- Der SC Freiburg sorgt in der Fußball-Bundesliga für Furore. Als Tabellenfünfter dürften die Breisgauer von einer Teilnahme am internationalen Geschäft träumen.
- Vor der Partie am Samstag beim 1. FC Köln erklärt Sportvorstand Jochen Saier im Gespräch mit Tobias Carspecken den Erfolgsweg des Sportclubs.
Herr Saier, Ihr Gladbacher Kollege Max Eberl hat sich mit tiefer Müdigkeit und psychischer Erschöpfung aus dem Fußball-Geschäft zurückgezogen. Was haben Sie gefühlt?
Es hat mich berührt. Ich habe sehr mit ihm gefühlt.
Bewundern Sie Eberls Mut und Offenheit, sich unter Tränen der Öffentlichkeit erklärt zu haben?
Davor habe ich großen Respekt. Ich finde es gut, wie Max es für sich gelöst hat: Mit offenem Visier zu agieren und die Dinge in aller Klarheit auszusprechen. Das war wichtig, um einen Haken dran zu haben und runterkommen zu können. Nur so kann man Abstand gewinnen.
Waren Sie zugleich erschrocken, als Sie die Bilder gesehen haben?
Erschrocken ist der falsche Ausdruck, aber es macht natürlich etwas mit einem.
Eberl wirkte auch deshalb zermürbt, weil zuvor wild über die Gründe seines Rücktritts spekuliert worden war.
Wir arbeiten in einem extrem öffentlichkeitswirksamen Bereich. Spekulationen des Boulevards und in den sogenannten Sozialen Medien sind ein steter Begleiter. Oft sind es aber nicht mal Halbwahrheiten, die dann in Sekundenschnelle in unzähligen Überschriften durchs Netz geistern und damit in der Welt sind. Sie zurückzuholen ist anstrengend und auch nicht immer möglich. Das ist unser täglich Brot, leider.
Zur Person
Jochen Saier, geboren am 20. April 1978 in Lahr (Schwarzwald), arbeitet seit 2002 hauptamtlich beim SC Freiburg. Der Diplom-Sportökonom, der sich in seiner Abschlussarbeit an der Universität Bayreuth mit dem Thema „Psychosoziale Ressourcen im Jugendfußball“ befasste, kam nach einem Stipendium an der Northeastern University in Boston (USA) in die Freiburger Fußballschule. Das Nachwuchsleistungszentrum des SC Freiburg leitete der frühere Fußballer von 2003 bis 2013. Im April 2013 übernahm Saier mit Klemens Hartenbach das Amt des Sportdirektors beim Sportclub, bevor er im Oktober 2014 zum Vorstand Sport bestellt wurde. Saier sitzt zudem im Vorstand des Fördervereins Freiburger Fußballschule. (tca)
Die Gladbacher Führung zeigte sich überrascht von Eberls Rückzug. Vermuten Sie, dass mehrere Fußball-Manager eine Fassade um sich herum aufbauen, um dem Druck standhalten zu können?
Max hat gesagt, dass man es ihm nicht anmerken konnte. Es steht mir nicht zu, die Umstände zu beurteilen. Mit dem Begriff „Fassade“ kann ich persönlich nicht so viel anfangen. Der Umgang mit dem Druck ist aber ein ganz sensibles Thema.
Die dramatischen Worte Eberls haben für eine Debatte über Druck und den Umgang mit Menschen im Profi-Fußball gesorgt. Der frühere DFL-Chef Andreas Rettig fordert, auch auf verantwortlicher Ebene eine Art Belastungssteuerung einzuführen. Ist das im Hamsterrad Profi-Fußball überhaupt möglich?
Das Schwungrad in der Branche, in der wir uns bewegen, hört nie auf zu drehen. Auf unseren Positionen ist man sehr stark belastet. Jeder muss für sich stimmige Strategien entwickeln und die richtige Dosis finden. Aber klar ist, dass die Work-Life-Balance eher einer schiefen Ebene gleicht. Das ist jedoch nicht nur im Fußball so.
Wie handhaben Sie es beim SC Freiburg?
Ich habe das Gefühl, dass wir mit dem Miteinander, das wir in Freiburg schon über so viele Jahre pflegen, ganz gut zurechtkommen – in einem Business, das extrem wellenartig ist. Ich bin jetzt ziemlich genau seit 20 Jahren hauptamtlich beim SC Freiburg. Das ist eine lange, sehr intensive Zeit, die einem sehr viel abverlangt – einem aber auch viel gibt. Das Projekt SC Freiburg gemeinschaftlich mit vielen tollen Menschen voranzutreiben, ist eine lohnende Aufgabe und ein nicht endender Prozess. Wir haben es hier immer mit einem realistischen Blick und mit dem Weg der kleinen Schritte versucht. Ich finde, dass das große Bild passt.
Der Sportclub steht für Ruhe und Kontinuität. Haben Sie dieses Gut in den vergangenen Tagen noch einmal mehr zu schätzen gelernt?
Alle, die in Freiburg in der Verantwortung stehen, wissen, dass das ein hohes Gut ist. Eine Vereinskultur fällt aber nicht vom Himmel. Ihre Entwicklung ist ein langwieriger Prozess und sie muss gelebt werden. Wir können uns hier beim Sportclub in hohem Maße auf den Sport und die Vereinsentwicklung konzentrieren. Möglichst wenig innere Reibungsverluste zu haben und personelle Kontinuität, indem Leute schon lange mitanschieben und der Sportclub zu ihrem Projekt geworden ist – das ist ein Erfolgsfaktor.
Während viele Proficlubs während Corona in Existenznöte gestürzt sind, erwirtschaftete der Sportclub im Geschäftsjahr 2020/21 einen Überschuss von 9,8 Millionen Euro. Das Eigenkapital stieg auf 93 Millionen Euro. Wie war das möglich trotz Pandemie und Stadionneubau?
Die Pandemie hat auch uns getroffen, und sie trifft uns auch in diesem Jahr. Unsere hohen Transfereinnahmen haben die Verluste überkompensiert. Daher sind wir vergangene Saison gut durchgekommen. Insgesamt ist es aber so, dass wir ein wirtschaftlich gesundes Fundament haben, auf dem der Verein steht. Wir versuchen den Blick nicht nur aufs Hier und Jetzt zu richten, sondern auch für weniger gute Zeiten mitzudenken. Das zeichnet den Verein aus. An eine Pandemie hat dabei aber niemand gedacht, eher an Zweitligajahre.
Lässt sich daraus ableiten, dass diejenigen Clubs, die wie der 1. FC Köln nun in großer Not schweben, vor der Pandemie ungesund gewirtschaftet haben?
Diese Gleichung würde ich so nicht zwingend aufmachen. Es ist aber natürlich etwas dran, dass nur die wenigsten Clubs über ein Eigenkapital verfügen, das durch solche Phasen trägt. Bislang ging es im Fußball nur in eine Richtung – und zwar in allen Bereichen nach oben. Nun trifft die Pandemie alle extrem hart. Hinzu kommt, dass wir bei den Medieneinnahmen zum ersten Mal eine Stagnation beziehungsweise Mindereinnahmen erleben.
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Der Sportclub hat in den jüngsten beiden Sommer-Transferperioden stolze 50 Millionen Euro eingenommen. Fällt es Ihnen dennoch schwer, sich mit dem regelmäßigen Abgang von Leistungsträgern zu arrangieren?
Das gehört zu unserer Philosophie. Es wird immer einen finanzkräftigeren Verein geben. Mit Ausnahme des FC Bayern verliert jeder Club in der Bundesliga auf Strecke seinen Topspieler. Die Idee ist, die Zeitschiene durch gesundes Wachstum und Stabilität des Vereins zu verlängern, damit wir Schlüsselspieler länger halten können. Dennoch wird es für uns immer eine Abwägungsfrage und ein Balanceakt sein. Aus dieser Position werden wir uns nicht wegbewegen können. Für uns geht es darum, auf unserem Weg zu bleiben und immer zu wissen, was es bedeutet, Bundesliga zu spielen.
Der Sportclub klopft wie kaum ein anderer Club bei der Suche nach Verstärkung die soziale Kompetenz ab. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Die soziale Intelligenz und das Miteinander ist ein elementarer Faktor für eine Mannschaft. Es geht immer darum, wie Einzelne und die Gruppe in holprigen Phasen agieren. Es geht um den Umgang untereinander. Wer hat was mit wem zu tun? Wie ist die Gruppe beisammen? Wie funktioniert die Kabine? Das sind ganz zentrale Fragen. Wenn das Miteinander nicht stimmt, ist alles nichts. Das ist auch die Grundlage, um die individuelle Qualität auf den Platz zu bringen.
Sie haben mit Trainer Christian Streich und Sportdirektor Klemens Hartenbach bereits vor rund 20 Jahren in der Freiburger Fußballschule zusammengearbeitet. Was ist zwischen Ihnen entstanden?
Fast der komplette Profitrainerstab ist auch schon so lange dabei. Wir haben in ihm unterschiedliche Qualitäten zusammengebracht. Da ist etwas gewachsen. Es ist eine ganz besondere Zusammenarbeit, weil man sich nach so langer Zeit in diesem emotionalen Metier natürlich in- und auswendig kennt. Wir alle wurden vom Verein geprägt und haben ihn in den letzten 20 Jahren mitprägen dürfen. Das Miteinander steht auf einem Fundament, das nicht so leicht zu erschüttern ist.
67 Jahre lang war der Sportclub im Dreisamstadion beheimatet. Wie wichtig war der Umzug ins neue Europa-Park-Stadion für die Zukunft des Vereins?
Es war ein langer Anlauf von mehr als zehn Jahren. Der Schritt ist richtig und mit Blick auf die Konkurrenz in der Bundesliga wirtschaftlich absolut notwendig. Wir waren im Dreisamstadion immer ausverkauft, hatten wenig Vermarktungsmöglichkeiten und bei den Dauerkarten lange Wartelisten, die wir nicht bedienen konnten. Nun haben wir die Möglichkeit, mehr Menschen unserer Region auf unsere Reise mitzunehmen. Die Mitgliederzahlen steigen kontinuierlich, die 25 000 Dauerkarten sind weiterhin eine heiße Währung und auch die Vermarktung der Business-Bereiche lief hervorragend.
Wie nehmen Sie den Umzugsprozess wahr?
Wir sind in einer interessanten und auch herausfordernden Phase. Der Umzug in eine neue Infrastruktur und Heimat, die dazu erst werden muss. Die Pandemie und damit einhergehenden Zuschauerbeschränkungen sind für diesen Prozess natürlich nicht förderlich. Wir alle müssen dort Schritt für Schritt ankommen. Das gilt für unsere Fans, aber auch für unsere Mannschaft und unseren gesamten Verein.
Welche Herausforderungen gibt es?
Es ist ein Veränderungsprozess, der Zeit braucht. Im Hinblick auf die Rückkehr der Zuschauer muss wieder etwas zusammenwachsen. Die Leute müssen ihren Platz wiederfinden – im wahrsten Sinne des Wortes. Unser Club und der Standort wachsen gerade von innen heraus. Das gilt es behutsam zu begleiten, achtsam zu sein und bei sich zu bleiben: Idealerweise der gleiche Inhalt in neuem Gewand.
Aktuell steht der Sportclub auf Rang fünf der Bundesliga sowie im DFB-Pokal-Viertelfinale. Überrascht Sie das bisherige Abschneiden?
Das würde ich so nicht sagen. Bislang hat einfach vieles gepasst und ineinandergegriffen. Wir haben die Gruppe zusammengehalten und sind sehr gut in die Saison reingekommen. Die bisherigen stabilen Leistungen der Jungs sind der Grund für diese tolle Momentaufnahme.
Sind die internationalen Plätze realistisch?
Das werden die nächsten Wochen zeigen. Es wird interessant sein zu sehen, ob wir uns oben festbeißen können. Die Gruppe ist eng beisammen und möchte das Maximale erreichen. Wir freuen uns über die aktuelle Situation, können alles aber auch ganz realistisch einschätzen.
Am Samstag geht es zum 1. FC Köln. Was erwarten Sie?
Der FC spielt bislang eine wirklich gute Saison. Die Kölner haben Qualität und Energie auf dem Platz und an der Seitenlinie – und mit Anthony Modeste einen Mann, der den Aufwand, den der FC betreibt, veredeln kann. Es wird eine enge Kiste.