Der Druck auf Olaf Scholz in der Taurus-Debatte wächst. Während Joachim Gauck tadelt, kommt aus Belgien ein absurder Vergleich.
Harsche Kritik am Kanzler„Verrückter“ Russland-Vergleich sorgt für Empörung – Gauck tadelt Scholz
In der Debatte um eine mögliche Lieferung deutscher Marschflugkörper des Typs Taurus steigt der Druck auf die Bundesregierung weiter. Nachdem zuletzt erneut sowohl aus den Reihen der Ampel-Parteien als auch von der Union Rufe nach einer Lieferung der Marschflugkörper laut geworden waren, hat nun auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sein Unverständnis über das Zögern von Olaf Scholz (SPD) geäußert. Der Bundeskanzler hat eine entsprechende Lieferung bisher blockiert. Harsche Kritik an Scholz kam am Sonntag (6. Januar) unterdessen auch aus dem Ausland.
Verhofstadts „verrückter“ Vergleich: Deutschland eine Autokratie wie Russland?
„Gauck, Söder, CDU, Grüne, FDP … alle drängen auf Taurus für die Ukraine“, schrieb der ehemalige belgische Premierminister und langjährige Europapolitiker Guy Verhofstadt im sozialen Netzwerk X – und zog dann einen Vergleich, der für viel Kritik und Empörung sorgen sollte. „Wie kann Scholz sich weiterhin dieser klaren Mehrheit im Bundestag widersetzen? Ist Deutschland eine Autokratie wie Russland geworden?“, fügte Verhofstadt an und unterstellte Scholz damit indirekt, das Land wie der russische Präsident Wladimir Putin zu führen.
„Als belgischer Politiker sollten Sie wissen, wie eine Regierungskoalition funktioniert“, kritisierte der Grünen-Politiker Rasmus Andresen. „Der Vergleich Deutschlands mit Russland ist verrückt und hilft überhaupt nicht“, fügte der EU-Abgeordnete an. Vassili Golod, ARD-Korrespondent in Kyiv, kritisierte Verhofstadts Worte als „populistisch und völlig daneben“, auch wenn „mehr gute Argumente“ für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine gebe, als dagegen.
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Scharfe Kritik an Vergleich von Verhofstadt: „Verrückt und hilft überhaupt nicht“
Die provokante Frage sei „Quatsch“, befand auch Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität zu Köln, kritisierte aber auch die Bundesregierung. Grüne, FDP, CDU, CSU und Teile der SPD seien für die Lieferung, nur AfD und Linke dagegen, erklärte Jäger. Mit Scholz‘ Entscheidung gegen die Lieferung von Taurus vermittele „die Bundesregierung ein Bild in der EU“, bei dem „manche Fragen an die deutsche Demokratie“ stellen würden.
Vor Verhofstadts Vergleich hatte der ehemalige Bundespräsident Gauck den Kanzler für sein Zögern bei der Lieferung der Marschflugkörper kritisiert. Der „Bild am Sonntag“ sagte Gauck, Scholz müsse sich „immer wieder einmal fragen, ob er nicht hinter seinem formulierten Anspruch zurückbleibt, alles zu tun, damit Russland nicht zu einem Sieg-Frieden kommt“.
Joachim Gauck tadelt Olaf Scholz: Zögern „nicht nachvollziehbar“
Nach Gesprächen mit Menschen, die über das „notwendige militärische Wissen“ verfügten, könne er nicht mehr nachvollziehen, „dass wir zögern, diese Waffe und weitere Munition zu liefern“, erklärte Gauck. Wenn durch das deutsche Zögern „nicht nur die Chancen der Ukraine geringer werden, sondern die Bedrohung der freien Welt größer wird“, führe das zu „Irritationen“, mahnte der ehemalige Bundespräsident.
Die Ukraine bittet schon lange um die Lieferung von Taurus. Bisher verfügen die ukrainischen Streitkräfte lediglich über Marschflugkörper des Typs Storm Shadow/Scalp aus britischer und französischer Produktion, sowie über eine geringe Stückzahl amerikanischer ATACMS-Raketen. Diese Waffensysteme haben eine Reichweite von rund 250 Kilometern.
Taurus-Marschflugkörper würden Ukraine neue Möglichkeiten eröffnen
Mit Taurus könnte die Ukraine auch mehr als 500 Kilometer entfernte Ziele attackieren. Für Kyiv wären damit erstmals Luftangriffe auf russischen Stellungen in allen von Moskau illegal besetzten Gebieten im Donbass und auf der Halbinsel Krim möglich.
Das Waffensystem gilt als modern, es soll auch aus großen Höhen und Entfernungen präzise sein Ziel treffen und zudem Bunkeranlagen zerstören können.
Ukraine gelingen mit Storm Shadow wichtige Schläge gegen Russland
Anfang Oktober hatte Scholz entschieden, vorerst keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, da mit der Waffe Angriffe auf Waffendepots und Versorgungslinien auf russischem Staatsgebiet erleichtert würden. Die Ukraine hat Großbritannien und Frankreich unterdessen zugesichert, die bisher gelieferten Marschflugkörper nicht auf russischem Territorium einzusetzen.
Mit den britischen und französischen Marschflugkörpern sind der Ukraine seit der erstmaligen Lieferung im Mai 2023 mehrere erfolgreiche Angriffe gelungen. Sowohl bei der Zerstörung eines russischen U-Boots, als auch bei dem Angriff auf das russische Schwarzmeerflotten-Hauptquartier sowie kürzlich bei der Versenkung eines Landungsschiffs sollen Storm Shadow oder Scalp zum Einsatz gekommen sein.