Stuttgart/Köln – Alexander Wehrle ist ein positiv denkender Mensch. „Anspannung“, sagt der 47-Jährige, sei deshalb der „falsche Ausdruck“, wenn es darum geht, seinen Gemütszustand dieser Tage zu beschreiben. Vielmehr verspüre er „Vorfreude“ beim Gedanken daran, was am Samstag (15.30 Uhr, Sky) in der mit 60 000 Zuschauern voll besetzten Mercedes-Benz Arena zu erwarten ist. „Es wird einen Hexenkessel geben bei schönem Fußballwetter. Es ist alles angerichtet für ein Finale für beide Seiten“, sagt Wehrle.
Der 34. Spieltag der Bundesliga-Saison 2021/22 ist auch unter persönlichen Gesichtspunkten kein Spieltag wie jeder andere für Alexander Wehrle. Es geht schließlich gegen den 1. FC Köln. Jenen Verein, den Wehrle neun Jahre als Geschäftsführer durch Höhen und Tiefen führte, ehe er im März Abschied nahm. Wehrle kehrte zurück in seine Heimat und übernahm beim VfB Stuttgart den Vorstandsvorsitz.
Kein Bekenntnis zum Trainer und Sportdirektor
Zwei Monate später kommt es zum schnellen Wiedersehen mit der langjährigen Liebe, deren Stadt zur zweiten Heimat des Schwaben geworden ist. „Neun Jahre haben mich geprägt und mich persönlich ein Stück weit verändert durch die Mentalität der Kölner“, sagt der nördlich von Stuttgart in Bietigheim-Bissingen geborene Wehrle.
Für das Duell zwischen seinem neuen und seinem alten Club ergibt sich daraus eine etwas skurril anmutende Gemengelage. „Ich freue mich, wenn ich die alten Kollegen am Spieltag wiedersehe“, betont Alexander Wehrle. Allzu überschwänglich klingt er dabei allerdings nicht. Was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass Wehrle in Stuttgart sofort gefordert war. „Ich bin in den vergangenen Wochen schon so intensiv in viele Themen reingegangen, dass ich – mit Verlaub – nicht mehr an den 1. FC Köln denken konnte. Ich konzentriere mich komplett auf den VfB und gebe meine volle Energie in die Organisation, damit wir unser Ziel erreichen.“
Es lautet Klassenerhalt. Mit einem Sieg gegen den FC kann das Vorhaben noch auf direktem Wege erreicht werden. Allerdings nicht aus eigener Kraft. Parallel muss der Tabellen-15. Hertha BSC bei Borussia Dortmund verlieren. Direkt absteigen kann der VfB dagegen nur noch rein theoretisch. „Die Ausgangssituation ist viel besser als noch vor ein paar Wochen, als wir vier Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz hatten“, freut sich Wehrle. Entsprechend optimistisch blickt er dem 34. Spieltag entgegen: „Wir haben eine gute Chance, am Samstag auf Platz 15 zu springen.“
Wehrle: Relegation ist keine Bestrafung, sondern eine Chance
Und wenn es am Ende doch bei Rang 16 bleibt? Alexander Wehrle könnte auch dem Nachsitzen Positives abgewinnen: „Relegation ist keine Bestrafung, sondern eine Chance, die man annehmen muss. Und wenn man sie annimmt, dann hat man auch eine sehr gute Möglichkeit, in 180 Minuten gegen den Zweitligisten zu bestehen.“
Wehrle spricht dabei aus eigener Erfahrung. In der vergangenen Saison brachte sein damaliger Club 1. FC Köln mit der gewonnenen Relegation gegen Holstein Kiel eine verkorkste Spielzeit zu einem versöhnlichen Abschluss. Ein Jahr später ist Wehrle erneut guter Dinge: „Ich bin mir sicher, dass wir den Klassenerhalt sichern werden – auch wenn es am Ende über die Relegation gehen sollte.
Privates muss hinten anstehen
Gefreut hat sich Wehrle am vergangenen Wochenende nicht nur über das überraschende 2:2 des VfB Stuttgart beim FC Bayern, sondern auch über die Rückkehr des 1. FC Köln nach Europa. Die Playoffs zur Conference League sind den Geißböcken sicher. Mit einem Sieg in Stuttgart könnte es sogar noch die Europa League werden. „Ich freue mich für Steffen Baumgart und sein Team, dass der FC Platz sieben schon sicher hat. Das ist ein toller Erfolg“, sagt Wehrle, der sich die zweite Europa-Qualifikation in diesem Jahrtausend mit auf die Fahnen schreibt: „Da ich neun Jahre an vorderster Front beim FC mit dabei war – zuletzt von Juni 2021 bis Januar 2022 als alleiniger Geschäftsführer –, habe ich einen Teil dazu beigetragen, dass die Saison für den FC so gut verlaufen ist.“
Wehrles Start in Stuttgart war geprägt von „extrem vielen Einzelgesprächen mit den Direktoren, Abteilungsleitern und sportlich Verantwortlichen“. Bald steht noch die Analyse eines komplizierten Jahres mit Trainer Pellegrino Matarazzo und Sportdirektor Sven Mislintat an. Wehrle vermeidet im Vorfeld ein Treuebekenntnis: „Wir setzen uns nach Saisonende zusammen, schauen uns alles in Ruhe an und entscheiden gemeinschaftlich, wie wir in die neue Saison gehen.“
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Privates musste bislang hinten anstehen. „Das wird sich hoffentlich im Juli, August entspannen“, sagt Alexander Wehrle. „Damit ich auch mal durch die Stadt gehen und beurteilen kann, was sich in Stuttgart in all den Jahren verändert hat.“