Telekom BasketsHallenumzug zwischen Halbfinale und Finale
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Bonn – Baskets-Chef Wolfgang Wiedlich hat sich und seinen Mitstreitern schon so manchen Kraftakt abverlangt. Als die Bonner 1999 im vierten Play-off-Finale gegen Berlin zum 2:2 ausgleichen, bleiben weniger als 48 Stunden, um einen Sonderzug zum entscheidenden Endspiel in der Hauptstadt zu organisieren. Und ein Jahr später folgt der Wechsel für ein erneutes Duell mit Berlin in die Köln-Arena vor 18 500 Zuschauern.
Was sie aber im Juni 2008 stemmen, ist von ganz anderer Dimension: in den sechs Tagen zwischen 5. Halbfinale gegen Frankfurt und 2. Finale gegen Berlin einen Umzug von der Hardtberghalle in den nagelneuen Telekom Dome zu schaffen. Die vereinseigene 6000-Mann-Arena sollte erst im September vor der neuen Saison eingeweiht werden. Als sich die sportlichen Ereignisse in den Play-offs im Mai und Juni aber überstürzen (siehe Infotext) und die als Siebte gestarteten Baskets erstmals seit 2001 wieder die Finals erreichen, setzt Wiedlich alles auf eine Karte und verkündet den Hallenwechsel.
Der Dome ist nach 19 Monaten Bauzeit zwar baulich fertig, aber der Feinschliff fehlt. In einer Sonderschicht vier Tage vor dem ersten Finalheimspiel packen Wiedlich und die Fans selbst mit an, um die Pflasterarbeiten an den Parkplätzen zu vollenden, Freiwillige befreien die Sitze auf den Tribünen mit Eimer und Wischlappen von Baustaub, mehr als ein Dutzend Male pendelt ein Kleintransporter zwischen den wenige hundert Meter von einander entfernten Hallen, um Werbebanden, technisches Equipment und Umzugsgut zu transportieren. Aber: Es bleibt ein hochriskantes Wagnis, eine solche Groß-Immobilie ohne Generalprobe, ohne ein einziges Testspiel gleich mit einem Endspiel um die deutsche Meisterschaft zu eröffnen: „Es ist kompliziert, auf hoher See umzusteigen“, räumt Wiedlich offen ein.
Zwischendurch bewältigt er noch die Aufgabe, für Spiel drei in Berlin einen Sonderzug zu organisieren: „Als Dank für die Hilfe der Fans bei der Fertigstellung der Halle“, betont der Präsident. Seit er den Umzug in den Dome verkündet hat, greift in Bonn eine Basketball-Euphorie um sich, die an die ersten Vizemeisterschaften 1997 und 1999 erinnert.
Die 6000 Tickets sind in nur 45 Minuten vergriffen
Die 6000 Tickets für die Premiere gegen Berlin sind in nur 45 Minuten vergriffen, am Spieltag bilden sich vor den Hallentüren lange Schlangen mit Zuschauern. Sie gehören zu den Glücklichen, die hineindürfen – Dutzende halten vor der Halle vergeblich Schilder mit dem Text „Karte gesucht“ hoch.
Der Fan-Club hat sich zur Einweihung eine besondere Aktion ausgedacht: Die Anhänger versammeln sich an der Hardtberghalle, um von dort in einem symbolischen Akt den „Baskets-Spirit“, den Geist des unbeugsamen Kampfes, in die neue Arena zu transportieren. Mit einem riesigen Banner quer über die gesamte Straßenbreite an der Spitze marschieren mehrere Hundert Fans mit ihren Baskets-Schals zum Telekom Dome – eine fröhlich-friedliche Demo, die allen Anwohnern auf dem Brüser Berg signalisiert: Hier passiert heute etwas Besonderes.
Bei den Spielern kommt die Botschaft an, die Euphorie auf den Rängen überträgt sich auf das Spielfeld – die Bonner dominieren den Favoriten klar und gleichen mit 81:71 zum 1:1 aus. Wiedlich atmet aus doppeltem Grund durch: Hallentechnisch gibt es keine einzige Panne, mit dem 1:1 ist zudem klar, dass es in Spiel vier noch eine zweite Partie im Telekom Dome geben wird – der Kraftakt hat sich gelohnt.
Die Zuschauer äußern sich gegenüber der Presse begeistert über den neuen Baskets-Tempel. Wiedlich ist tief beeindruckt: „Ich habe heute so etwas wie Liebe auf den ersten Blick von den Fans zur Halle gespürt.“ Berlins Coach Luka Pavicevic erweist sich als respektvoller Verlierer: „Ich gratuliere zum verdienten Sieg und zu dieser tollen Halle.“
Den Weg zu ihrem achten Meistertitel lassen sich die Albatrosse in den folgenden beiden Spielen aber dennoch nicht nehmen. Zwar erzwingen die von Mike Koch trainierten Baskets in Spiel vier immerhin eine Verlängerung, dann setzt sich die individuelle Klasse der Berliner durch. Ein Julius Jenkins, der noch bis 2019 in der Bundesliga auf Korbjagd geht, steht im Zenit seiner Karriere und macht mit 30 Punkten den Unterschied.
Die Sternstunden des Miah Davis
Viertelfinale: Dass die Baskets überhaupt vor der Frage standen, für die Finals die Halle zu wechseln, kam überraschend. Hatten sie doch die Hauptrunde als Siebte abgeschlossen und trafen als Außenseiter auf den zweitplatzierten Vizemeister der Vorsaison und Pokalsieger Dragons Quakenbrück, der vom späteren Bamberger Meistercoach und Bundestrainer Chris Fleming trainiert wurde. Nach einem Heimsieg beidseits wird Spiel drei in Quakenbrück zur Schlüsselpartie.
3,7 Sekunden vor Schluss hat Bonn bei einem 75:76-Rückstand Einwurf in Höhe der Mittellinie. Es geht nur eines: langer Einwurf auf einen schnellen Mann, der treffen oder ein Foul ziehen muss. In einer Auszeit holt Co-Trainer Karsten Schul eine Folie mit einem speziellen Play hervor. Der Clou: Der Mann, der einwirft und abschließt, ist derselbe. Der kleine Spielmacher Miah Davis, zu Saisonbeginn nach durchwachsenen Leistungen von den Fans oft geschmäht, wirft die Kugel auf Center John Bowler ein, rennt los und bekommt den Ball direkt zurück, sprintet hakenschlagend an drei Gegenspielern vorbei – und trifft mit der Schlusssirene zum 77:76. Dieser Geniestreich, im Internet als „Korbleger des Jahrhunderts“ gefeiert, bringt das Ticket fürs Halbfinale. Denn Quakenbrück ist gebrochen, leistet in Spiel vier bei Bonns 77:55-Heimsieg kaum noch Widerstand.
Halbfinale: Kann es eine Steigerung der Dramatik geben? Gegen die Frankfurt Skyliners gibt es sie. Nach vier intensiven Spielen steht es 2:2, die Baskets müssen arg dezimiert zur entscheidenden Partie an den Main. Jason Conley hat schon die halbe Saison verletzt gefehlt, jetzt fallen auch noch Center John Bowler und Forward Ronnie Burrell aus. Als die Resttruppe aufbricht, bleibt mit Miah Davis auch noch der Playmaker in Bonn – die Geburt seines ersten Kindes war für den Tag des Spiels ausgerechnet.
Die gesamte Nacht hat er seiner Frau im Kreißsaal beigestanden, das Baby kommt um 13.30 Uhr zur Welt. Aber um 18.30 Uhr steht Davis bei Spielbeginn doch auf dem Feld – er hat sich trotz dieses maximalen Stresses zum Spiel chauffieren lassen. Und wird nach seinem Husarenstück in Quakenbrück erneut zum Helden: Zwar ohne eine Minute Schlaf, aber im Rausch der Glückshormone hellwach, führt er das Team mit 18 Punkten, fünf Rebounds und drei Assists zum 75:74-Erfolg und ins Finale. (MK)
So verpassen die Baskets ihr Ziel, nach 1999 erneut ein fünftes Finale zu erkämpfen und Berlin im fünften Anlauf erstmals in einer Play-off-Serie zu schlagen. Beides sollte zwölf Monate später gelingen – und doch in einem „Tal der Tränen“ enden. „2009 – das Trauma von Oldenburg“ folgt im nächsten Teil der Serie.