Berlin – Bei kriselnden Firmen wird derzeit ein Auge zugedrückt: Mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollen die Folgen der Corona-Krise abgemildert und eine Pleitewelle von Unternehmen verhindert werden. Dafür wurde von der Bundesregierung eigens das Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAg) aufgesetzt, das bis zum 30.April verlängert wurde. Dieses regelt, wann in Zeiten der Corona-Pandemie ein Insolvenzantrag gestellt werden muss.
Im Normalfall ist der Geschäftsführer einer Firma bei Zahlungsunfähigkeit, drohender Zahlungsunfähigkeit oder einer Überschuldung verpflichtet, innerhalb von drei beziehungsweise sechs Wochen einen Insolvenzantrag beim zuständigen Gericht einzureichen. Das neue COVInsAg hebt diese Pflicht für Firmen auf, deren Geschäft durch die Krise massiv eingebrochen ist und die nur dank staatlicher Hilfsgelder am Leben bleiben.
Gefahr des Missverständnisses der Regeln
Der Haken daran: Viele Unternehmer missverstehen das Gesetz und gehen damit ein großes Risiko ein. „Leider war die Kommunikation der Bundesregierung und des Justizministeriums lange Zeit missverständlich, sodass der Eindruck entstanden ist, jedes Unternehmen sei von der Antragstellung befreit“, sagt der Vorsitzende des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), Christoph Niering. Dies sei mitnichten der Fall, denn die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, ist durch das Gesetz nicht prinzipiell ausgesetzt. „Aktuell sind nur noch Unternehmen von den Antragspflichten befreit, die durch die Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind, einen Anspruch auf staatliche Hilfsgelder geltend machen können und durch diese Hilfsgelder Aussicht auf Beseitigung des Insolvenzgrundes haben.“ Dabei hätten einer Modellrechnung des Kreditversicherers Coface zufolge die Insolvenzen 2020 im Vergleich zu 2019 eigentlich um rund sechs Prozent steigen sollen. „In der Regel bedeutet ein Rückgang der Wirtschaftsaktivität einen Anstieg der Unternehmenspleiten“, sagt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg.
Löhne gesunken
Erstmals seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990 sind die Bruttolöhne und -gehälter pro Kopf gesunken. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mitteilte, gingen sie nach den Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung im Jahr 2020 gegenüber 2019 nominal um 0,1 Prozent zurück. Grund für den verzeichneten Rückgang sei die Corona-Krise mit einem drastischen Anstieg der Kurzarbeit und einem starken Rückgang der Zahl der geringfügig Beschäftigter. Die realen, also preisbereinigten Löhne und Gehälter lagen den Berechnungen zufolge im Jahr 2020 um 0,6 Prozent niedriger als 2019. (epd)
Patrik-Ludwig Hantzsch von Creditreform schätzt, dass nur 20 Prozent der Unternehmen überhaupt berechtigt sind, von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu profitieren. „Deswegen gehen wir davon aus, dass viele Unternehmer oder Geschäftsführer von den zahlreichen Voraussetzungen und Sonderregelungen bezüglich des Moratoriums zumindest irritiert sind und sich als Folge fälschlicherweise in Sicherheit wiegen“, so Hantzsch.
Die Folgen können gravierend sein, es besteht gar die Gefahr großer persönlicher Haftungsrisiken. Denn trotz der Unsicherheiten, die die aktuelle Situation und das neue Gesetz sowie dessen Anpassungen mit sich bringen, machen Unternehmer machen sich strafbar, wenn sie keinen Insolvenzantrag stellen, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet sind. Unwissen schützt nun mal nicht vor Strafe. „In einer späteren Insolvenz überprüfen der Staatsanwalt und der Insolvenzverwalter, ob eine Insolvenzverschleppung vorlag – das kann straf- und zivilrechtliche Haftungen nach sich ziehen“, sagt Niering vom VID. Dies kann sogar so weit gehen, dass Geschäftsführer mit ihrem Privatvermögen haften müssen – unabhängig von der Rechtsform. Und die Gefahr entdeckt zu werden, sei sehr groß, sagt Insolvenzverwalter Marc Selker.
Unternehmen müssen genau prüfen
Insolvenzverwalter Marc Selker rät betroffenen Unternehmern und Geschäftsführern deshalb, die eigene Liquiditätslage bis ins Detail zu prüfen. „Man muss wissen, wann die eigene Krisenampel von Orange auf Rot springt.“ Auch sei eine Manager-Haftpflichtversicherung eine Option, um sich zumindest gegen zivilrechtliche Haftungsrisiken zu schützen. „Aber auch da müssen Unternehmer im Nachhinein belegen können, dass sie nicht schuldhaft gehandelt haben, sonst wird die Versicherung nicht greifen.“
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Auch besteht die Gefahr von weiteren Ausfällen, da eigentlich insolvente Unternehmen anderen Marktteilnehmern nicht mehr offen kommunizieren müssen, dass sie de facto pleite sind. Die Folge sind Forderungsausfälle, die im schlimmsten Fall zu Zweitrundeneffekten, also Anschlussinsolvenzen eigentlich gesunder Unternehmen führen. Betroffenen Unternehmen empfiehlt der Experte Hantzsch daher vor allem ihr Risiko- und Lieferantenmanagement zu überprüfen.