Bundesliga-KolumneEin Bier für die Haare und eine Dauerkarte für Streich
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Lange kannten in Deutschland einige Jugendliche keine Zeit, in der die Bundeskanzlerin nicht Angela Merkel hieß. Aktuell weiß ein Großteil der Fünftklässer nicht, dass auch eine andere Mannschaft deutscher Meister werden kann als der FC Bayern. Ob sie es jemals erleben werden?
Wer die Bundesliga beobachtet, darf daran zweifeln. Und trotzdem kann die Liga auch unterhaltsam. So wie in Freiburg, wo Christian Streich sich sofort eine Dauerkarte kaufen würde.
Ein Bier für die Haare: Den härtesten Verfolger mit 3:1 besiegt und den zehnten Meistertitel in Folge eingeheimst. Da müssen Spieler und Fans doch durchdrehen. Oder man macht es wie die Bayern. Gießt sich routiniert das Bier über die Köpfe – soll ja angeblich gut für die Haare sein – , geht abends ins Nobel-Restaurant in der Maxvorstadt und gönnt sich ne Zigarre. „Stell dir vor, dein Klub wird Meister und du gehst einfach easy mit Abpfiff nach Hause. Joa“, schrieb ein User bei Twitter und postete ein Bild von der Allianz Arena.
Auch feiern kann zur Routine werden. Kein Platzsturm, kein Autokorso, keine spontane Party. Am meisten schien sich Trainer Julian Nagelsmann zu freuen, den Titel „Feierbiest“ wird er Louis van Gaal aber nicht streitig machen. Mit dem Rad in den Alpen will der 34-Jährige seinen ersten großen Titel feiern. Nur ein Meister-Trainer war jemals jünger - um genau 34 Tage: Matthias Sammer beim Titelgewinn 2002 mit dem BVB.
Dabei hatte Nagelsmann es schon ein paarmal versucht. Mit Hoffenheim und RB Leipzig war er den Bayern auf den Fersen. Gereicht hat es nie. Zu groß war die Dominanz der Münchner in den letzten zehn Jahren. Immer dabei: Manuel Neuer und Thomas Müller - der nun mit elf Titeln Spieler-Rekordmeister ist. Immerhin seit 2014 am Start: Robert Lewandowski. Ob er bleibt? Schau’n mer mal, heißt es in München. Seine Tore prägten jedenfalls diese unvergleichliche Ära, in der es nur ein einziges Mal knapp war. In der Saison 2018/19 betrug der Abstand zwischen den Bayern und dem BVB zwei Zähler.
Ansonsten waren es stets mindestens zehn auf Platz zwei. Einmalig in Europas Topligen. „Es muss enger sein, dass die Bundesliga wirklich bis zum Ende spannend ist und nicht immer schon vier Spieltage vor Schluss entschieden ist“, so Ex-Bayern-Kapitän Philipp Lahm.
Daran müssen sogar die Münchner Interesse haben. Konkurrenz belebt das Geschäft. Sportlich leidet die Bundesliga gerade am fehlenden Wettkampf. Zwar stehen mit Frankfurt und Leipzig zwei Klubs im Halbfinale der Europa League. Die Königsklasse aber wird ohne deutsche Beteiligung entschieden. Das Aus im Viertelfinale gegen den FC Villarreal, das Aus im DFB-Pokal gegen Mönchengladbach, beides wurmt die Bayern noch. Vielleicht fehlten auch deshalb die großen Emotionen. Wenn der Meistertitel das Minimalziel ist, lässt es sich schwer auf den Tischen tanzen.
Unions kleine Rache: Das verpasste Finale in der eigenen Stadt wurmte Urs Fischer noch immer. „Das hätten wir schon gerne erreicht“, gestand der Trainer von Union Berlin und verzog die Mundwinkel. Ob der 2:1-Sieg in der Bundesliga bei RB Leipzig, eben jenem ungeliebten Konkurrenten gegen den Union unter der Woche im Pokal-Halbfinale unterlag, wenigstens ein bisschen Genugtuung gab?
„Es ist für uns ein bisschen Balsam für die Seele“, sagte Sven Michel, der an beiden Toren beteiligt war. 21 Sekunden nach seiner Einwechslung traf er in der 86. Minute zum Ausgleich. Dann legte er mit der Hacke wunderschön das Siegtor von Kevin Behrens auf, der mit ihm aufs Feld gekommen war. Zwei Joker nahmen Rache.
Glanzloser Alltag: Dass es am Ende nur ein 2:2 gegen die TSG Hoffenheim wurde, schien bei Eintracht Frankfurt nur wenige zu stören. Auf nationaler Ebene haben die Hessen die Saison irgendwie abgehakt. „Mit der Bundesliga ist keiner zufrieden“, sagte Präsident Peter Fischer im „Aktuellen Sportstudio“ und fügte an: „Wir kompensieren das mit Europa.“ Auch die Fans haben den Einzug ins Finale der Europa League fest im Blick. „Auswärtssieg!“, skandierten sie schon mit Blick auf das Spiel bei West Ham. Ob dort wieder ähnlich viele Fans das Team unterstützen wie in Barcelona? In England will man das gerne verhindern. Fischer aber glaubt an den Eintracht-Anhang: „Unsere Fans sind erfinderisch.“ Und sie haben Bock, zu feiern. Und wenn das in der Bundesliga nicht geht, dann eben auf anderem Parkett.
Ein Punkt, viele Emotionen: Manchmal haben auch Unentschieden einen Gewinner. Nach dem 3:3 von Borussia Mönchengladbach beim SC Freiburg gab es gefühlt mehr Verlierer. Gladbachs Lars Stindl hätte nach seinem Ausgleich in der 93. Minute gerne Tor und Punkt gefeiert. Doch die eigenen Fans wollten nicht so recht mitziehen. Ein Teil jubelte, ein anderer pöbelte die Spieler, die in die Kurve gekommen waren, an. Die Situation bei der Borussia bleibt eine Woche nach der Niederlage im Derby gegen den 1. FC Köln angespannt.
„Kein Kampf, kein Wille, kein Charakter – ihr seid eine Schande für Stadt und Verein!“, stand auf einem Banner, dass die Gladbacher Fans nach Freiburg gebracht hatten. Die Mannschaft schien bemüht beim SC die Kluft zum Anhang etwas zu schließen, verspielte aber beinahe noch eine 2:0-Führung.
Nationalspieler Jonas Hofmann befand: „Wenn man zur Pause schon 2:0 geführt hat, sind es letztlich auch zwei verlorene Punkte“. Das ließ sich auch für die Freiburger feststellen. Nach einem 0:2 drehten sie die Partie und brachten den Sieg dennoch nicht ins Ziel. „Es fühlt sich extrem an wie eine Niederlage“, stellte Christian Günter fest.
Freiburg hätte seine Woche wenige Tage nach dem erstmaligen Einzug ins Pokalfinale gerne gekrönt. Einer ordnete das Torspektakel gut ein. „Wenn ich jetzt Zuschauer gewesen wäre und diese Mannschaft so zusammenbleiben würde hätte ich mir, glaube ich, eine Dauerkarte gekauft für die nächsten zwei Jahre“, sagte Streich. Muss er aber nicht. Er ist schließlich genauso lange Trainer im Breisgau wie Bayern in Folge den Titel holte...