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Reportage aus LondonSo ergreifend war das letzte Geleit für die Queen

Lesezeit 6 Minuten
Gardisten der Queen

Gardisten bei der Beerdigung der Queen 

London – 96 Schläge für 96 Jahre. So oft erklang der dunkle Ton der Glocke der Westminster Abbey. Als der Sarg der Queen mit der Krone, dem Reichsapfel und dem Zepter, eingehüllt in eine königliche Standarte, von der Westminster Hall in die Kathedrale getragen wurde, erklangen die Klänge schottischer Dudelsackmusik. Dabei waren nicht nur die Augen der Trauernden vor Ort auf ihn gerichtet, sondern diejenigen von Milliarden Menschen weltweit. Es war ein ergreifender Moment.

Dann begann das Staatsbegräbnis von Königin Elizabeth II. Die Gedenkfeier fand in jener Kathedrale statt, in welcher sie 1947 geheiratet hatte und im Jahr 1953 gekrönt wurde, ein Ort, mit welchem Britinnen und Briten viele Höhe-, aber auch Tiefpunkte der Monarchie verbinden. Mit dem Gottesdienst in London und der Beerdigung in Windsor nahmen die Royals, Großbritannien und die Welt Abschied von Elizabeth II. Es war der emotionale Höhepunkt eines langen Abschieds.

Erhabener Chorgesang

Viel Platz war nicht, als sich bekannte Persönlichkeiten und Politiker gestern dort versammelten, um der Königin die letzte Ehre zu erweisen. Rund 2000 geladene Gäste, darunter hunderte Würdenträger, Monarchen sowie Staats- und Regierungschefs, waren gekommen: US-Präsident Joe Biden, der kanadische Premierminister Justin Trudeau, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Sie sahen zu, als der Sarg der Queen, begleitet von erhabenem Chorgesang, durch die Kathedrale getragen wurde. Dahinter schritten König Charles III., seine Geschwister Prinzessin Anne, Prinz Andrew und Prinz Edward sowie die Enkel Prinz William und Prinz Harry.

Marinesoldaten zogen den Sarg von Königin Elizabeth II. auf einer Lafette, geschmückt mit der königlichen Standarte, Krone, Reichsapfel und Zepter.

Als der Dekan von Westminster, David Hoyle, seine Rede anstimmte, stand er im Zentrum der Aufmerksamkeit. „Mit Bewunderung erinnern wir uns an ihr lebenslanges Pflichtbewusstsein. Mit Zuneigung erinnern wir uns an ihre Liebe zu ihrer Familie und ihr Engagement für die Anliegen, die ihr am Herzen lagen“, sagte er. Dann stimmte der Chor die Hymne „The day thou gavest, Lord, is ended“ an. Übersetzt bedeutet es so viel wie „Der Tag, den du gabst, Herr, nun ist er beendet“. Eine Ära ging hier zu Ende. Eine neue hat für Großbritannien derweil begonnen: Gegen 12 Uhr stimmte die Trauergemeinde die Nationalhymne an – mit dem noch ungewohnten neuen Text „God save the King“.

Nach dem Gottesdienst setzte sich der Trauerzug durch das Stadtzentrum nach Windsor in Bewegung. Transportiert wurde der Sarg von Königin Elizabeth II. auf einer Lafette, gezogen von 98 Marineangehörigen. Hunderte weiterer Soldaten aus Großbritannien und Ländern des Commonwealths, Polizisten und Mitarbeiter des Gesundheitsdiensts NHS begleiteten ihn.

Mit König Charles folgten auch die übrigen Kinder der Queen dem Trauerzug zu Fuß, ebenso wie Thronfolger William und sein Bruder Harry. Die Ehefrauen sowie Williams Kinder fuhren dagegen in Limousinen bis zum Triumphbogen Wellington Arch, wo der Sarg von acht Trägern von der Lafette in einen Leichenwagen umgebettet wurde. Andrew und Harry kamen wie erwartet nicht in Uniform. Dabei waren beide im Militäreinsatz, Andrew im Falklandkrieg, Harry in Afghanistan. Allerdings sind sie keine aktiven Mitglieder der königlichen Familie mehr. Bei der Totenwache in der Westminster Hall waren sie zuvor ausnahmsweise in Uniform erschienen.

Riesiges Polizeiaufgebot

Hunderttausende säumten die Straßen der britischen Hauptstadt, um einen letzten Blick auf den Sarg und die königliche Familie zu werfen. Schon um 9 Uhr, zwei Stunden vor dem Gottesdienst, war die Prachtstraße Richtung Buckingham-Palast gesäumt von Menschenmassen. Überzeugte Royalisten hatten sich mit Tüten, Klappstühlen und Union-Jack-Flaggen eingerichtet. „Wir wollten ihr noch einmal unseren Respekt erweisen, die Atmosphäre spüren, Teil davon sein“, sagte die 35-jährige Lucy, die mit einer Freundin aus der Nähe von Liverpool gekommen war. Die Australierin Paige (26) betonte, dass es sich eigenartig anfühle, nun in einer Welt ohne Queen zu leben. „Sie war die Konstante in einer sich ständig ändernden Welt. Manchmal merkt man erst, was man hatte, wenn es nicht mehr da ist.“

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Beamte und Sicherheitspersonal waren in London omnipräsent. Laut Medienberichten waren über 10000 Beamte auf den Straßen unterwegs, dazu 1500 militärische Einsatzkräfte, darunter Fallschirmjäger und Mitglieder der Royal Navy. Die britischen Geheimdienste, der Inlandsdienst MI5 sowie das „Government Communication Headquarters“ GCHQ waren involviert, ebenso wie die Anti-Terror-Polizei. Was das kostete? Dazu wurden bislang keine Angaben gemacht.

London steht still

Die britische Hauptstadt befand sich im Ausnahmezustand, Teile der Innenstadt waren komplett abgeriegelt, einige Straßen im Regierungsviertel Westminster und in Windsor unpassierbar. Die Behörde Transport for London ging davon aus, dass sich eine Million Besucher in der Stadt aufhielten. Der Vorsitzende des Schienennetzbetreibers Network Rail, Peter Hendy, bezeichnete den Tag der Beerdigung als den größten Einsatz seit den Olympischen Spielen in London 2012. Um dem Andrang zu begegnen, wurden zusätzliche Züge eingesetzt.

Der Ansturm auf die Hauptstadt steigerte sich seit Tagen. Seit dem Tod der Queen brachten Tausende Menschen Blumen zum Buckingham-Palast und in den Green Park. Dort legten sie nicht nur Rosen oder auch Tulpen ab, sondern nahmen sich Zeit, auch die Botschaften anderer Trauernden an die Queen zu lesen, unter ihnen die 26-jährige Jenny, die gemeinsam mit Freunden in den Park gekommen war. „Wir haben keine andere Königin gekannt“, beschrieb sie ihre Gefühle.

Wie sie verfolgten die meisten Menschen das Ereignis zu Hause. Die Regierung hatte einen Feiertag ausgerufen. Anders als an einem gewöhnlichen Bank Holiday, wie die staatlichen freien Tage genannt werden, ließen auch Supermärkte und Cafés ihre Türen zu. Damit hatten Besitzer kleinerer Kioske umso mehr zu tun.

Warteschlange als Symbol

Der Tag der Trauerfeier und der Beerdigung der Queen bedeutete auch das Ende eines anderen besonderen Ereignisses: der kilometerlangen Warteschlange, in der sich in den vergangenen Tagen jene Tausende Menschen einreihen mussten, die der aufgebahrten Monarchin in der Westminster Hall ihre letzte Ehre erweisen wollten. Die Menschenreihe wurde zu einem Ort, um gemeinsam zu trauern, aber auch um neue Freundschaften zu schließen, wie ein Mitglied des Sicherheitspersonals gestern betonte. „Ich habe immer wieder gesehen, wie sich Menschen, die sich vorher nicht kannten, umarmten und Nummern austauschten.“

Unter den Letzten, die noch am Sarg der Queen Abschied nehmen konnten, waren Lewin und Hien. Die beiden kamen am Sonntag gegen 19 Uhr zur Schlange im Zentrum Londons. „Wir haben uns spontan entschlossen, noch hinzufahren“, erzählt Lewin. „Schließlich wird hier Geschichte geschrieben.“ Sie verließen das Parlament nach neun Stunden Wartezeit, gegen 4.30 Uhr am Montagmorgen. Zum gleichen Zeitpunkt versuchten manche Menschen das Sicherheitspersonal davon überzeugen, sie doch noch durchzulassen. Vergeblich. Um 6.30 Uhr schloss Westminster Hall seine Pforten.