- Von der „teuersten Bratwurst aus Nürnberg“ erwuchs Stefan Kießling zum Publikumsliebling bei Bayer 04 Leverkusen.
- Inzwischen arbeitet der Ex-Torjäger als Assistent der Geschäftsführung.
- Leon Elspaß sprach mit dem 38-Jährigen vor dem Derby am Sonntag gegen den 1. FC Köln.
Köln – Herr Kießling, das 1:1 in München war ein wildes Spiel mit vielen Chancen auf beiden Seiten. Wie kommt der Ex-Stürmer damit klar, während solcher Partien nicht mehr aktiv eingreifen zu können?
Eigentlich ganz gut. Auf der Tribüne bin ich derjenige, der ruhig dasitzt, die Situationen beobachtet. Bei Toren für oder gegen uns springen die anderen auf. Und ich sitze da weiterhin und analysiere. War es Abseits? Kein Abseits? Ist noch etwas passiert? Meist kann ich mich erst im Anschluss freuen (lacht).
Die Gefühlswelt bei Bayer 04 pendelte nach dem Remis irgendwo zwischen Zufriedenheit, sehr gut mitgehalten zu haben – und Ärger, aus den zahlreichen Großchancen nur ein Tor gemacht zu haben. Wo stehen Sie?
Ich war zufrieden. In München hätten wir zur Pause zurückliegen können, auf der anderen Seite hatten wir gute Möglichkeiten vor der Pause, dann wäre es womöglich anders gelaufen. Über all das nachzudenken, ist eher müßig. Wir haben einen Punkt geholt, was in München sicherlich nicht die Regel ist. Und haben jetzt die Möglichkeit, gegen Köln wieder drei Punkte einzufahren. Wir wollen in die Champions League, ganz klar.
Zur Person
Stefan Kießling wurde am 25. Januar 1984 in Lichtenfels geboren. Über Eintracht Bamberg führte sein fußballerischer Weg zum 1. FC Nürnberg, mit dem er 2004 in die Fußball-Bundesliga aufstieg. 2006 wechselte der Stürmer nach 59 Bundesligaspielen (15 Tore) für den Club zu Leverkusen. Für Bayer 04 absolvierte er 444 Pflichtspiele (162 Tore). Kießling war in der Saison 2012/13 mit 25 Treffern Bundesliga-Torschützenkönig. Am 9. Oktober 2013 erzielte der sechsfache Nationalspieler und WM-Teilnehmer 2010 beim 2:1 gegen Hoffenheim ein so genanntes Phantomtor. (sam)
Was braucht es, um dauerhaft zum Top-Team zu werden?
Man muss die Heimspiele gewinnen, eine Macht zuhause sein. Wohlwissend, dass Spiele in Leverkusen häufig anders laufen, weil der Gegner eher tief steht. Um in den nächsten Jahren oben angreifen zu können, müssen wir außerdem die direkten Duelle wie beim 5:2 gegen Dortmund für uns entscheiden. Leipzig, Hoffenheim, Freiburg – diese Spiele stehen noch bevor. Dann müssen wir da sein.
Innenverteidiger Jonathan Tah sprach kürzlich davon, dass es für die langfristige Entwicklung „einen positiven Effekt“ hätte, wenn umworbene Top-Spieler auch öfter mal gehalten werden könnten. Ist das Wunschdenken?
Patrik Schick, Florian Wirtz, Moussa Diaby werden Interessenten anlocken. Das Wichtigste ist, dass die Voraussetzungen stimmen. Wenn wir in der Champions League spielen, sind wir für Top-Talente interessanter. Dann liegt es am Spieler. Will er überhaupt weg? Was sind seine Ziele? Die Spieler merken, dass wir ambitioniert sind – sowohl national als auch international. Natürlich erreichen wir unsere Ziele am besten, wenn die Leistungsträger länger bleiben.
Im Winter ist Sardar Azmoun neu hinzugekommen. Welche Fähigkeiten bringt er mit?
Vor allem Flexibilität. Er kann überall vorne spielen. Und dann ist er technisch sehr stark, hat ein gutes Auge, ist schnell. Das sind Attribute, die der Mannschaft gut tun werden. In den Englischen Wochen wird er seine Minuten bekommen.
Bei Zenit St. Petersburg hat sich Azmoun auch mit seinem Kopfballspiel hervorgetan. Fügt er der Werkself damit eine weitere Stärke hinzu?
Bei Azmoun ist das schon eine ausgeprägte Fähigkeit. Er hat den Körper und das Timing dafür, kann Bälle sichern und Zweikämpfe gewinnen. Aber es ist nicht so, dass wir unser Spiel deshalb ändern und viele lange Bälle spielen. Das ist höchstens mal punktuell eine Option.
Beim nächsten Gegner Köln geht übers Kopfballspiel so einiges. Auf was muss sich Bayer 04 am Sonntag einstellen?
Das stimmt. Man kann nicht alles wegverteidigen. Wir haben aber mit Tah, Tapsoba, Hincapie oder Kossounou wirklich gute Kopfballspieler hinten drin. Es ist ein Derby, kein Spiel wie jedes andere. Die Stimmung im Stadion ist emotionaler als üblich. Bei dem einen oder anderen Spieler kommt das bestimmt auch an. Die Kölner spielen eine ordentliche Saison. Wir aber haben ein Heimspiel und wollen, selbst wenn nach der Bergamo-Reise nicht viel Zeit bleibt, unser Spiel so durchbringen wie in den vergangenen Wochen schon.
Das könnte Sie auch interessieren:
Anthony Modeste ist beim FC wiedererstarkt. Hat es Sie überrascht, dass er so aus der Versenkung gekommen ist?
Verwundert hat es mich nicht. Er hatte ja schon ein paar gute Jahre mit vielen Toren – da ist ja klar, dass er das Toreschießen nicht verlernt hat. Er ist häufig an der richtigen Stelle, nutzt seine Chancen meist eiskalt und passt gut zur Spielidee des FC. Ich konnte es als Spieler nicht gut haben, wenn ständig jemand an mir dran war – das wird ihm auch nicht gefallen. Das sollte unser Ziel sein. Allerdings können potenziell brenzlige Strafraumsituationen auch im Vorfeld verhindert werden. Wenn die Flanke nicht geschlagen werden kann, dann kommt er gar nicht erst in seine Situationen.
Sie haben in zwölf Derbys mit Leverkusen gegen den FC zwei Treffer erzielt, sechsmal gewonnen und dreimal verloren.
Das waren besondere Spiele mit einer besonderen Anspannung – daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Und das wichtigste Tor von mir in diesen Duellen war ganz sicher das 2017, als wir nach einem 0:2 noch 2:2 gespielt haben und damit am vorletzten Spieltag in der BayArena den Klassenerhalt gesichert haben.
In dieser Hinrunde lief es andersherum – da glich Köln durch zwei Modeste-Tore die Leverkusener 2:0-Führung aus. Was macht Sie optimistisch für Sonntag?
Es ist eine ganz andere Situation als in der Hinrunde. Wir sind gut drauf, wollen in die Champions League. Und dafür sind die drei Punkte immens wichtig. Das wissen alle im Verein. Die Konkurrenz hinter uns schläft schließlich nicht.