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Immobilienexperte zu Pleiten„Projektentwicklung war immer schon ein riskantes Geschäft“

Lesezeit 4 Minuten
Gestiegene Kosten und Unsicherheiten haben Folgen für Bauprojekte und ihre Entwickler.

Gestiegene Kosten und Unsicherheiten haben Folgen für Bauprojekte und ihre Entwickler.

Steigende Zinsen, höhere Baukosten und Kaufzurückhaltung belasten die Branche schwer.

„Projektentwicklung war immer schon ein riskantes Geschäft“, sagt der Immobilienexperte Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Projektentwickler und auch Bauträger kümmern sich um Immobilien vom Kauf des Grundstücks über Planung und Bau bis zum Verkauf oder der Vermietung. In den letzten zehn Jahren war das ein gutes Geschäft. Jetzt sind in kurzer Folge vier Projektentwickler insolvent geworden.

Köln ist als Standort von der derzeitigen Krise am Projektentwicklungsmarkt nicht ausgenommen, so die Wohnungsbauinitiative Köln (WIK), in der 36 Akteure der Branche von Baufinanzierern über Bauunternehmen bis zu Projektentwicklern vertreten sind. „Die Insolvenz eines prominenten externen Akteurs hinterlässt eine klaffende Wunde, direkt an der Domplatte, inmitten des pulsierenden Herzens der Stadt“, teilt die WIK auf Anfrage mit. Zu viele Projekte im Mülheimer Süden seien leider mittlerweile nur noch verlassene Potenziale, die darauf hoffen, vom sprichwörtlichen „weißen Ritter“ ihrer Bestimmung zugeführt zu werden. Hier sollen auf einer ehemaligen Industriefläche Gewerbeimmobilien und Wohnungen entstehen. Dennoch, so die WIK gebe es in der ganzen Stadt Projekte, die von engagierten Akteuren, trotz nun deutlich höherer Kosten und Risiken, fortgeführt würden.

Wohnungen sind Mangelware

„Insolvenzen gibt es üblicherweise in einem übersättigten Markt“, sagt Voigtländer. Dann sinken die Preise, und erwartete Gewinne lassen sich nicht realisieren. Doch davon kann derzeit keine Rede sein. Es herrscht Knappheit an Wohnungen. Das kann zu einem gesellschaftlichen Problem werden. Denn Wohnungen bleiben nach der Einschätzung von Voigtländer in den Metropolen knapp, allein wegen des Zuzugs. In der derzeitigen Situation droht eine Reduzierung der Baukapazität und Arbeitsplatzabbau. Sind die Kapazitäten einmal reduziert, lassen sie sich so schnell nicht mehr aufbauen, so Voigtländer. Zumal Mitarbeitende der Baubranche in andere Branchen wechseln könnten. Dann wäre es noch schwieriger, die dringend benötigten Wohnungen zu bauen.

Verkäufer müssten abwarten. Doch das kann nur, wer ausreichend Eigenkapital hat und über die nötige Liquidität verfügt. Junge Unternehmen haben das manchmal nicht, so Voigtländer. 16000 Projektentwickler und Bauträger gibt es in Deutschland, 3600 davon sind laut Voigtländer erst seit 2011 auf dem Markt. Schwierig wird es, wenn ein Grundstück zu teuer eingekauft wurde. Projektentwickler rechnen so: Wenn sie im Besitz des Grundstücks sind, kalkulieren sie, welche Preise ein Investor zahlt oder welche Mieten sich erzielen lassen, um nach Abzug der Baukosten eine halbwegs attraktive Rendite zu erzielen. Mit dem Bau beginnen sie, wenn sie etwa 50 Prozent der Fläche vermarktet haben, um ihre Kosten decken.

Steigende Baukosten und Zinsen als Problem

Doch jetzt geht manche Rechnung nicht mehr auf. Das sieht auch Kristel Degener, Leiterin Wirtschaft und Politik der IHK Köln so: „Die gesamte Bauwirtschaft hat mit Schwierigkeiten in Form von gestiegenen Baukosten (Rohstoffen) und Zinsen, langen Planungs- und Genehmigungsverfahren, gestiegenen Energiekosten, Fachkräftemangel und Flächenknappheit zu kämpfen.“ Diese Faktoren führten in der gesamten Bauwirtschaft zu steigenden Preisen. Wer bereits gebaut hat, muss vielleicht mit Verlust verkaufen, so Voigtländer. Käufer sind schwer zu finden. Im Vergleich zu den letzten Jahren liegt die Zahl der Verkäufe laut Voigtländer nur bei etwa einem Zehntel.

Wer noch nicht gebaut hat, wartet oft ab. Es gebe längere Projektzeiten, verzögerten Projektbeginn und sogar Baustopps, so Degener. Ungebrenzt abwarten geht aber nicht. Die Kosten für Gehälter laufen weiter und auch die Finanzierungskosten, so Voigtländer. Da könnten Entwickler und Bauträger das Grundstück zu Geld machen. Grundstücke sind preisstabil, aber auch für sie finden sich derzeit kaum Käufer.

Die Liquidität der Projektentwickler sei zuletzt stark dahingeschmolzen, so der Kreditversicherer Atradius. „Wir gehen davon aus, dass sich das Zahlungsrisiko in der Branche in den kommenden Monaten weiter erhöhen wird“, prognostiziert Frank Liebold, Country Director Deutschland bei Atradius. Laut aktuellen Zahlen stieg die Zahl der Bauinsolvenzen im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum um neun Prozent. Für das Gesamtjahr rechnet Atradius mit einem Anstieg zwischen 15 und 20 Prozent.

Die WIK spricht von einer besonders komplexen Lage: „In anderen Zeiten könnten wir darauf vertrauen, dass der Markt alles regelt. Dazu fehlt allerdings die Zeit, denn neuer Wohnraum wird jetzt benötigt.“ Ein umfassender „Wohnbaupakt“, an dem sich sowohl die Wohnungswirtschaft als auch die Politik auf allen Ebenen beteiligt, scheine unerlässlich. Nur durch gemeinsames Handeln könne diese Krise bewältigt und die größte Not gelindert werden, so die WIK. Bund, Land und Kommune müssten ihre Politik rekalibrieren hinsichtlich Abbau von Bürokratie, Reduzierung wohnungsbaubezogener Steuern und gezielter Förderung. Dabei könnten auch bessere Abschreibungsmöglichkeiten auf Bundesebene und die Senkung der Grunderwerbsteuer auf Länderebene ein Anfang sein.


Der Immobilienmarkt

Der Immobilienmarkt leidet zwar unter höheren Zinsen. Eingebrochen sind die Preise aber nicht. Laut dem vdp-Immobilienpreisindex gingen die Preise im Vergleich zum Vorquartal um 1,1 Prozent zurück, im Vergleich zum Vorjahresquartal um 6,4 Prozent. „Der Rückgang verliert an Dynamik“, heißt es bei den vdp-Experten. Experten sprechen von einer Entwicklung Richtung Stagnation. Und perspektivisch würden die Zinsen sinken. (raz)