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Rundschau-Debatte des TagesWie geht es weiter in Brandenburg?

Lesezeit 5 Minuten
Ministerpräsident Woidke steht vor einer schwierigen Regierungsbildung.

Ministerpräsident Woidke steht vor einer schwierigen Regierungsbildung.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl haben die Ergebnisse der Landtagswahl nicht nur die Debatte über die Zukunft der Berliner Ampel weiter angefacht. Auch in Potsdam ist vieles unklar, denn so richtig will keine Partei mit dem Wahlsieger SPD über die neue Regierung reden.

In Brandenburg zeichnet sich nach der Landtagswahl eine schwierige Regierungsbildung ab. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) will Sondierungsgespräche zur Bildung einer Koalitionsregierung mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der CDU aufnehmen. Darüber wollte der Landesvorstand beraten. „Mein Ziel ist es, eine stabile Regierung zu bilden“, sagte Woidke in Berlin. Doch CDU und BSW zieren sich. Wichtige Gremien-Beratungen zum künftigen Kurs der Parteien stehen erst an. Die AfD kündigte an, sie wolle mit ihrer Sperrminorität die künftigen Regierungsfraktionen im Landtag unter Druck setzen.

Verhaltene Signale beim BSW

Eine Mehrheit ohne die AfD hätte Woidkes SPD künftig nur mit dem BSW. Doch dessen Signale bleiben zunächst verhalten. Man werde „keine leichtfertigen Entscheidungen treffen“, sagte BSW-Spitzenkandidat Robert Crumbach. Parteiintern würden am Mittwoch Gespräche geführt. Er könne das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Das Wahlergebnis sei nicht einfach, räumte Crumbach ein. „Es kann auch funktionieren, dass es beispielsweise eine Minderheitenregierung gibt mit nur 44 Stimmen.“ Es gehe künftig vor allem darum, eine „deutlich, deutlich, deutlich andere Politik“ zu machen.

CDU sieht sich in Opposition

Auch die Brandenburger CDU strebt nach eigener Aussage keine Gespräche mit dem bisherigen Koalitionspartner SPD an und sieht sich in der Opposition. Spitzenkandidat Jan Redmann sagte, eine Regierungsbeteiligung komme erst einmal nicht in Frage. „Wir bereiten uns auf alle Szenarien vor, auch auf die Oppositionsrolle.“ CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann sagte: „Für uns gibt es keinen Regierungsauftrag. Es gibt nämlich keine Mehrheit für SPD und CDU.“ Die CDU wolle sich keinen Gesprächen verweigern, aber: „Unser Auftrag vom Wähler ist Opposition – und den werden wir ausfüllen.“

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Heftige Kritik an Kretschmer

CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte die Unterstützung für SPD-Ministerpräsident Woidke durch den sächsischen Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) am Montag scharf. Diese habe dem Wahlkampf des eigenen Spitzenkandidaten Redmann „massiv geschadet“. Die Wortmeldung sei auch im Präsidium der CDU „auf breite Kritik gestoßen“. Kretschmer hatte knapp eine Woche vor der Landtagswahl bei einem gemeinsamen Termin mit Woidke gesagt, es sei wichtig, dass die erste politische Kraft im Land eine demokratische Partei sei. Es brauche in unsicheren Zeiten Verlässlichkeit. Auch Redmann selbst sagte am Montag, er gehe davon aus, dass die Äußerung Kretschmers zur „Demobilisierung“ der CDU-Wählerschaft beigetragen habe.

Endergebnis: Knapper Vorsprung für SPD

Die SPD erreichte bei der Landtagswahl am Sonntag nach einer Aufholjagd von Woidke 30,9 Prozent vor der AfD mit 29,2 Prozent. Der Preis für den SPD-Sieg ist hoch: Die CDU rutschte auf 12,1 Prozent. Grüne, Linke und BVB/Freie Wähler sind nicht mehr im Landtag vertreten, auch nicht über ein Direktmandat. Die SPD, die seit 1990 den Regierungschef stellt, hat zuletzt mit CDU und Grünen regiert. Diese Koalition ist nicht mehr möglich. SPD und CDU kommen nur auf 44 von 88 Stimmen, während SPD und BSW zusammen 46 Stimmen haben.

AfD sieht „neue Gestaltungsmöglichkeiten“

Die AfD im Landtag ist von 24 auf 30 Abgeordnete gewachsen. Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt gab sich offen für Gespräche mit den anderen Parteien. „Wir sind gesprächsbereit, wir sind verhandlungsbereit“, sagte er. Es komme immer auf die Inhalte an. „Da kennen wir keine Schranken und keine Brandmauern.“

Nach der erreichten sogenannten Sperrminorität geht Berndt von „neuen Gestaltungsmöglichkeiten“ aus. Er nannte den Einfluss auf die Wahl der Verfassungsrichter in Brandenburg als Beispiel. Berndt forderte zudem, die Beobachtung der AfD durch den Landesverfassungsschutz zurückzunehmen. Die Behörde in Brandenburg ordnet den AfD-Landesverband als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, Berndt selbst als Rechtsextremisten.

Die AfD hat künftig mehr als ein Drittel der Mandate und kann Entscheidungen verhindern, für die es eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht. Die Partei errang damit zum zweiten Mal nach ihrem Erfolg in Thüringen vor drei Wochen eine Sperrminorität in einem Landesparlament. Relevant wird diese zum Beispiel, wenn der Landtag aufgelöst werden soll, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Auch Verfassungsänderungen könnte die AfD künftig blockieren.

Grüne sprechen von „Horror-Landtag“

„War es das wert?“, fragte Brandenburgs enttäuschter Noch-Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke, nachdem die Strategie Woidkes verfing, sein Verbleiben im Amt mit einem SPD-Sieg zu verknüpfen. „Der Preis war viel zu hoch.“ Raschke sprach von einem „Horror-Landtag“ ohne eine progressive Kraft, die für soziale Gerechtigkeit, Umwelt- und Klimaschutz stehe. Die Grünen kritisieren seit einiger Zeit, dass die SPD sogar AfD-Positionen übernommen habe, was etwa Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen angeht.

Wieder eine Wahlschlappe für die Linke

Die Linke hofft nach dem verheerenden Wahlergebnis in Brandenburg auf einen Neustart bei ihrem Bundesparteitag im Oktober. Es gebe „tektonische Verschiebungen der Parteienlandschaft“, sagte Parteichef Martin Schirdewan. „Aber wir stehen wieder auf.“ Seine Co-Chefin Janine Wissler sprach von einer Zäsur, weil die Linke am Sonntag erstmals in ihrer Geschichte aus einem ostdeutschen Landtag herausgefallen war. Spitzenkandidat Sebastian Walter sprach von einem „desaströsen Ergebnis auch für mich persönlich“. Eigene Konsequenzen kündigte er aber nicht an.

Inhaltliche Vorstellungen unterschiedlich

SPD-Generalsekretär David Kolesnyk kündigte an, bei Sondierungsgesprächen mit CDU und BSW wolle seine Partei Wirtschaft, Stabilität und Sicherheit in den Mittelpunkt stellen. Bislang waren jedoch die Inhalte vor allem im Hinblick auf das BSW in vielen Punkten nicht deckungsgleich. Die erst wenige Monate alte Partei zeigte sich derweil selbstbewusst. „Die größten Wahlgewinner sind rein prozentual natürlich wir“, so BSW-Generalsekretär Stefan Roth. „Wir werden entschieden für eine neue Politik streiten, für eine Friedenspolitik, für eine korrigierte Migrationspolitik, für eine Politik der Abrüstung, für eine Beendigung der katastrophalen Wirtschafts- und Energiepolitik.“ (dpa/mit afp)