100 Tage nach der FlutDer Kampf gegen die Kälte an der Ahr
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Der Blick nach vorn: Im Spätherbst sind die Temperaturen gesunken, der Winter steht vor der Tür.
Wie können die Häuser in den Überschwemmungsgebieten beheizt werden?
An der Ahr gibt es sogar eine provisorische Gas-Pipeline.
Draußen in der Sonne ist es seit den ersten Frostnächten wärmer als drinnen. Das Bettzeug fühlt sich klamm an, die Wand kalt. Der Nachbar hat nun – 100 Tage nach der Jahrhundertflut – Schwarzschimmel in seinem ungeheizten Schlafzimmer entdeckt. Auch im Treppenhaus des einstigen Weinguts vor der Ahrweiler Altstadt blüht der Pilz, wo in der Nacht zum 15. Juli die Ahr stand. Von den einstigen Bewohnern aus dem Erdgeschoss ist nur einer nach einer Schnellsanierung wieder eingezogen. Nach der Trauer über 134 Tote, darunter wie erst jetzt bekannt wurde eine fünfköpfige Familie, die erst wenige Wochen vor der Katastrophe aus Elsdorf nach Ahrbrück gezogen war, der andauernden Suche nach zwei Vermissten, den Aufräumarbeiten in Häusern und Straßen und dem Bau von provisorischen Brücken sind die Probleme nun andere. Der Winter kommt. Und er ist für alle gleich kalt.
Die Rentnerin Ursula H. hat sich warm angezogen. Den Holzofen in ihrem Fachwerkhaus in Ahrweiler darf sie nicht benutzen, sagt der Bezirksschornsteinfegermeister. Sie muss einen pfiffigen Fachmann auftreiben, der einen zugelassenen Ofeneinsatz installieren kann, damit es wieder eine Betriebserlaubnis gibt.
Wenn der Abriss billiger ist als die Sanierung
Denise Pfahl aus Bad Neuenahr hat derweil gar keine Perspektive auf Wärme im Winter, und auch nicht, dass sie noch lange in ihrer Wohnung bleiben darf. Die Hauseigentümer haben von „Verwertungskündigung“ gesprochen. „Die Kosten für die Sanierung übersteigen den Wert der Immobilie“, sei ihr mitgeteilt worden. Deshalb solle das Haus abgerissen werden.
Nebenan dasselbe. „Das Traurige an der Geschichte ist, dass wir von vorneherein allein gelassen worden sind und sich die Eigentümer mit uns Mietern erst fast dreieinhalb Wochen nach der Flut in Verbindung gesetzt haben. Anfang Oktober ist uns dargelegt worden, dass wir raus müssen“, sagt Pfahl. „Die Feuchtigkeit ist ins gesamte Haus gezogen, sodass mittlerweile alles kalt ist und man es merkt. Wir haben ja noch nicht mal mehr eine Übergangslösung für Gas, damit wir heizen könnten oder warmes Wasser bekämen.“ Ihr Sohn sei zum dritten Mal in Folge krank. Wegziehen will sie nicht, schließlich lebt sie seit zwei Jahren in diesem Haus.
Helfer-Camp
Lucas Bornschlegel alias „Lucas der Feuerwehrmann“ erweitert mit seinem inzwischen eingetragenen Verein für Katastrophenhilfe und Wiederaufbau „Die Ahrche“ das Helfer-Camp an der Ahrtorbrücke in Ahrweiler. Seit das THW die Verbindung zwischen Ahrweiler und der Hocheifel wieder hergestellt hat, nutzen auch Menschen aus der Altstadt das Essensangebot, Waschmaschinen, Frisör, Erste-Hilfe-Station und Werkstatt im Camp am südlichen Ahrufer. Köche, deren Arbeitsstelle mit der Flut untergegangen ist, sollen in Kürze Stefan Albert, den Koch der ersten Stunde, verstärken.
Der Verein hat zudem 1000 „Ein-Raum-Heizungen“ aufgetrieben, Klimageräte, die an eine Außenwand montiert werden und heizen können. 400 sind bereits in Stolberg, Schleiden, Bad Münstereifel und im Ahrtal verteilt. Die weiteren warten noch auf neue Besitzer. Wer es diesen Winter wegen der Flut nicht anders warm haben kann, und wo der Hauseigentümer zustimmt, beschert „Die Ahrche“ das Gerät sowie die betriebsfertige Installation komplett kostenlos. Der Verein finanziert sich aus Spenden. (mfr)
Währenddessen gibt es für die Bewohner in dem alten Weingut in Ahrweiler mit dem Schimmel im Treppenhaus Fortschritte. Die Feuerwehr hat das Haus nach einem Schmorbrand – laut Vermieter ein Hochwasserfolgeschaden – vor dem nachträglichen Aus bewahrt, und vom neuen Tank neben dem Haus darf in Kürze Gas zur neuen Heizung im Keller strömen – mehr als einen Monat, bevor der lokale Energieversorger wieder Heizgas nach Ahrweiler pumpen kann. Und der hat bereits durch Improvisation und Ausnahmen nach Katastrophenrecht die Notreparatur des Netzes um einige Monate beschleunigt. In Rekordzeit ist eine provisorische Gashauptleitung am Fuß der Weinberge vergraben worden, sogar eine provisorische Station, die den Druckunterschied zwischen Haupt- und Transportleitungen ausgleichen kann, ist aufgebaut worden, so dass bereits einige Teile der auf mehreren Hundert Metern Breite auf Erdgeschosshöhe zerstörten Stadt wieder Gas haben. Die Ahrweiler Altstadt steht beim Gasversorger für Ende November auf der Liste des Machbaren.
Auch am Bahnhof Heimersheim ist kräftig gebaut worden – dort gibt es schon wieder ein Gleis, auf dem ein Bauzug fahren kann. Mitte nächster Woche soll er kommen, dann geht es auch beim Öffentlichen Nahverkehr wieder einen Schritt nach vorne.
Dass die Folgen der Unwetterkatastrophe noch lange zu spüren sein werden, soll auch außerhalb des Ahrtals nicht vergessen werden. Dafür soll unter anderem die Beleuchtungsaktion „Grünes Licht fürs Ahrtal“ am 30. Oktober sorgen. Die Idee mit dem grünen Licht entstand unter den „Elektroseelsorgern“, einem neuen Verein, der in der Fluthilfe durch Elektriker und andere Handwerksbegabte am Walporzheimer Sportplatz gegründet wurde, als jemand einen Wasserbehälter mit einer grünen Diode ausleuchtete. Dazu soll es unter gleichem Namen eine jährliche Konzertserie geben. Die erste Ausgabe, für die Brings bereits zugesagt haben, ist für den 26. bis 28. August 2022 terminiert. Dabei seien 15 bis 20 Bühnen im gesamten Ahrtal geplant. Die Premiere soll als kostenloses Großkonzert vor allem als Dank an die Helfer stattfinden. Sponsoren werden gerade gesucht. Die Triebfeder dahinter ist Martin Stark aus Würzburg, der vor der Flut als Teleskopstapelfahrer im Raum Mainz lebte. Er hat 15 Jahre Erfahrung im Veranstaltungsbereich gesammelt und führt nebenbei eine Veranstaltungsagentur. Nach der Flut kam er mit einer Trockeneismaschine zum Helfen ins Ahrtal, blieb und entwickelte die Idee der Konzertserie.