Nicht alle Oberberger wollten Flagge zeigen. Die Begeisterung für die Olympischen Spiele 1936 im fernen Berlin war im Oberbergischen nur sehr gedämpft.
Geschichten aus der GeschichteDie Nazi-Olympiade stieß in Oberberg auf wenig Interesse

Der Turmspringer Siegfried Viebahn war ein Vorzeigeathlet. Diese Sammelkarte zeigt ihn mit der Deutschen Meisterin Hertha Schieche.
Copyright: Sammlung Peter Ruland
Der 13. Mai 1931 war ein Glückstag für den deutschen Sport: Das Internationale Olympische Komitee gab Deutschland den Zuschlag für die Winter- und Sommerspiele 1936! Mitten in der Weltwirtschaftskrise, 13 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges.
Zwei Jahre später waren schon fast alle Publikationsorgane gleichgeschaltet und berichteten im Sinne der NSDAP, gesteuert durch das 1933 neu gegründete Propagandaministerium. Wenn dessen Empfehlungen nicht befolgt wurden, gab es eine scharfe Rüge und im Wiederholungsfall eine Bestrafung. Etwa ein temporäres Erscheinungsverbot oder die Auswechslung des verantwortlichen Chefredakteurs durch einen der NSDAP genehmen Schriftleiter, der Parteimitglied war.

Anders als dieser Bauer in Wiehl-Hückhausen sahen viele Oberberger 1936 keine Veranlassung, mit Hakenkreuzflaggen ihre Olympia-Begeisterung zur Schau zu stellen.
Copyright: Sammlung Peter Ruland
Im Oberbergischen berichteten das NSDAP-Blatt „Oberbergischer Bote“ und die in Engelskirchen erscheinende und die der katholischen Kirche nahestehende „Bergische Wacht“ als einzige noch existierende lokale Zeitungen über das tägliche Geschehen. Kurz vor Beginn der olympischen Spiele lasen die Leser des „Bergischen Boten“ über das Ziel der Spiele: „Es wird ein Wettkampf sein der besten Kräfte, die abseits von jedem politischen Hintergedanken nur vom sportlichen Ringen dem Frieden und der Völkerversöhnung dienen wollen.“
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Tatsächlich verfolgte der NS-Staat im Gegenteil politische Ziele mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele. In der Außendarstellung sollte das Dritte Reich vor der Weltöffentlichkeit erscheinen als fortschrittlich, arbeitsam und friedlich. Mit der Ausrichtung der Spiele sei ein großer Sieg des olympischen Gedankens von der friedlichen Zusammenarbeit der Völker realisiert worden, betonte der damalige Reichsinnenminister Frick in seinem Interview mit dem NSDAP-Kreisblatt „Oberbergischer Bote“ unmittelbar vor dem Start. Das Wort Frieden erlitt in den folgenden Wochen einen inflationären Gebrauch durch die deutschen Gastgeber. Dabei bot sich dem aufmerksamen Beobachter ein anderes Bild dar.
Oberberger hofften auf Touristen
Die Vorbereitungen in Berlin hatten auch leichte Auswirkungen auf das ferne Oberbergische Land. In erster Linie versprachen sich die hiesigen Gaststätten und Beherbergungsbetriebe einen Zustrom von Touristen aus dem In- und Ausland. Kölner Tourismusbetriebe meldeten bereits vor den Spielen einen noch nie dagewesenen Ansturm von Reisenden. Wer als normaler Oberberger die Olympischen Spiele miterleben wollte, suchte ein Reisebüro des „Norddeutschen Lloyd“ auf, um dort ein Ticket für Bus oder Bahn zu erstehen. Unterkunftsmöglichkeiten für kleines Geld seien in der Reichshauptstadt durch städtische Vermittlung zu finden, wusste der „Oberbergische Bote“.
Sowohl das Gummersbacher NSDAP-Blatt als auch die „Bergische Wacht“ in Engelskirchen erweiterten ihre Sportberichterstattung um mehrere Seiten. Noch einige Tage vor dem Start wandte sich der Oberbergische Bote an die Leserschaft: „Nicht allen Lesern wird es eine restlose Freude sein, daß im nun beginnenden Monat August der Sportteil der Zeitungen besonders ausgedehnt ist. Wir glauben sogar manche zu kennen, die darob unwillig werden und auf den Tisch hauen: ,der verfl… Sport!' Damit tun sie den Olympischen Spielen freilich Unrecht.“
Gummersbach macht eine unrühmliche Ausnahme: Hier sieht man nur sehr wenige Fahnen. Das ist sonderbar, sehr sonderbar!
Um diesem Desinteresse an den kommenden Weltspielen vorzubeugen, verdeutlichte das Blatt die weltumspannende Bedeutung der Olympiade: Es handele sich nicht nur um einen sportlichen Wettbewerb, sondern um ein Zusammentreffen der Jugend der Welt, diene also der Völkerverständigung und somit dem Frieden unter den Völkern. Wer jedoch die deutschen Zeitungen genau durchlas, entdeckte Zeitungsnachrichten, die nicht zu dem scheinbar friedlichen Bild der Spiele in Berlin passten. Vollständig konträr zu den öffentlichen Friedensbeschwörungen berichtete die Redaktion in derselben Ausgabe über militärische Aktionen Deutschlands und Italiens, etwa dass deren Armeen in den spanischen Bürgerkrieg eingriffen und gegen die demokratisch gewählte spanische Regierung kämpften. Dennoch wurden zum Schluss der Eröffnungsfeier 25.000 Friedenstauben aufgelassen. Dabei stiegen auch 25 Tauben vom Waldbröler Taubenverein „Heimatliebe“ auf, damit sie sich auf den Rückweg von Berlin in den heimatlichen Schlag machten. Der Oberbergische Bote hob sie hervor: „Sie waren rechte Friedenstauben, die den olympischen Gruß aus der Reichshauptstadt übermittelten.“
Gar nicht zur behaupteten Olympia-Begeisterung passte allerdings die fordernde Überschrift des „Oberbergischen Boten“ vor Beginn der Spiele: „Oberberger! Flaggen heraus zum Beginn der Olympischen Spiele!“ Mehrfach hatte die oberbergische NSDAP die Bevölkerung durch die Tageszeitungen aufgerufen, viele und große Hakenkreuzfahnen, am besten ein überwältigendes „Flaggenmeer“ aufzuziehen, wie das bei wichtigen öffentlichen Anlässen üblich war. Damit sollte die begeisterte Anteilnahme der oberbergischen Bevölkerung deutlich dokumentiert werden. Auch die NSDAP-Ortsgruppe Engelskirchen erinnerte die Bevölkerung vor dem Olympiastart noch einmal separat an die Fahnenaktion. Offenbar war man unsicher, dass sich die Bevölkerung beteiligen würde.
Selbst in Gummersbach war die Beflaggung lückenhaft
Am 3. August meldete sich die Bergische Wacht zu Wort und ordnete unmissverständlich an: „Die Volksgenossen werden aufgefordert, in größerer Zahl, als das seit dem vergangenen Sonnabend mit dem Beginn der Spiele geschehen ist, Hakenkreuzfahnen herauszuhängen, die bis zum 16. August über ganz Deutschland hängen werden!“ Die fehlende Begeisterung der Bevölkerung in Engelskirchen und später in Gummersbach schien die NSDAP zu verunsichern.
Groß war das Erstaunen der braunen Parteiführer im Oberbergischen gewesen, dass trotz des nachdrücklichen Hinweises die Beflaggung in einzelnen Orten nicht so üppig festzustellen war wie gewünscht. Unter der Überschrift „Sonderbar, sehr sonderbar!“ stellte der Oberbergische Bote nach einer Olympia-Woche fest: „Ob man durch die Ortschaften des Oberbergischen Landes wandert oder durch das benachbarte Sauerland, überall prangen die Häuser im Flaggenschmuck, allenthalben ist man der Aufforderung, aus Anlaß der Olympischen Spiele zu flaggen, nachgekommen, nur Gummersbach macht eine unrühmliche Ausnahme: Hier sieht man nur sehr wenige Fahnen. Das ist sonderbar, sehr sonderbar!“
Ausgerechnet Gummersbach, wo doch ein geborener Gummersbacher, Siegfried Viebahn, bei den Olympischen Spielen 1936 beim Turmspringen vom Zehn-Meter-Brett für die deutschen Farben starten würde (siehe unten)!
Gegen Ende der olympischen Wettkämpfe rückte der Oberbergische Bote im Rückblick mit sarkastischer Ironie die „Flaggenfreudigkeit“, speziell der Ründerother Bevölkerung, in den Blickpunkt: „Es soll an dieser Stelle jenen ,gedankt' werden, die ,geflaggt hatten.“ Außer den öffentlichen Gebäuden und Dienstwohnungen hatten nämlich keine drei Privatleute im Ort eine einzige Fahne hochgezogen. „Eine derartige Tatsache darf man wohl als sehr eigenartig bezeichnen und nur wünschen, daß bei ähnlichen ferneren Anlässen mehr Disziplin gezeigt wird“, betonte der Oberbergische Bote, enttäuscht vom Ungehorsam eines Teils der oberbergischen Bevölkerung.
Olympiateilnehmer aus Gummersbach
Am 14. und 15. August 1936 werden im Oberbergischen besonders zahlreich die Hörer und Hörerinnen der Übertragung des Berliner Radioreporters gelauscht haben. Das Turmspringen der Männer vom Zehn-Meter-Turm wurde im Olympia – Schwimmstadion ausgetragen. 26 mutige Springer wagten es, sich in das 20 mal 20 Meter große Sprungbecken zu stürzen. Vier Pflicht- und vier Kürsprünge mussten möglichst fehlerfrei ausgeführt werden: ein Kopfsprung aus dem Stand, ein Kopfsprung vorwärts mit Anlauf, ein Salto rückwärts aus dem Stand und ein Auerbachsprung aus dem Stand.
Die US-Amerikaner waren die großen Favoriten. Für Deutschland gingen ebenfalls drei Springer an den Start. Einer davon war der 25-jährige gebürtige Gummersbacher Siegfried Viebahn, der in Berlin studierte und für den SSV Berlin startete. Erwartungsgemäß belegten die US-Amerikaner am Ende die Plätze 1 und 2. Doch die deutschen Springer (Weiß, Stork und Viebahn) zeigten sich in der Pflicht und in der Kür von der besten Seite, wie der „Oberbergische Bote“ zu berichten wusste. „Weiß, Stork und Viebahn rissen die Zuschauer immer wieder zu Beifallsstürmen hin, während das Publikum auf der anderen Seite mit den Punktzahlen für die Amerikaner nicht immer ganz einverstanden war.“ Am Ende des Wettbewerbs holte sich Stork die Bronze-Medaille, und Weiß wurde Vierter. Siegfried Viebahn landete auf dem siebten Platz. Der „Oberbergische Bote“ würdigte die Leistung des Gummersbacher Wasserspringers mit der Überschrift: „Bravo, Siegfried Viebahn!“