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HochseeinselRückkehr in die Heimat - Vor 70 Jahren geben die Briten Helgoland frei

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Helgoland – Das Heimweh, die Freude über die geplante Rückkehr und der starke Wind während der Bootsfahrt - an den 1. März 1952 kann sich der Helgoländer Olaf Ohlsen noch ganz genau erinnern. An diesem Tag vor 70 Jahren gaben die Briten die zerbombte und zu dieser Zeit unbewohnte Hochseeinsel frei. Als Vertreter der Helgoländer Jugend fuhr der damals 16-jährige Ohlsen mit zu der Zeremonie im Südhafen. Die seit Jahren an anderen Orten untergebrachten Helgoländer hatten lange auf diesen Augenblick gewartet. Endlich konnten sie mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat beginnen. Der Anblick der verwüsteten Insel sei trostlos gewesen, erzählt der heute 86-Jährige.

Nordseeinsel mit bewegter Geschichte

1890 übergaben die Briten Helgoland an das Deutsche Reich und erhielten dafür Teile Ostafrikas, die unter deutscher Kolonialherrschaft standen. Im Zweiten Weltkrieg wollten die Nationalsozialisten mit dem Projekt „Hummerschere“ durch Aufspülungen und Betonbauten einen riesigen Marinehafen als Flottenstützpunkt errichten, der im Notfall einen Großteil der Reichskriegsflotte aufnehmen sollte. Während des Krieges kam es zu Bombenangriffen, die die Insel unbewohnbar machten.

Am 11. Mai 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, hätten die Briten die Kontrolle übernommen, sagt der Historiker Martin Krieger von der Universität Kiel. Sieben Jahre lang nutzten sie Helgoland als Bomben-Trainingsgelände. Am 18. April 1947 sprengten die Briten zudem mit 6700 Tonnen Munition beim „Big Bang“ alle militärischen Anlagen.

Die geplante Sprengung sei als die größte nicht-nukleare Explosion aller Zeiten angekündigt worden, sagt der Historiker Jan Rüger vom Birkbeck College der Universität London. Es sei ein riesiger Krater entstanden, der das heutige Mittelland an der Südspitze der Insel bilde. „Das einzige Gebäude, das auf der Insel noch stand, war der alte Flakturm“, sagt Krieger.

Im September 1949 wurde die erste Regierung der Bundesrepublik Deutschland vereidigt. Wenig später habe der Bundestag einstimmig eine Resolution an die Alliierten verabschiedet, die Insel an Deutschland zurückzugeben, erklärt Rüger. Doch das habe die Briten wenig beeindruckt. „Der Verlust einer Felseninsel erschien den Briten keinesfalls als zu hoher Preis für das, was die Deutschen angerichtet hatten.“ Doch es habe auch dort kritische Stimmen gegeben, die die Frage gestellt hätten, warum die Royal Air Force Jahre nach Kriegsende die Insel immer noch bombardierte.

Die meisten Helgoländer waren zu dieser Zeit laut Professor Krieger im Kreis Pinneberg, auf Sylt oder in Cuxhaven untergekommen. Eine wichtige Rolle für den Zusammenhalt der versprengten Gemeinschaft hätten nicht nur die weiter bestehenden engen persönlichen Kontakte und Netzwerke, sondern auch der „Club Hallunner Moats“ (Helgoländer Freunde) gespielt.

Viele Helgoländer engagierten sich dafür, auf ihre Insel zurückzukönnen. Auch der Großvater von Olaf Goemann (82). „Meine Großeltern haben immer beratschlagt: Können wir mal wieder nach Helgoland zurück, können wir uns da wieder ein Haus bauen?“ Dieses sollte dann „Henthüs“ heißen, übersetzt heißt das laut Goemann so viel wie „Zuhause“. Das Haus wurde später tatsächlich gebaut - der Großvater aber erlebte das nicht mehr.Auch die Familie von Ohlsen engagierte sich für eine Rückkehr. Für Eltern und Großeltern habe es immer nur „Helgoland, Helgoland, Helgoland“ gegeben, sagt Ohlsen. Sein Vater habe Kontakt zu dem Historiker und Journalisten Hubertus Prinz zu Löwenstein (1906-1984) gehalten, der sich bei britischen Regierungskreisen für die Rückgabe einsetzte.

Zwei Stundenten treiben Freigabe voran

Am 20. Dezember 1950 wollten dann zwei Heidelberger Studenten die Freigabe der Insel vorantreiben. Georg von Hatzfeld (1929-2000) und René Leudesdorff (1928-2012) fuhren mit einem Kutter zum roten Felsen, um ein Zeichen des friedlichen Protests zu setzen. An einem alten Leitungsrohr hissten sie eine Europa-, eine Deutschland- und eine Helgolandflagge. Das Bild der beiden Studenten, die die Insel besetzen, sei um die Welt gegangen, sagt der Leiter des Helgoländer Museums, Jörg Andres.

Diese spektakuläre Aktion war nach Ansicht von Historiker Krieger aber nur ein Mosaikstein auf dem langen Weg zur Freigabe. Professor Rüger betont, eine Rolle habe auch der Kalte Krieg gespielt. Das nationale Thema Helgoland sei auch von der DDR an sich gerissen worden. Das hätten die Westalliierten mit Sorgen beobachtet. „Im November 1951 einigten sich die westdeutsche und die britische Regierung schließlich auf ein anderes Testgelände der Royal Air Force.“

Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) hätte die Übergabe an die Bundesrepublik Deutschland laut Rüger gerne als großen Staatsakt inszeniert. „Doch da war ein Bombentrichter neben dem anderen.“ Man habe dem Kanzler erklärt, dass nur eine kleine Fläche für eine kurze Zeremonie freigeräumt werden könne. Zu den Teilnehmern gehörten der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Friedrich Wilhelm Lübke (1887-1954), einige Helgoländer und Journalisten. Es begann der schwierige Wiederaufbau. Innerhalb weniger Jahre sei ein komplett neuer Ort entstanden, erzählt Museumsleiter Andres.

Festtag erst im Juni

Jedes Jahr gibt es am 1. März eigentlich eine große Feier in Erinnerung an die Freigabe. Doch wegen der Corona-Krise soll es laut Gemeinde diesmal erst am 18. Juni einen Festtag geben. In der St. Nicolai-Kirche ist aber in der Nacht zum Dienstag ein Mitternachts-Gottesdienst geplant. „Dann läutet auch die Helgoland-Glocke, das ist immer sehr festlich“, sagt Bürgermeister Jörg Singer (parteilos). Die Bewohner würden ihre Häuser wieder mit der Helgoland-Flagge schmücken. Am Abend sei ein Feuerwerk angekündigt. (dpa)