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Kölner StammzellforscherEchtes Fleisch aus dem Labor – ist das unsere Zukunft?

Lesezeit 6 Minuten
Künstliches Fleisch aus dem Labor in einer Petrischale (Symbolbild aus dem Archiv)

Künstliches Fleisch aus dem Labor in einer Petrischale (Symbolbild aus dem Archiv)

Der Kölner Stammzellforscher Jürgen Hescheler und sein Geschäftspartner haben ein zukunftsweisendes Projekt gestartet. Mit den Vorurteilen gegenüber „Laborfleisch“ wollen sie aufräumen.

Die Zellen, die Jürgen Hescheler unter dem Mikroskop sichtbar macht, sehen zunächst klein und unscheinbar aus. Doch was hier im Neurophysiologischen Institut der Universität zu Köln im Moment noch in einem Inkubator schlummert, soll die Basis für etwas ganz Großes werden: Nachhaltiges, umweltfreundliches Fleisch, das nicht durch die Schlachtung von Tieren, sondern durch Zellteilung gewonnen wird. An einer entsprechenden Methode wird zurzeit in der Region intensiv geforscht.

Laborfleisch: Echtes Fleisch ohne Tierleid

Der Kölner Stammzellforscher Jürgen Hescheler, der an der Universität zu Köln das Institut für Neurophysiologie leitet, und sein Projektpartner Ulrich Weigel haben gemeinsam mit verschiedenen Mitstreitern aus Wissenschaft und Industrie eine Initiative ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, echtes Fleisch ohne Tierleid herzustellen. Dieses Vorhaben soll nicht weniger als ein Leuchtturmprojekt in der Region werden. Das Stichwort lautet „kultiviertes Fleisch“ — dabei entsteht das Fleisch aus Stammzellen, die sich in einer kontrollierten Umgebung im Labor vermehren. Die Idee für das gemeinsame Projekt entstand vor wenigen Jahren, erzählt Weigel. Hauptberuflich arbeitet er bei einer Tochtergesellschaft der Stadt Köln, ehrenamtlich coacht er Technologieunternehmen und Start-ups in der Frühphase. „Ich habe im Bereich der sogenannten Alternativen Proteine ein Projekt in Berlin zur Insektenzucht betreut, erzählt er.

Der Kölner Stammzellforscher Prof. Dr. Jürgen Hescheler (vorne) und sein Projektpartner Ulrich Weigel im Neurophysiologischen Institut der Uni Köln.

Der Kölner Stammzellforscher Professor Jürgen Hescheler (vorn) und sein Projektpartner Ulrich Weigel im Neurophysiologischen Institut der Uni Köln. Hier wird an einer Methode zur Entstehung von kultiviertem Fleisch aus tierischen Zellen geforscht. Raab

Es sei in der EU aus ethischen Gründen aber damals schwierig gewesen, Lebensmittelproduktionen mit Insekten als Inhaltsstoff zu etablieren. „Nun kann man Proteine, die für die menschliche Ernährung essenziell sind, alternativ auf verschiedene Art und Weise produzieren. Nachdem die Proteinproduktion aus Insekten sich nicht umsetzen ließ, entstand die Idee, Fleisch als unser wichtigster Proteinlieferant alternativ mittels eines biotechnologischen Verfahrens herzustellen und diese Technologie in Deutschland hier in NRW zu etablieren.“

Fleisch aus Stammzellen – entwickelt in NRW

Weltweit entwickele sich die Technologie sehr schnell, nur noch nicht in Deutschland, so Weigel. „Ich habe dann den Kontakt zu Professor Hescheler gesucht, einem der weltweit renommiertesten Stammzellforscher. Die Stammzelltechnologie ist eine Basiswissenschaft in diesem Bereich.“

Das kultivierte Fleisch entsteht durch die Vermehrung von Zellen in großen Behältern aus Stahl, sogenannten Fermentern — diese werden auch beim Bierbrauen verwendet, erklärt Hescheler. Die dafür benötigten Stammzellen werden aus einer Gewebeprobe gewonnen, die einem Tier vorher entnommen wird. Dies sei für das Tier schmerzfrei, da bereits eine sehr kleine Probe, etwa in der Größe eines Haars, ausreicht. „Das Schöne an diesen pluripotenten Stammzellen ist, dass sie quasi unbegrenzt vermehrbar sind“, sagt Hescheler. „Die Zellen werden reprogrammiert, das heißt in ‚Alleskönner-Zellen‘ verwandelt, die dann in einen Fermenter gefüllt werden und sich mit Hilfe eines Nährmediums permanent unter Zugabe von wachstumsfördernden, sogenannten Wachstumshormonen, vermehren.“ Der Forscher betont: „Es findet keine Genmanipulation statt.“

Die Zellen wachsen im Fermenter zu Muskelfasern heran. Anschließend wird das Nährmedium herausgefiltert — das kultivierte Fleisch ähnele in diesem Stadium vom Aussehen her Hackfleisch, das durch den Fleischwolf gedreht wurde, erklären die Initiatoren des Projektes. Anschließend kann es dann zu Produkten wie etwa Hamburger weiterverarbeitet werden. Diese Herstellungsweise ähnelt laut den Initiatoren des Projekts einem Brauprozess — das Fleisch sei nicht künstlich, sondern echt. Es werde eben nur durch eine andere Methode als Schlachtung gewonnen.

Kein Tier soll dabei sterben

Das Spezielle an dem Verfahren, das gerade an Heschelers Lehrstuhl an der Universität Köln entwickelt wird, ist, dass es komplett ohne Tierleid auskommen soll. Beim „klassischen“ Kultivierungsverfahren wird zur Unterstützung des Zellwachstums nämlich ein Serum verwendet, das aus dem Blut ungeborener Kälber, also Föten, entnommen wird – das Kalb stirbt bei diesem Prozess. Das wollen Hescheler und seine Kollegen anders machen: Ihr Ansatz ist, dass statt dem Kälberfötenblut Phytohormone, also Hormone, die von Pflanzen wie Algen produziert werden, als Nährmittel zum Einsatz kommen.

Welchen Effekt die neue Methode auf Klima und Umwelt haben wird, lässt sich noch nicht einschätzen. Verlässliche Aussagen über den Ressourcenverbrauch und den CO2-Ausstoß bei der Produktion von kultiviertem Fleisch lassen sich erst dann treffen, wenn diese eines Tages im industriellen Maßstab stattfindet. Hier ist es auch entscheidend, wie viel der dann verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen stammt.

Ulrich Weigel schätzt die Methode mit dem kultivierten Fleisch jedoch als wesentlich ressourcenschonender ein als die konventionelle Massentierhaltung: „Wir können im Reaktor pro Flächeneinheit eine viel höhere Produktionskapazität realisieren als dies bei der Tierhaltung auf dem Feld oder im Stall der Fall ist.“ Flächenverbrauch und Wasserverbrauch, so Weigel, sinken dann.

Auch bei dem Aspekt des CO2-Verbrauchs sieht er Potenzial: „Wenn es gelingt, als Nährstoff für das Zellwachstum Algen im industriellen Maßstab einzusetzen und diese wiederum CO2 für ihr Wachstum benötigen, können wir hier sogar CO2-negativ werden. Technische Prozesse kosten Energie. Unser erklärtes Ziel ist es, auf erneuerbare Energien zu setzen oder uns in der Nähe eines Industriebetriebes anzusiedeln, der größere Mengen an Abwärme freisetzt.“

„Keine gesundheitlichen Risiken“

Und wie sieht es mit den Auswirkungen des Verzehrs von kultiviertem Fleisch auf den Menschen aus? „Es gibt keine gesundheitlichen Risiken beim Konsum“, sagt Hescheler entschieden. In der Massentierhaltung sehen die Initiatoren des Projekts viel größere Probleme. „Vergessen wir nicht, dass bei der Massentierhaltung hohe Dosen an Medikamenten wie Antibiotika verabreicht werden und diese dann über das Fleisch an den Menschen weitergegeben werden“, so Hescheler. „Wir wollen das kultivierte Fleisch frei von Medikamenten herstellen, um es dem Konsumenten sauberer und auch gesünder anbieten zu können.“

Zukünftig sollen sich außerdem gesättigte Fettsäuren, die bei übermäßigem Konsum zu gesundheitlichen Problemen führen können, in rotem Fleisch (also Rind, Schwein, Lamm und Wild) durch weniger schädliche Fette ersetzen lassen: „Innerhalb der EU wird derzeit in einem öffentlich geförderten Projekt daran gearbeitet, kultiviertes Fleisch mit gesünderen Fetten zu entwickeln, um den Cholesterinspiegel und das Darmkrebsrisiko zu senken“, erklärt Hescheler.

Und wenn jemand keine gesundheitlichen, sondern ethische Bedenken gegenüber dem Verzehr von kultivierten Produkten hat? Dem Bild von „in der Petrischale gezüchtetem Fleisch“ stehen die Initiatoren des Projektes kritisch gegenüber — und wollen mit potenziellen, aber skeptischen Konsumenten in den Austausch gehen. „Wir möchten gerne Menschen aufklären und ihnen die Angst nehmen, dass hier etwas passiert, was ihnen schadet“, sagt Hescheler. „Wir müssen weg von ideologischen Auseinandersetzungen hin zu fachlicher Aufklärung.“ Darüber sei auch ein Wirtschaftsethiker an dem Projekt beteiligt, der sich mit genau solchen moralischen Fragen auseinandersetzt.

Von der Teewurst bis zum Steak

Bei der Frage, ob das kultivierte Fleisch eines Tages genauso aussehen und schmecken wird wie das, was Verbraucherinnen und Verbraucher aus dem Supermarkt kennen, setzen Hescheler, Weigel und ihre Projektpartner sich für die Zukunft hohe Ziele. „Durch unsere Kooperation mit Lebensmitteltechnologen wollen wir geschmacklich höchstwertige Produkte entwickeln, sei es eine Braunschweiger Teewurst oder ein argentinisches Steak“, so Weigel. In dem tierleidfreien Produkt sollen zudem dieselben Vitamine und Nährstoffe enthalten sein wie in dem, das direkt von Kuh oder Schwein kommt – schließlich entstehen die Zellen im Fleisch aus den Fermentern im Prinzip auf dieselbe Weise wie im Tier.

Grundsätzlich, so Hescheler, könne man jeder Tierspezies Gewebeproben entnehmen und Stammzellen vermehren. „In Ländern wie den USA, den Niederlanden oder Israel, wo im Bereich kultiviertes Fleisch mit großem — auch staatlich unterstütztem — Forschungsaufwand entwickelt wird, gibt es bereits erste Produkte sowohl im Bereich Fleisch, sei es Rind, Schwein oder Hühnchen, aber auch im Bereich Fisch“, so der Stammzellforscher.