Die Erfahrung im Social-Media-Wahlkampf und die Macht der Algorithmen nutzen der AfD. Aber ihre Dominanz bröckelt und andere Parteien beweisen Kreativität.
Nicht mehr nur die AfDWer im Social-Media-Wahlkampf punkten kann
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Der digitale „Shooting-Star“: Heidi Reichinnek, Spitzenkandidatin der Partei Die Linke zur Bundestagswahl 2025
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Auf den ersten Blick ist die AfD der Champion im Social-Media-Bundestagswahlkampf 2025. Ihre Dominanz ist ablesbar auf dem Analyse-Werkzeug „Sparta“ der Universität der Bundeswehr München. Im dortigen „Stimmungsbarometer“, das die Beliebtheit von Parteien auf „X“ (früher: Twitter) misst, liegen die AfD und ihre Spitzenkandidatin Alice Weidel fast durchgehend vorn, während CDU und SPD weniger durchdringen. Aber sie und andere Parteien lernen rasant dazu.
„Die Dominanz populistischer Rechtsaußen-Parteien auf den Plattformen ist nicht in Stein gemeißelt. Das ist ein spannender Befund, weil es über Jahre hinweg immer hieß, das sind die digitalen Champions“, sagt Prof. Jasmin Riedl, Leiterin des Sparta-Projekts, dieser Redaktion. Sie und ihr Team messen, wie sich die Parteien und ihre Kandidaten auf „X“, TikTok und YouTube in Szene setzen.
Auf „X“ hat die AfD die Nase vorn
Gemessen an Aufrufen und Likes auf „X“ scheint gegen die AfD kein Ankommen zu sein. Auf TiKTok und YouTube ist das Bild etwas anders. Zu den Senkrechtstartern im Social-Media-Wahlkampf zählt die Linke. Vor wenigen Monaten noch totgesagt, schaffte sie - auch wegen Social Media - die Trendwende. „Die Leute wollen sich auf Social Media nicht zuerst über Politik informieren, sondern weil sie Unterhaltung suchen“, erklärt Prof. Riedl. Besonders bei der Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek funktioniere der Übergang von Unterhaltung über Information bis zur Wahlwerbung sehr gut. „Daher wird die AfD auf TikTok vor allem durch die Linke stark herausgefordert“, so Riedl.
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Der digitale „Shooting-Star“ Reichinnek versteht, was dem Social-Media-Publikum gefällt. Sie redet schnell wie ein Rapper, packt in zehn Sekunden Video mehr Aussagen als Olaf Scholz in zehn Minuten und attackiert Unions-Spitzenkandidatin Friedrich Merz so prägnant, als wäre sie dessen Haupt-Herausforderin. Die NRW-Linke feiert – auf niedrigerem Niveau – ebenfalls Erfolge im Social-Media-Wahlkampf. Landesparteichefin Kathrin Vogler erzielte in einem TikTok-Video zur Begrüßung des 9000. Mitglieds rund 330.000 Views, ihr Video „Kapitalismus in einer Klorolle“ immerhin 16.000.
Rechtsaußen hat es im Algorithmus leichter
Die Sichtbarkeit der Parteien auf Social Media sei stark vom Algorithmus beeinflusst, erklärt Jasmin Ried, und der bevorzuge Rechtsaußen-Inhalte und negative Botschaften. Ebenfalls wichtig im Social-Media-Wahlkampf sei die Erfahrung. Die AfD habe hier einen zeitlichen Vorteil von zehn Jahren, so Riedl. Aber die Mitbewerber holten schnell auf, sogar die SPD, die lange am traditionellen Marktplatz- und Haustür-Wahlkampf klebte.
Ein Youtube- Video der NRW-SPD über die dreifache Mutter Lea, die am Ende des Monats gern mehr Geld in der Familienkasse hätte, erzielte immerhin fast 700 Aufrufe. Klingt nach wenig, ist es aber nicht. Laut Jasmin Riedl werde YouTube zu Unrecht von Parteien unterschätzt, denn Videos dort wirkten unter Umständen nachhaltiger als die auf anderen Plattformen. „Mit dem TikTok-Account von Olaf Scholz und dem Hochfahren der Social-Media-Strategie der SPD kommt ein weiterer Mitspieler hinzu, der die Linke und die AfD unter Druck setzt“, so Riedl.
Die CDU in NRW ist stolz auf ihre Video-Reihe „Pauls Sport Club“ auf YouTube, in denen Generalsekretär Paul Ziemiak Sportvereine in seinem Wahlkreis präsentiert, dafür sogar Boxhandschuhe anzieht und Elektro-Karts testet.
Der Algorithmus stellt vielen Parteien allerdings Hürden in den Weg, die sie kaum überwinden können. In einer Studie haben Forschende der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München zusammen mit italienischen Wissenschaftlern untersucht, wie der Meta-Algorithmus (Facebook, Instagram) Wahlwerbung beeinflusst. Ergebnis: Die AfD erziele viel mehr Reichweite für jeden ausgegebenen Euro als zum Beispiel die Grünen. „Wir sehen eine deutliche systematische Verzerrung bei der Auslieferung politischer Anzeigen zwischen den Parteien“, warnt der Leiter der Studie, Prof. Stefan Feuerriegel.
Union, SPD, Grüne, FDP und Linke haben ein „Fairness-Abkommen“ geschlossen, das das Digitale einschließt. „Für den digitalen Wahlkampf haben wir allen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern Empfehlungen gegeben, die unter anderem folgende Grundsätze beinhalten: Fairness und sachliche Auseinandersetzung, ein respektvoller Umgang mit den politischen Mitbewerbern, aber auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Inhalten“, erklärt ein Sprecher der CDU in NRW. Social-Media-Beiträge dürften die Nutzer nicht in die Irre führen und manipulieren.
Vor allem aber sollten die Beiträge laut Jasmin Riedl nicht von gestern sein: „Der digitale Wahlkampf ist dynamisch, ereignis- und personengetrieben. Er springt darauf an, was jetzt gerade aktuell ist, zum Beispiel die Münchener Sicherheitskonferenz.“ Top-Themen seien innere Sicherheit, Zuwanderung und Wirtschaft.