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Interview mit Führer der Bauernproteste„Wir werden massiv auf die Straße gehen“

Lesezeit 5 Minuten
Bauernproteste in den Niederlanden

Bauern blockieren den Eingang zum Vertriebszentrum eines Supermarkts. 

Anthony Robert Lee sich mal wieder aufregt, dann greift er zum Mobiltelefon und macht sich in einem Video Luft. Er schimpft über Politik, Nichtregierungsorganisationen oder auch Journalisten, die seiner Meinung nach schlechte Arbeit machen. Die Videos werden tausendfach geschaut und geteilt, er bekommt viel Zustimmung in den Kommentaren auf Facebook. Lee verbalisiert offenbar das Unbehagen vieler gegen „die da oben“. 

Herr Lee, in den Niederlanden sind die Bauern auf den Barrikaden, weil die Regierung sie zwingen will, den Stickstoff-Ausstoß teils drastisch zu reduzieren. Wann gehen die Bauern in Deutschland wieder auf die Straße?

Wir stehen unmittelbar davor. Es gibt nur deswegen bislang keine größeren Proteste in Deutschland, weil viele Landwirte voll in der Ernte stehen, um dieses Land zu ernähren. Da hat die Politik gerade Glück. Wären die Kollegen in Holland einen Monat später auf die Straße gegangen, hätte das auch in Deutschland massive Proteste nach sich gezogen. Es gibt ja bereits kleinere Solidaritätskundgebungen überall in Deutschland. Und es war noch nie so einfach, die Bauern auf die Straße zu bekommen. Es brodelt!

Warum? Der Protest in den Niederlanden richtet sich ja gegen Regierungspläne, die nur dort gelten.

Ich merke, dass viele Bauern in Deutschland aufgewacht sind. Es gab tatsächlich noch viele Landwirte, die von den ganzen Diskussionen um den Regulierungswahn hierzulande nichts mitbekommen haben, die einfach weitergeackert haben. Aber die Schüsse auf einen Bauernjungen auf seinem Trecker in den Niederlanden haben alle Bauern mobilisiert und betroffen gemacht. Dass die Bauern politischer Spielball sind, gilt auf beiden Seiten der Grenze. Wir werden in Deutschland massiv auf die Straße gehen.

Wogegen? In Deutschland soll kein Landwirt gezwungen werden, den Stickstoff-Ausstoß seines Hofes um 95 Prozent zu reduzieren.

Nun ja, wir in Deutschland haben die Debatte um Nitrat und das Grundwasser. Das ist vergleichbar. Unter den Landwirten hat sich noch gar nicht ganz rumgesprochen, was da gerade politisch festgezurrt wurde: In vielen Regionen werden die Bauern bald nur noch deutlich weniger Dünger ausbringen dürfen. Das wurde einfach so durchgeboxt im Bundesrat. Egal, ob die Betriebe nun tatsächlich die Verursacher der mutmaßlichen Nitratbelastung sind oder andere Emittenten. Schließlich basieren die Maßnahmen auf Werten aus dem Jahr 2012 und sind dann noch nicht einmal repräsentativ: Deutschland hat die schlechtesten Werte nach Brüssel gemeldet, andere Länder nur Durchschnittswerte. Das ist wie in den Niederlanden: Da werden die Bauern einseitig belastet, und andere kommen ungeschoren davon.

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Tatsächlich gibt es doch auch Einschränkungen für andere Bereiche: zum Beispiel Filtervorschriften für die Industrie oder das landesweite Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen…

Nun gut. Aber in Deutschland werden die Bauern beim Thema Nitrat immer einseitig in die Verantwortung genommen, obwohl wir selbstverständlich nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen im Sinne der Nachhaltigkeit arbeiten. Wir sollen innerhalb riesiger roter Gebiete 20 Prozent unter dem Bedarf einer Pflanze düngen, das heißt: Schlechtere Qualität beim Getreide und damit am Ende auch weniger Ertrag. Wenn das alle Bauern realisiert haben, wird es unbequem in Deutschland. Das ist der Initialfunke. Obendrauf kommt ja noch der ganze andere Quatsch. Wo sollen wir beispielsweise überhaupt Dünger herbekommen, wenn Russland keinen Kunstdünger liefert und in Deutschland die Tierbestände reduziert werden sollen. Mit was sollen wir düngen?

Die Diskussion um Nitrat und Stickstoff ist Jahrzehnte alt. Hat die aktuelle Landwirtsgeneration einfach nur das Pech, dass nun Ernst gemacht wird?

Es wird in der aktuellen Diskussion gar nicht anerkannt, was Bauern schon geleistet haben in den vergangenen Jahren: Allein in Niedersachsen haben die Landwirte 37 Prozent Stickstoff seit 2017 eingespart. Das ist ein Erfolg. Statt das anzuerkennen, wird immer mehr gefordert. Das überfordert die Bauern. Etwa der Green Deal der EU-Kommission, der die Produktivität der Landwirtschaft weiter drücken wird, weil er den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln drastisch reduzieren soll, was Missernten und weniger Erträge zur Folge haben wird. Wahnsinn! Und gleichzeitig importieren wir weiter Ware, für die solch strenge Vorschriften nicht gelten.

Wer wird der Adressat des Protestes sein? Politik? Handel? Oder wird die Ansage wie in den Niederlanden lauten, wo die Landwirte das gesamte Land lahmlegen wollen?

Der Adressat wird die Politik sein. Denn die muss handeln. Auch gegen die starke Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel. Denn natürlich leiden die Bauern unter dem Oligopol Lidl, Aldi, Edeka und Rewe. Das kann auch so nicht weitergehen. Wie dieser Protest aussehen wird? Mal schauen. Die Probleme der Landwirtschaft sind vielfältig. Uns wird die Grundlage für unsere Arbeit entzogen. Das betrifft Tierhalter genauso wie Ackerbauern. Wir werden auf jeden Fall auf die Straße gehen und der Protest wird sehr laut. Wir wehren uns dagegen, dass man uns abschafft.

Herr Lee, Sie formulieren Ihre Thesen provokant bis populistisch. Kann eine solche Sprache nicht auch zu einer Radikalisierung der gesamten Branche führen?

Die Gefahr gibt es sicherlich. Ich werde niemals Gewalt rechtfertigen. Und das wird es bei uns in Deutschland hoffentlich auch nicht geben. Was wir brauchen, ist die Masse an Landwirten und anderer Bereiche, die ebenfalls betroffen sind, um die Dimension der Probleme deutlich zu machen. Wir stellen mit dem nachgelagerten Bereich die meisten Arbeitsplätze in Deutschland. Anders wird es die Politik nicht verstehen. Was auch viele unserer Kritiker nicht verstehen: Wir haben mehr Schnittmengen mit Fridays for Future, als das viele wahrhaben wollen. Wir Bauern können Ökologie, Naturschutz und die Erzeugung von hochwertigen Lebensmittel miteinander vereinbaren. Das haben nur noch nicht alle verstanden. Wir sind gesprächsbereit und lösungsorientiert. Aber man haut nur auf die Bauern drauf. Wo ist da die Kompromissbereitschaft? Die Bauern sind grüner als die Grünen.