Düsseldorf – Es ist wie in einem Märchen: Ugur Sahin wuchs im Südosten der Türkei auf und kam mit vier Jahren nach Deutschland – nach Köln, wo sein Vater als Gastarbeiter in den Ford-Werken beschäftigt war. Nun könnte er zusammen mit seiner Frau Özlem Türeci die Welt von dem Coronavirus befreien. Gemeinsam haben sie in Mainz das Unternehmen Biontech gegründet, das als erster westlicher Hersteller vielversprechende Ergebnisse einer Impfstoff-Studie veröffentlichte.
In Köln-Niehl ging Sahin zunächst auf die Gemeinschaftsgrundschule Halfengasse, später auf das Erich-Kästner-Gymnasium. Dass er irgendwann mal in der Medizin arbeiten würde, war ihm und seinen Mitschülern bereits da klar. Nach dem Abitur 1984 studierte er an der Universität zu Köln Medizin und promovierte. Seine Doktorarbeit drehte sich um die Immuntherapie bei Tumorzellen. Ein Thema das ihn auch weiterhin begleiten sollte. Als sein Doktorvater an die Uniklinik in Homburg wechselte, ging Sahin mit. Auf der dortigen Krebsstation lernte er Özlem Türeci kennen und später lieben. Auch sie studierte an der Uniklinik des Saarlandes Medizin, gemeinsam ging das Paar in die Forschung.
Türecis Vater war Landarzt in Niedersachsen, Medizin war schon immer ihr Thema. 2008 brachte das „Traumpaar der Biotechnologie“ sein Unternehmen an den Start, das zunächst an Mitteln gegen Krebs forschte. Aufbereitete Botenstoffe aus Zellen (Messenger-RNA) sollte bei den Kranken versuchen, Angreifer für Krebszellen zu erzeugen. Als das Corona-Virus ausbrach, schaltete das Paar schnell um. Schon im Januar, nach ersten Studien zu Wuhan, lenkte es die Ressourcen der Firma in die Entwicklung des Impfstoffes. Das Prinzip bleibt das Gleiche: Nun sollen die Botenstoffe die menschlichen Zellen dazu bringen, Angreifer gegen das Coronavirus zu entwickeln.
Und weil es viel schneller gehen musste als sonst bei Impfstoffen üblich, nannten sie das Projekt „Lightspeed“, Lichtgeschwindigkeit. Nichts anderes war mehr wichtig für die Firma als diese Aufgabe.
Es gibt auch eine gute Fee in der Geschichte
Wie in einem richtigen Märchen gibt es auch eine gute Fee. Bei Biontech waren es sogar zwei: die Zw illinge Thomas und Andreas Strüngmann. Sie hatten einst Hexal gegründet, den zweitgrößten Generika-Hersteller Deutschlands, und für Milliarden an den Schweizer Konzern Novartis verkauft. Einen Teil des Erlöses steckte sie in die junge Biontech – und gaben Sahin und Türeci das nötige Kapital zum Ausbau der Firma, die heute 1300 Mitarbeiter hat. Auch die Gates-Stiftung stieg ein.
Damit verlief der Aufstieg von Biontech ähnlich wie der von Curevac, dem Tübinger Unternehmen, das ebenfalls an einem Corona-Impfstoff auf Basis der Messenger-RNA arbeitet. Auch hier verfolgte ein junger Wissenschaftler, Ingmar Hoerr, eine radikal neue Idee. Auch hier gab es eine gute Fee: SAP-Mitgründer Dietmar Hopp, der einstieg und nein sagte, als über Pläne von Donald Trump spekuliert wurde, Curevac einfach aus Deutschland wegzukaufen.
Im weltweiten Rennen um den Impfstoff aber hat Biontech die Nase vorn, gefolgt von den Konkurrenten Moderna (US A) und Astrazeneca (Großbritannien). Curevac ist zwar mit seinem Stoff auch in der klinischen Phase, die für die Zulassung entscheidend ist, aber noch nicht so weit.
Als eine Ursache für den Erfolg von Biontech gelten zwei Faktoren: Zum einen haben Sahin und Türeci früh mit Pfizer einen Partner an Bord geholt, der Geld und das Knowhow eines globalen Pharma-Konzerns mitbringt. Zum anderen waren sie schneller und verzettelten sich nicht mit internen Personalquerelen: Bereits im Juli startete Biontech die große klinische Studie mit 30.000 Probanden, deren gutes Zwischenergebnis nun lautet: Der Impfstoff-Kandidat BNT162b2 biete einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor Covid-19, schwere Nebenwirkungen seien nicht festgestellt worden, so Biontech.
Biontech-Aktie legt ordentlich zu
Börsen lieben solche Märchen: Die Biontech-Aktie legte am Montag in den USA um fast 14 Prozent zu, die Pfizer-Aktie um acht Prozent. Was für ein Aufstieg: Biontech war im Oktober 2019 mit 13 Euro an der Börse gestartet und liegt nun bei 95 Euro.
Weltweit herrschte Aufatmen an den Börsen und zogen die Kurse an. Denn ein wirksamer Impfstoff ist wie der Zaubertrank im Märchen: Global verimpft bedeutet er das Ende von Lockdowns und die Rückkehr der alten Freiheit.
Entsprechend reagierte auch die Politik. Während Donald Trump zeterte, dass Pfizer die Studien-Daten erst nach der US-Wahl verkündet habe, sicherte sich die EU-Kommission Lieferungen. Sie verhandelt seit Monaten mit Biontech über die Lieferung von bis zu 300 Millionen Impfstoffdosen. Allein Deutschland möchte bis zu 100 Millionen Dosen erhalten. Damit sei man in den Gesprächen in der EU angetreten, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Für eine Immunisierung sollen zwei Impfdosen pro Person nötig sein.
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In Mainz dürfte man das Glück kaum fassen – das Glück für die Wissenschaft wie für das Geschäft. Dabei liegt die Zentrale von B iontech an einer Straße, die sich ein Erzähler nicht besser hätte ausdenken können: „An der Goldgrube“ lautet die Adresse. Wann immer Özlem Türeci und Ugur Sahin, die gerne per Fahrrad in ihr Labor fahren, an dem Schild vorbeikamen, haben sie das womöglich als eine Verheißung gelesen. Der 55-jährige ist Vorstandschef des Unternehmens, seine drei Jahre jüngere Frau Medizin-Vorstand. Sie halten 18 Prozent der Biontech-Aktien und schafften es bereits in die Forbes-Liste unter die 100 reichsten Deutschen, mit einem Vermögen von 3,3 Milliarden Euro liegen sie auf Platz 93.
Von Vereinnahmungen ihrer Arbeit durch einen Staat wollen sie nichts wissen. „Kooperation ist ein absoluter Schlüssel für diese globale Herausforderung“, hatte Sahin im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt. „Es gibt gar keine Diskussion, ob eine Impfung nur für China, Deutschland oder Amerika zur Verfügung steht.“
Wenn nu n noch die Studien der Überprüfung durch die Zulassungsbehörden standhalten und es bei der vermuteten Wirksamkeit bleibt, wenn die Produktion wie geplant hochgefahren und der Impfstoff im Sinne Sahins fair verteilt werden kann, wird das Märchen komplett. Wie die Wissenschaftler mit dem Druck und den Hoffnungen der Welt umgehen? „Im Alltag geht das unter“, sagte Sahin unlängst. „Wir machen unsere Arbeit.“