläche im Rheintal endlich. „Wir haben keine großen Expansionsflächen. Und Naturschutzflächen, die »ungenutzt« sind, lassen sich nicht umwidmen“, berichtet der 37-Jährige. Neben dem Trend zur Regionalität spielt dem Jungwinzer auch die Nachfrage nach Weinen aus ökologischem Anbau in die Karten. „Wir benutzen seit zehn Jahren keine Insektizide, seit drei Jahren keine Herbizide. Das erhöht den Aufwand in der Steillage, aber es lohnt sich, finden wir“, sagt Pieper.
Immer neue, vor allem junge Weinliebhaber finden Pieper und seine Winzerkollegen mit neuen Weinfesten wie der Mittelrhein-Offroad – einer zeitgemäßen, gechillten Art den Wein zu feiern. Mitten in den Weinbergen am Drachenfels kredenzen die „Gipfelstürmer“, wie sich die Jungriege nennt, ihre erlesenen Produkte. Nicht weit weg vom sagenumwobenen Fels zeigt sich, welch atemberaubende Tradition der Rheinwein hat. Im Weingut Broel in Rhöndorf reicht die Weinbautradition bis ins Jahr 1742. Im Kontor des Guts sind Faksimile der Gästebucheinträge von Konrad Adenauer nachzulesen. Ein Geheimnis ist, warum er dort einst seinen Hut liegenließ. Verraten sei aber, dass seine Kopfbedeckung in der Vitrine würdig in Ehren gehalten wird.
Weinproben im Internet
Ein paar Rheinkilometer aufwärts weiß auch Winzer Gotthard Emmerich in Leutesdorf, was die Zeit geschlagen hat. Wenn in Zeiten von Corona keine Weinproben in gemütlicher Runde möglich sind, bringt Emmerich seine Weine (per Post) und sich selbst (via Internet) zu den Kunden. Die Premiere der ersten digitalen Weinprobe im Mai war ein fulminanter Erfolg, berichtet Emmerich. Einwählen darf sich jeder, der mag. Emmerichs Corona-Aktion strahlt weit über den kleinen Weinort vis-à-vis von Andernach hinaus.„Sche wars! Griaß aus dem Land der Bierhumpen!“, lautet etwa eine Resonanz auf die digitale Weinprobe.
Und: Die Genießer von Emmerichs Weinen stehen Jahr für Jahr schier Schlange, um im Oktober bei der Lese im Steilhang dabei sei zu können. Der Knochenjob bringt Emmerich in eine komfortable Lage: Bei so viel Engagement kann er sogar auf Erntehelfer aus Osteuropa verzichten. „Es findet hier keine Bespaßung statt, die Helfer müssen schon was leisten“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Sommelière, Geschäftsleute oder Hotelmanager lassen sich das nicht zweimal sagen. Zentimeter für Zentimeter arbeiten sie sich den Steilhang hinauf und trennen pralle Trauben vom Stängel. Die akkurate Dienstkleidung ist gegen Jeans und Fleecepulli getauscht. Ausbezahlen lassen sich die Lesehelfer in Naturalien –solche, die nur im Weingut entstehen.
Der Weinort Königswinter, nur wenige Kilometer von Bonn entfernt, hat neben seinen Weingütern und der Gastronomie eine ganze Menge an Alternativen zu bieten. Durch Königswinter verläuft etwa der in Bonn beginnende Rheinsteig, der auf insgesamt 320 Kilometern bis nach Wiesbaden entlang des Rheinstroms und dessen Höhen verläuft. Von Königswinter aus können Wandersleute oder Radfahrer – je nach körperlicher Konstitution - die Orte Bad Honnef, das Burgunderstädtchen Unkel, Erpel mit seinem Brückenkopf der „Brücke von Remagen“ und das rheinromantische Linz erreichen. Wem zwischendurch die Puste ausgeht, kann in den Zug steigen. Im rechtsrheinischen Rheintal verkehren verschiedene Fern- und Regionalzüge.
Apropos Zug: In Königswinter fährt mit der Drachenfelsbahn die älteste betriebene Zahnradbahn Deutschlands – anno 1883 eröffnet. Auf der 1520 Meter langen Steilstrecke hoch zum Drachenfels-Plateau überwindet die Bahn 220 Höhenmeter, bei einer maximalen Steigung von 20 Prozent. Oben angekommen bietet das Plateau im Schatten der Ruine von Burg Drachenfels einen atemberaubenden Blick ins Rheintal, auf das frühere Bundesviertel in Bonn und an vielen Tagen bis zum Kölner Dom. Bei schönem Wetter sind die besten Fotostandorte an der Plateaumauer aber recht bevölkert.
Wer anschließend wieder zurück ins Tal wandern möchte, kommt an SchlossDrachenburg vorbei. Dieses frühere Fabrikantenanwesen ist heute als Museum zu besichtigen und dient oft als prachtvolle Kulisse für Filmproduktionen wie „Schtonk“ oder „Babylon Berlin“. Am meisten über die Geschichte dieses ungewöhnlichen Gebäudes erfährt der Besucher, der sich am Eingang einen Fragebogen mitgeben lässt, auf dem es allerlei Rätsel auf eigene Faust zu lösen gibt. Es werden aber auch Führungen angeboten.
In Königswinter bietet sich nicht nur bei schlechtem Wetter ein Besuch des Sealife-Aquariums gleich am Rheinufer an.
In Leutesdorf (Rheinland-Pfalz) gibt es in einem früheren Kloster eine Jugendherberge, die erst im Juni 2015 eröffnet worden ist. Teile der alten klösterlichen Gebäudesubstanz sind erhalten geblieben und zum Teil 400 Jahre alt. Die großen Rheinwiesen an der Jugendherberge sind auch als Picknickareale nutzbar. Dass jeder seinen dabei entstehenden Unrat eigenhändig wieder mitnimmt, versteht sich von selbst.
Von Leutesdorf aus lässt sich auch der auf der anderen Rheinseite gelegene Andernacher Geysir bestens beobachten. Wer das Naturschauspiel allerdings aus der Nähe betrachten und das Geräusch des berstenden Wassers direkt hören möchte, kann mit der Personenfähre die Rheinseite wechseln und den Geysir gut zu Fuß oder mit dem Rad erreichen.