AboAbonnieren

Renaissance im Rheinischen Revier?Braunkohle könnte Energieversorgung sichern

Lesezeit 4 Minuten

Symbolbild 

Berlin/Köln – Seit einigen Tagen pumpt Russland deutlich weniger Gas nach Deutschland – die Gasversorgungslage blieb auch zum Wochenbeginn laut Bundesnetzagentur „angespannt“. Die Debatte um Auswirkungen und Gegenmaßnahmen hält weiter an: Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil appellierte etwa an die Verbraucher, Gas zu sparen.

Auch der Energieexperte Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW geht von weiter stark steigenden Preisen aus. Sollte es zu einer weiteren Reduzierung der Lieferungen aus Russland oder gar einem Lieferstopp kommen, werde es „einen erheblichen Druck auf die Gaspreise geben“, sagt Sieverding. Er hält eine Verdrei- oder gar Vervierfachung der Endkundenpreise gegenüber dem Vorkrisenniveau für möglich. „Es droht, sehr schlimm zu werden.“

Der Gaspreis im Großhandel legte am Montag weiter zu. Am niederländischen Handelsplatz TTF kostete im Juli zu lieferndes Erdgas am Nachmittag pro Megawattstunde 127 Euro – nach knapp 118 Euro am Freitag. Am Montag vor einer Woche hatte der Preis noch 83,40 Euro betragen. Gestiegene Beschaffungspreise können mit Verzögerung auch bei Haushaltskunden für steigende Preise sorgen.

RWE: Es könnte Jahre dauern, bis sich die Preise normalisieren

Der Vorstandschef des Essener Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, rechnet nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sogar noch jahrelang mit hohen Gas- und Strompreisen. „Es wird vermutlich drei bis fünf Jahre dauern“, sagte der Manager der „Süddeutschen Zeitung“ zu den Energie-Engpässen in Deutschland. „Denn es braucht Zeit, bis neue Kapazitäten geschaffen sind und andere Staaten zusätzliche Energie liefern können.“

Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) begrüßte deshalb die am Wochenende vorgestellten Gassparpläne der Bundesregierung. Es sei auch sinnvoll, per Auktionen die Einsparpotenziale der Industrie zu fördern. Kritisch sieht Kemfert dagegen die Pläne, wieder verstärkt Kohle- statt Gaskraftwerke zur Stromerzeugung zu nutzen. „Besser als Kohle wären erneuerbare Energien – dafür sollte ein Notfallförderprogramm auf den Weg gebracht werden.“ Kohlekraftwerke zu reaktivieren könne nur die allerletzte Option sein.

Das könnte Sie auch interessieren:

Aber genau das sieht die Bundesregierung vor. Dabei könnte dann auch der eine oder andere Braunkohleblock im Rheinischen Revier eine Renaissance erleben. Dafür sorgt das sogenannte Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, das drei 300-MW-Blöcke, die noch in der Sicherheitsbereitschaft sind, betrifft. Andere Blöcke sind bereits endgültig stillgelegt.

Rheinische Braunkohle könnten verlängerte Lebenszeit erhalten

In dieser Bereitschaft befinden sich seit Oktober 2018 die Blöcke E und F in Niederaußem, die Ende September stillgelegt werden sollten. Der 300-MW-Block Neurath C wurde im Oktober 2019 in die Sicherheitsbereitschaft überführt und sollte Ende September 2023 vom Netz gehen. Während der Sicherheitsbereitschaft waren die Blöcke nur für einen sehr kurzen Einsatz vorgehalten worden, bei dem der Übertragungsnetzbetreiber die Reaktivierung bestimmt hätte (siehe Kasten).

Von der Bereitschaft zum Betrieb

Um ein Kraftwerk bereit für einen möglichen Einsatz zu halten, muss es zum Beispiel geheizt werden. Frost darf es in den riesigen Räumen nicht geben. Die Kühlwassersysteme müssen ständig durchgespült werden, wenn auch nicht so viel Wasser gebraucht wird wie im Betrieb.

Die Elektrik bleibt unter Strom, Pumpen laufen, Kesselrohre werden mit Stickstoff konserviert. Auch die Wellen der Turbinen müssen hin und wieder bewegt werden, damit sie sich nicht festsetzen.

Zehn Tage bleiben den Kraftwerksbetreibern, soll die Betriebsbereitschaft wieder hergestellt werden. Über 2000 Schritte stehen im Lastenheft, das vom Auffüllen der Kohlebunker über das Ablassen der Konservierungsstoffe, die Wiedervereinigung getrennter Kreisläufe und das Freiräumen der Bekohlungswege bis zum Vorheizen des Kessels reicht.

Rauchen müssen die Schornsteine am elften Tag wieder. Die Leistung des Kraftwerks muss dem Stromnetz dann wieder zur Verfügung stehen.

Bei der Bereitschaft, die jetzt von der Bundesregierung vorgesehen ist, geht das schneller. Anpassungen an den Kraftwerken wären nötig und auch eine Revision. Dann könnten sie aber wieder abgerufen werden und agieren im Strommarkt. Sie würden dann auch wieder längerfristig laufen können und nicht nur zur Überbrückung von kurzfristigen Engpässen. (EB)

Nach dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz ist vorgesehen, dass die drei Kraftwerksblöcke in einer Gasmangellage durch eine Anordnung der Bundesregierung an den Strommarkt zurückkehren sollen, um dort Strom zu produzieren. Bis zu diesem Abruf bleiben die Anlagen außer Betrieb. „Für den Fall, dass die Kraftwerke gebraucht werden, obliegt der marktgerechte Einsatz – wie bei allen anderen Kraftwerken auch – den Betreibern“, teilt RWE mit. Ihre Einsatzbereitschaft wird per Gesetzentwurf bis 31. März 2024 befristet. Im Anschluss werden die Kraftwerke laut RWE endgültig stillgelegt.

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, begrüßte das geplante Hochfahren von Kohlekraftwerken. „Es ist völlig richtig, dass der technisch komplizierte Ausstieg aus dem russischen Gas vorbereitet wird, um möglichen Liefereinschränkungen durch Gazprom etwas entgegenzusetzen“, sagte Hüther der „Rheinischen Post“. Für die gesamte Industrie liege die bis zum Jahresende mögliche Reduktion bei rund acht Prozent des Gaseinsatzes. „Deswegen müssen andere Verbräuche gesenkt werden, vor allem sollte wo immer möglich der Einsatz von Gas in der Stromproduktion durch andere Quellen ersetzt werden.“

Trotz des geplanten Einsatzes von mehr Kohlekraftwerken will das Bundeswirtschaftsministerium am Kohleausstieg bis 2030 festhalten.