AboAbonnieren

Geplante Lauterbach-EntführungWer hinter der Operation „Klabautermann“ steckt

Lesezeit 4 Minuten
Unter Terrorverdacht: Sven Birkmann ist der einzige der angeklagten Umstürzler, der auf ausdrücklichen Wunsch mit vollem Namen genannt und unverpixelt gezeigt werden will.

Unter Terrorverdacht: Sven Birkmann ist der einzige der angeklagten Umstürzler, der auf ausdrücklichen Wunsch mit vollem Namen genannt und unverpixelt gezeigt werden will.

Die Gruppe „Vereinte Patrioten“ plante einen Umsturz in Deutschland und wollte einen Staat nach Vorbild des Kaiserreiches schaffen. Nun stehen die Mitglieder wegen Terrorismus-Verdachts vor Gericht.

Nach und nach kommen die angeklagten Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ in den Sitzungssaal am Oberlandesgericht (OLG) in Koblenz. Jeder begleitet von Justizmitarbeitern und in Handschellen. Eine angeklagte Frau tritt in schwarzen Socken und auf Zehenspitzen ein. Den fünf Angeklagten wird vorgeworfen, eine Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sowie den Sturz der Bundesregierung geplant zu haben. Beim Prozessbeginn am Mittwoch dauert es zunächst länger als geplant – erst rund eine halbe Stunde nach dem eigentlichen Beginn sitzen die fünf Angeklagten, und die Verhandlung kann starten.

Der Prozess um den mutmaßlich geplanten Umsturz der deutschen Regierung war mit Spannung erwartet worden. Schon vor Prozessbeginn ziehen die Angeklagten die Aufmerksamkeit auf sich, einer hat extra eine Botschaft mitgebracht. Neben einer 75-Jährigen Frau sitzen vier Männer auf der Anklagebank. Die Gruppe namens „Vereinte Patrioten“ soll laut Bundesanwaltschaft den Sturz der deutschen Regierung samt Entführung von Lauterbach geplant haben.

Botschaft mit unklarem Adressaten

Einer der Angeklagten ist Sven Birkmann. Der 55-Jährige ist der einzige der Angeklagten, der von den Medien mit vollem Namen genannt werden möchte. Noch vor Beginn der Verhandlung hält er einen Zettel auf einem Aktenordner hoch. In kyrillischer Schrift steht dort: „Mit unserem Bruder. Für Frieden und Freundschaft. Krieg gegen den Faschismus.“ Dazu sind eine blaue Taube und ein rotes Herz gemalt. An wen diese Botschaft adressiert ist, bleibt sein Geheimnis. Laut Anklage wollte die Gruppe aber den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Anerkennung der von ihnen geplanten neuen Regierung bitten.

Das ist nur ein Puzzlestück der Pläne, die so furchteinflößend wie absurd klingen: Laut Anklage wollte die Gruppe Deutschland ins Chaos und die Regierung stürzen. Zunächst sollte demnach mit Sprengstoffanschlägen die Stromversorgung zerstört werden – die Aktion trug den Namen „Silent Night“. Anschließend sollte in einer Aktion mit dem Namen „Klabautermann“ Lauterbach aus einer Talkshow entführt werden. Seine Personenschützer sollten „ausgeschaltet“ werden.

Bei einer „konstituierenden Versammlung“ in Berlin sei schließlich geplant gewesen, die Regierung abzusetzen und neue Führungspersonen zu bestimmen. Dazu sollte laut Plan auch ein Schauspieler als Bundespräsident oder Bundeskanzler im Fernsehen auftreten und die Absetzung der Bundesregierung bekanntgeben. Die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten eine Reihe von Treffen, Chats und Telefonaten vor, bei denen sie ihre Vorhaben besprochen haben sollen. Bei der Festnahme der Männer spielte ein verdeckter Ermittler eine wichtige Rolle – er hat einem der Angeklagten Waffen zum Kauf angeboten.

Mitglieder wegen Terrorismus-Verdachts vor Gericht

Die Anklage wirft ihnen vor, Gründer oder Mitglieder einer inländischen terroristischen Vereinigung gewesen sein und ein hochverräterisches Unternehmen gegen den Bund vorbereitet haben. Ihr übergeordnetes Ziel sei die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Vielmehr sollen sie eine neue Regierung nach dem Vorbild des Deutschen Kaiserreichs von 1871 geplant haben.

Mehrere der Angeklagten kündigen am Mittwoch über ihre Anwälte an, sich zu den Vorwürfen äußern zu wollen. Die Anwälte Birkmanns erzählten nach dem ersten Prozesstag von der Vorgeschichte ihres Mandanten aus Neuruppin. Er sei in einer „Provinz der DDR geboren und aufgewachsen“, sagte einer der Anwälte. Nach dem Fall der Mauer habe er eine Zeit lang in Russland gearbeitet, später sei er Finanzbuchhalter in Deutschland geworden. Während der Corona-Pandemie habe er als Ungeimpfter sein Arbeitsgebäude nicht mehr betreten dürfen. Er sei schon länger „politisch unzufrieden“ gewesen. Den Begriff „Reichsbürger“ lehne er für sich ab, auch als „Querdenker“ sehe er sich nicht, sagt sein Anwalt. „Aus Sicht unseres Mandanten ist es so, dass unser Mandant die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht beseitigen wollte, sondern wiederherstellen wollte.“

Als „politische Vordenkerin“ der Gruppe sieht die Anklage die 75-jährige Frau. Der ehemals in Mainz unterrichtenden Lehrerin war aufgrund ihres „Reichsbürger“-Gedankenguts das Ruhegehalt aberkannt worden, wogegen sie sich vergeblich juristisch zur Wehr setzte. Während des Prozesses liegt sie meist mit Arm und Kopf auf dem Tisch über einen Mülleimer gebeugt. Der wurde ihr gebracht, weil sie zu Beginn der Verhandlung sagte, sie habe Angst, sich erbrechen zu müssen. Zuvor war sie von zwei Justizmitarbeiterinnen gestützt in den Saal gekommen. In einem Beschluss des Bundesgerichtshofs hieß es, die Angeklagte sei „gesundheitlich nicht relevant“ beeinträchtigt.

Die Angeklagte soll mehrere Schriftstücke für die geplanten Aktionen verfasst haben: In einem Schreiben an den russischen Präsidenten Wladimir Putin wollte die Gruppe laut Anklage um Unterstützung werben, auch ein Schreiben an den polnischen Präsidenten Andrzej Duda soll vorgesehen gewesen sein – mit dem Verweis, dass keine Revision der deutschen Ostgrenze beabsichtigt sei. Ein Brief an Putin sei auf einem nicht mehr ermittelbaren Weg bereits versandt worden. Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch (24. Mai) fortgesetzt, nach der Anklageverlesung und einigen Anträgen war am ersten Prozesstag zunächst Schluss. (dpa)