Köln – Wenn Paul mal frei hat, hat er keine Lust mehr, etwas zu unternehmen. „Lieber ruhe ich mich aus, um etwas Kraft zu tanken“, sagt er. Paul arbeitet als Luftsicherheitsassistent am Flughafen Köln/Bonn und möchte seinen echten Namen nicht verraten. Denn wer Interna ausplaudert, wird sanktioniert und schlimmstenfalls die Befähigung entzogen.
Und das wäre in diesen Tagen nur die nächste Eskalation einer Lage, die ohnehin zusehends unübersichtlicher wird. Denn vom Sicherheitspersonal am Flughafen gibt es viel zu wenig und von den Passagieren, die jetzt in den Urlaub fliegen wollen, viel zu viele.
„Schon, wenn ich morgens ins Parkhaus komme, ist alles voll“, sagt Paul. Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet er für die Luftsicherheit, „aber sowas habe ich noch nicht erlebt.“ Denn schon bei der Ankunft, ist oft der Weg versperrt. So viele Reisende sind unterwegs. „Der große Schock kommt, wenn ich an den Terminals stehe und die Menschenmassen sehe.“
Chaos an den Flughäfen – Streiks in Mallorca
Abgesagte Flüge können Reisenden den Start in den Urlaub derzeit ebenfalls verderben. In den Tagen vor dem Ferienstart häuften sich bei der Lufthansa-Tochter Eurowings an den beiden größten NRW-Flughäfen Düsseldorf und Köln die Flugabsagen. Ein Grund dafür sei, ein unerwartet hoher Krankenstand, sagte eine Unternehmenssprecherin. Bereits Anfang Juni hatten Eurowings und ihr Mutterkonzern Lufthansa wegen Personalmangels für Juli 900 Flüge gestrichen.
Für Mallorca-Urlauber könnte es noch schlimmer kommen: Das Kabinenpersonal von drei Billigfluglinien kündigte Streiks an. Es droht ein Chaos auf Mallorcas Airport, da auch die Putzkräfte die Arbeit niederlegen. An diesem Freitag ist der erste Streiktag, an dem die in Spanien stationierten Ryanair-Flugbegleiter am Boden bleiben wollen. Bei EasyJet und der Ryanair-Tochter Lauda Europe stehen im Juli in Spanien ebenfalls Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen an. Spaniens Regierung ordnete zwar eine Mindestversorgung an, wonach 50 bis 80 Prozent der Ryanair-Flüge garantiert werden müssen. Ob diese Regelung eingehalten wird, ist unsicher. (dpa/ze)
Und weil Paul nun mal als Mitarbeiter des Flughafens erkennbar ist, haben viele Leute Fragen an ihn. Oder sie sind sauer. Denn manche warten schon seit Stunden, obwohl sie früh genug am Flughafen waren. „Das Problem ist, dass manche Fluggesellschaften trotzdem erst zwei Stunden vor Abflug ihre Schalter öffnen“, sagt Paul. „Dann bringt es natürlich nichts, wenn die Leute schon Stunden früher am Flughafen sind.“ Den Frust bekommen dann Paul und die anderen Mitarbeitenden ab. Spätestens an der Sicherheitskontrolle. „Wir sind dann die Bösen und werden angeschnauzt.“
Uneinsichtige Passagiere verlängern die Kontrollen
Dabei ist die Situation schon belastend genug, sagt Paul. Eigentlich arbeiten sie mit sechs Leuten an einer Kontrollspur, von denen es eine linke und eine rechte gibt. Normalerweise wären sie also insgesamt zwölf Mitarbeiter. „Aber eine Position wurde uns kürzlich abgezogen“, sagt Paul. Und zwar ausgerechnet die des „Wannenrückführers“, der die Plastikkisten, wo das Gepäck der Passagiere drinliegt, wieder zurück räumt. „Das ist eigentlich die Position, wo man ein bisschen durchatmen kann.“ Jetzt fällt auch das weg. Zumindest die meiste Zeit.
„Vieles verzögert sich auch, weil die Passagiere nicht mitarbeiten“, sagt Paul. Manche seien aggressiv und beschwerten sich, weil es nicht schnell genug gehe. Obwohl sie mithelfen könnten, die Abläufe zu beschleunigen. „Aber die packen dann eben doch ihre Laptops nicht aus, oder nehmen mehr Flüssigkeit mit, als sie eigentlich dürfen.“ Dann müssen Paul und seine Kollegen auch noch diskutieren. „Der Druck ist unfassbar hoch“, sagt er und seufzt. Noch dazu sei er gefährlich. „Wir können wegen der vielen Passagiere nicht so genau kontrollieren, wie wir das eigentlich müssten.“
„Realtests“ der Bundespolizei erhöhen den Druck
Hinzu kommen die sogenannten „Realtests“ der Bundespolizei, die überprüfen sollen, ob das Sicherheitspersonal richtig arbeitet. Ein zusätzlicher Druck. Paul und seine Kollegen kennen zwar mittlerweile die Polizisten, die meistens an den Sicherheitskontrollen stehen, wenn ein solcher Test bevorsteht, aber für die restlichen Abläufe können sie nicht kontrollieren wie sonst. „Schnell und gründlich zu arbeiten, widerspricht sich hier“, sagt Paul. Die Situation erhöhe den psychischen Druck. „Mit Sicherheit hat unsere Arbeit nichts mehr zu tun - das ist reine Massenabfertigung.“
Was sein Arbeitgeber, die Firma Securitas, dazu sagt? „Die sind abgetaucht“, sagt Paul. Auf Anrufe oder Mails gebe es keine Rückmeldung. „Die Führungsspitze kriegen wir nicht mehr zu Gesicht. Das Büro ist geschlossen, es gibt keine Infos.“ Auch auf Anrufe der Rundschau-Redaktion reagiert Securitas nicht.
Vor allem der Schichtdienst ist eine große Belastung
Wie Paul und seine Kollegen das durchhalten? „Man kommt zum Dienst, macht seine Arbeit, so gut es geht. Danach gehe ich nach Hause, ruhe mich aus und dann geht es von vorne los.“ Schlimm sei vor allem der Schichtdienst. „Theoretisch beginnt rund um die Uhr jede halbe Stunde eine neue Schicht.“ Dass er zwischendurch auch plötzlich für ein paar Tage in die Nachtschicht wechseln muss, komme vor. „Das einzige, woran sich die Führungsspitze hält, sind die elf Stunden Ruhezeit, die zwischen den Schichten vorgegeben sind.“
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Es brauche dringend mehr Sicherheitspersonal am Flughafen. Zuletzt haben neun von zehn Bewerbern die Prüfung nicht bestanden, sagt Paul. Weil die zwei Mal durchgefallen sind, seien sie nun vorerst gesperrt und dürfen eigentlich nicht am Flughafen arbeiten. „Die werden trotzdem manchmal als Wannen-Rückführer eingesetzt, obwohl das nicht zulässig ist.“
Viele melden sich derzeit krank
Viele von Pauls Kollegen seien gerade krank, sagt er. „Die können einfach nicht mehr. Wir werden ausgepresst wie eine Zitrone.“ Andere hätten auch nach Jahrzehnten als Flugsicherheitsassistenten ihren Job hingeworfen. Auch Paul hat offene Bewerbungen. „Eigentlich ist der Job toll, aber unter diesen Umständen möchte ich nicht mehr arbeiten.“
Dabei steht das Schlimmste am Wochenende, wenn in NRW die Schulferien beginnen, erst noch bevor: Nordrhein-Westfalens größter Flughafen, Düsseldorf, rechnet allein von Freitag bis Sonntag mit über 200 000 Passagieren - in den Ferien insgesamt sogar mit drei Millionen Fluggästen. In den verkehrsreichsten Zeiten würden damit schon wieder fast so viele Passagiere abgefertigt, wie vor der Corona-Pandemie, sagte Flughafenchef Thomas Schnalke in dieser Woche. Der Flughafen Köln/Bonn rechnet während der Ferien mit 1,75 Millionen Reisenden, was rund 86 Prozent des Vorkrisenniveaus entspricht.
Paul sagt, ab Freitagnachmittag werde es besonders schlimm am Flughafen. So wie in der Nacht von Freitag auf Samstag. Wie er und seine Kollegen sich darauf vorbereiten? „Man versucht, die Dinge am laufen zu halten. Bis alles zusammenbricht.“ Und das wird passieren. Da ist sich Paul sicher. (mit dpa)