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Interview mit FC-Stürmer Holger Gaißmayer„Am letzten Spieltag bin ich immer Optimist“

Lesezeit 7 Minuten

Kölner Jubel im Ostseestadion: Holger Gaißmayer (schwarze Jacke) mit (v.l.) Toni Polster, Pablo Thiam, Patrick Weiser, Martin Braun und Dietmar Beiersdorfer.

  1. In der Saison 1995/96 stand der 1. FC Köln am letzten Spieltag schon einmal vor dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga.
  2. Mit seinem Rettertor zum 1:0-Sieg bei Hansa Rostock wurde Holger Gaißmayer zum umjubelten Helden.
  3. Tobias Carspecken blickte mit ihm zurück.

Herr Gaißmayer, wie oft denken Sie in diesen Tagen an den 18. Mai 1996?

Permanent. Das Thema ist momentan sehr präsent. Dadurch, dass der FC seit Monaten im Abstiegskampf steckt, werde ich von Kollegen regelmäßig angesprochen nach dem Motto „Weißt Du noch damals, als Du den FC gerettet hast?“. Man fühlt sich zeitlich zurückversetzt.

Dann nehmen Sie uns mit auf eine Zeitreise. Wie hat sich die Ausgangslage vor dem Abstiegsfinale in Rostock dargestellt?

Die damalige Ausgangslage des FC war wesentlich besser als die heutige. Ein Sieg hatte den sicheren Klassenerhalt bedeutet – unabhängig von den Ergebnissen auf den anderen Plätzen. Allerdings ging es auch für die Rostocker noch um einiges. Mit einem Sieg wären sie erstmals im Uefa-Pokal dabei gewesen. Es war spannend und emotionsgeladen.

Apropos emotionsgeladen: Beim Gegner stand ein gewisser Steffen Baumgart auf dem Platz.

Ganz genau. Stefan Beinlich war auch dabei. Stärkere Erinnerungen habe ich aber an Torhüter Perry Bräutigam. Ganz einfach, weil ich als Stürmer mehr mit ihm zu tun hatte.

Zur Person

Holger Gaißmayer, geboren am 2. Juli 1970, startete seine Laufbahn beim TuSEM Essen. 1995 wechselte der Angreifer als Torschützenkönig der Oberliga Nordrhein von RW Oberhausen zum 1. FC Köln. Für die Geißböcke kam er in den folgenden drei Jahren in 77 Pflichtspielen (16 Tore) zum Einsatz. Anschließend stürmte der gebürtige Essener erneut für RWO, Kickers Offenbach, Schwarz-Weiß Bregenz, LR Ahlen, Adler Osterfeld, den Wuppertaler SV Borussia und zum Abschluss seiner aktiven Karriere im Jahr 2008 für den FSV Vohwinkel. Bei dem Wuppertaler Stadtteilclub engagierte er sich bis Ende 2020 zunächst als Trainer und später als Sportlicher Leiter. In seiner Vita stehen unter anderem 78 Partien (12 Tore) in der Ersten sowie 56 Spiele (11 Treffer) in der Zweiten Bundesliga. Der zweifache Familienvater arbeitet heute als Leiter Einkauf und Vertrieb bei einem Hersteller für Türklinken und -griffe. (tca, Foto: Imago))

Wie ist das Spiel – auch für Sie persönlich – verlaufen?

Ich bin bereits in der siebten Minute eingewechselt worden, weil Stefan Kohn sich verletzt hat. Mein Vorteil war, dass ich als Joker erprobt war. Das Spiel selbst war sehr ausgeglichen, es war kein Unterschied zu erkennen zwischen einem Europa- und einem Abstiegskandidaten. Es war vor allem defensiv eine gute Leistung von uns. Hätten wir immer so gespielt, wäre der Abstieg wohl nie ein Thema geworden.

Konkurrent 1. FC Kaiserslautern ist in Leverkusen jedoch zuerst in Führung gegangen.

Peter Neururers Frau saß in Leverkusen auf der Tribüne und hat unserer Bank mit einem Nokia-Handy alle Informationen rübergeschickt. Doch dann gab es technische Probleme. Wir hatten keinen Empfang mehr. Keiner wusste so genau, wie es wo steht. Alle tasteten im Dunkeln. Das könnte man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

Dann kam die 72. Minute. Haben Sie die Entstehung Ihres Tores noch vor Augen?

Natürlich. Pablo Thiam hat sich über die rechte Seite durchgesetzt und auf Höhe des Elfmeterpunktes einen Querpass in die Mitte gespielt, genau in meinen Fuß. Ich brauchte nur noch einschieben. Das war der Höhepunkt meiner Karriere, ganz klar.

Sie sind jubelnd auf den Zaun der Gästekurve gerast. War das zugleich auch der emotionalste Moment Ihrer Profi-Karriere?

Definitiv. Es war eine riesige Last, die von unseren Schultern gefallen ist. Der FC war als Gründungsmitglied der Bundesliga bis dato noch nie abgestiegen. Es wäre sehr hart gewesen, wenn wir die ersten Absteiger gewesen wären.

Als Schiedsrichter-Legende Hellmut Krug abpfiff, brachen alle Dämme.

Die FC-Fans waren schon damals einfach überall zu Tausenden dabei. Sie haben uns wahnsinnig angefeuert, im Block herrschte eine unglaubliche Stimmung. Ich selbst war nach dem Schlusspfiff aber erstmal ein bisschen außen vor. Ich musste Interviews geben.

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Wie gingen die Feierlichkeiten weiter?

In der Kabine flossen Sekt und Bier. Wir sind dann von Rostock-Laage mit einem eigenen Flieger in die Heimat gereist. Als wir am späten Abend in Köln ankamen, warteten bereits Fernsehteams auf uns. Sunday Oliseh und Pablo Thiam haben mich auf Schultern durch das Gate getragen. Es war ein Wahnsinntag.

Der damalige Retter Peter Neururer war nach Morten Olsen und Stephan Engels der dritte FC-Trainer in der Saison 1995/96. Warum lief es nicht?

Wir hatten mit Spielern wie Oliseh oder Christian Dollberg, der aus Argentinien geholt worden war, sehr gute Neuzugänge verpflichtet und für FC-Verhältnisse viel Geld in die Hand genommen. Entsprechend groß war die Erwartungshaltung. Der FC hat mit Platz vier bis sechs geplant. Doch das hat überhaupt nicht geklappt. Es fing schon damit an, dass wir in der ersten Pokal-Runde beim Oberligisten Beckum nach Elfmeterschießen rausgeflogen sind. In der Folge war die Stimmung angespannt. Als junger Spieler, der aus dem beschaulichen Oberhausen gekommen war, war das für mich wie in einem Haifischbecken.

Zwei Jahre später erwischte es den FC dann zum ersten Mal.

Wir sind am drittletzten Spieltag auf Schalke betrogen worden, als Oliver Held den Schuss von René Tretschok mit der Hand von der Torlinie schlug und auf Nachfrage des Schiedsrichters auch noch behauptete, es wäre der Kopf gewesen. Im Gegenzug hat Schalke das 1:0 gemacht. Das war entscheidend für den Abstieg – auch wenn eine Saison natürlich 34 Spieltage hat.

Wie lange hat es gebraucht, um das zu verdauen?

Wir haben in die folgende Zweitliga-Saison überhaupt nicht reingefunden. Es war ein komplett anderer Fußball, der dort gespielt wurde. Du brauchtest im Unterhaus keine guten Techniker, es ging um Rennen und Kämpfen. Dafür hatten wir nicht die geeignete Mannschaft. Wir waren klarer Aufstiegsfavorit, sind aber nur im Mittelfeld gelandet.

Auf der Jahreshauptversammlung 1998 wurden Sie vom damaligen Trainer Bernd Schuster als „Stolperkönig“ bezeichnet. Es sei „für jeden Stürmer die Höchststrafe, neben ihm zu spielen“, schimpfte er. Wie sehr hat das geschmerzt?

Das hat mich sehr getroffen. Es war auch medial ein großes Thema. Ich habe Bernd Schuster seitdem nie wieder gesehen. Schade eigentlich, weil mich schon interessieren würde, was ihn zu dieser Aussage getrieben hat. Sie kam aus heiterem Himmel. Wir hatten nie Streit.

Sie haben dann gekontert mit dem Satz: „Schuster war als Trainer ein Guter, menschlich aber eine Katastrophe“.

Da stehe ich auch heute noch zu. Wie Schuster die Einheiten geleitet und im Training oft selbst noch mitgekickt hat – alles super. Er war ja auch ein Weltklassespieler. Wenn man Trainer ist, geht es aber auch noch um andere Dinge. Dann kommt man nicht als Letzter auf das Trainingsgelände und geht als Erster. Sondern anders herum.

Inzwischen ist der FC ein Fahrstuhlclub. Es droht der siebte Abstieg der Vereinsgeschichte. Warum kommt der Club nicht zur Ruhe?

Vieles hängt mit der Einkaufspolitik bei Trainern und Spielern zusammen. Zudem hatte Köln immer schon ein ganz schwieriges Umfeld.

Sie spielen in der Traditionsmannschaft des FC. Wie stark fühlen Sie sich dem Club weiterhin verbunden?

Ich bin noch immer ein Teil des Vereins und fühle mich als absolutes FC-Mitglied. Auch wenn ich inzwischen weiter weg bin.

Wo werden Sie am Samstag um 15.30 Uhr sein?

Definitiv vor dem Fernseher, um beim Spiel gegen Schalke mitzufiebern. Sicherlich werde ich auch mal auf die Konferenz umschalten, um zu sehen, was auf den anderen Plätzen passiert.

Schafft der FC noch die Rettung?

Ich bin schon immer ein Optimist gewesen, gerade was den letzten Spieltag angeht (schmunzelt). Daher sage ich: Der FC wird Schalke mit 3:1 schlagen und Platz 15 erreichen. Ich glaube nicht, dass Bielefeld und Bremen ihre Spiele gewinnen werden.