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Nach Eklat um Sylt-Video„Für die Verfolgung freigegeben“ – Hetzjagd auf Social Media trifft die Falsche

Lesezeit 4 Minuten
Eine Frau steht in ihrer Wohnung an einem Fenster. (Symbolbild)

Eine Frau steht in ihrer Wohnung an einem Fenster. (Symbolbild)

Eine junge Frau war nie auf Sylt und hat auch keine Nazi-Parolen gesungen. In den sozialen Medien gerät sie dennoch an den Pranger.

Vor knapp einer Woche verbreitete sich ein Video von Nazi-Parolen-singenden jungen Menschen auf Sylt in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer. Der gerade einmal 14 Sekunden lange Clip hat in Deutschland eine Debatte ausgelöst, kaum ein führender Politiker hat sich inzwischen nicht zu dem Inhalt geäußert. Und auch für völlig Unbeteiligte hat die Sache nun Konsequenzen.

Für die Beteiligten selbst ist seither auch nichts mehr wie vorher. Der Staatsschutz ermittelt gegen sie, einige haben ihre Jobs verloren. Die fünf Menschen, die auf dem im Promi-Lokal „Pony“ aufgenommenen Video besonders auffallen, weil sie gut zu erkennen sind, laut rassistische Parolen zum Lied „L'Amour toujours“ singen oder gar, wie in einem Fall, den rechten Arm zu einem Hitlergruß heben, sind identifiziert.

Kampen: Beteiligte an Parolen im Pony werden in den sozialen Netzwerken mit Klarnamen genannt

Innerhalb weniger Stunden nach der Veröffentlichung teilten Nutzerinnen und Nutzer auf X (ehemals Twitter) sowie auf anderen Social-Media-Plattformen die Namen der Beteiligten. Doch nicht nur das, auch die Arbeitgeber sowie ihre Social-Media-Kanäle wurden öffentlich gemacht, teilweise sogar die Wohnorte. Insgesamt kursieren fünf Namen von Personen im Netz.

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Nicht nur in den sozialen Medien begrüßen viele diese Entwicklung, auch Armin Laschet sieht darin offenbar kein Problem. „Ich glaube, die haben aber ihren Preis bezahlt, in kürzester Zeit waren alle Namen öffentlich, sie haben alle ihren Job verloren“ erklärte Laschet am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ – und betonte, derartige Konsequenzen sollte es bei „allen diesen Vorfällen“ geben.

Medienexperte warnt vor „digitalem Pranger“ nach Sylt-Video

Medienrechtler hingegen sehen diesen Vorgang durchaus kritisch. Nach dem Sylt-Video mit rassistischen Gesängen, Nazi-Gesten und -Parolen warnt der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen vor einem „digitalen Pranger“. Die Taten seien widerlich und abscheulich und müssten auch strafrechtlich verfolgt werden, sagte Pörksen (Montagnachmittag) im Deutschlandfunk. Aber man solle in dem Zusammenhang auch die Frage stellen, „ob es nötig ist, Klarnamen zu enthüllen und Menschen in dieser Weise dann für die Verfolgung freizugeben“.

Von Rassismus, antisemitischem Gegröle und Hitlergrüßen müsse man sich aufs Schärfste distanzieren und abgrenzen, so Pörksen weiter. Doch bei aller Kritik dürfe es nicht zu einer Art digitaler Menschenjagd kommen, die durch die Sozialen Medien mit ihrem „permanent vibrierenden, hochnervösen Wirkungsnetz“ noch verstärkt würden. Da spiele es auch keine Rolle, dass die jungen Menschen in dem Club auf Sylt ihr Handeln selbst gefilmt und im Netz geteilt hätten.

Frau wird wegen Nachnamen für rassistische Parolen auf Sylt angeprangert – mit denen sie nichts zu tun hat

Besonders kritisch allerdings wird es, wenn plötzlich völlig unbeteiligte Menschen nicht nur unbegründet Hass abbekommen, sondern auch noch öffentlich als Beteiligte der auf Sylt propagierten Nazi-Parolen an den Pranger gestellt werden. So geschehen bei Anne-Marie K. Sie rückte in den sozialen Medien in den Fokus, weil sie das Pech hat, den gleichen Nachnamen wie einer der Verdächtigen in dem Fall zu tragen.

Falsch beziehungsweise schlecht informierte Nutzer und Nutzerinnen überzogen sie deshalb mit Nachrichten. „Maus, die einzigen Menschen, die raus aus Deutschland sollten, sind Menschen wie du“, lautete die erste von vielen weiteren. Sie ähneln sich, enthalten üble Beleidigungen wie „Nazi Bitch“ oder „Hure“.

Sie sei „geschockt“, sagt Anne-Marie K. in einem Statement auf Tiktok. Angesichts der hunderten Nachrichten, die im Sekundentakt bei ihr einliefen, sah sich die junge Frau dazu gezwungen, auf die Verwechslung hinzuweisen. Von dem Video distanziert sie sich, sie sei „die Letzte, die man mit Rassismus in Verbindung bringen“ könne. Es gäbe sicher andere junge Menschen, die an einer solch unverschuldeten Hetzjagd zugrunde gegangen wären, sagt das Verwechslungsopfer. „Ihr hättet sie umgebracht mit solchen Nachrichten“, behauptet Anne-Marie K.

Den Vorgang der Hetze in den sozialen Netzwerken verurteilt sie. Eine einfache Recherche im Netz hätte ausgereicht, um zu realisieren, dass es sich bei ihr nicht um die Frau aus dem Sylt-Video handele.

„Überlegt, bevor ihr etwas tut. Handelt erst, wenn ihr wirklich Fakten habt“, heißt es in dem Statement weiter. In einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gibt K. weiterhin zu bedenken, dass kein Mensch hasserfüllte Nachrichten verdient habe, auch nicht die Leute im Sylt-Video. „Sie haben nicht richtig gehandelt, sie werden dafür ihre Konsequenzen tragen müssen.“ Welche das sein werden, wird vermutlich auch ein Gericht entscheiden müssen. Der Staatsschutz ermittelt. (mit kna)