Weltmeister, Fußballstar, Unternehmer und Wohltäter. Die FC-Legende erzählt über seine Kindheit, den kriegsversehrten Vater, die Anfänge als Fußballprofi und seinen Herzensverein, den 1. FC Köln.
Zum 80. GeburtstagFußball ist sein „Lebenselixier“ – FC-Legende Wolfgang Overath erzählt
Wenn Wolfgang Overath von seinem ereignisreichen Leben erzählt, biegt er thematisch oft in Richtung der Anfänge ab. So wird der Kreis geschlossen zwischen dem Zweiten Weltkrieg, in den er am 29. September 1943 hineingeboren wurde, vielen Entbehrungen und dem Wohlstand, zu dem er es gebracht hat. Er erinnert sich, dass Geld oft knapp war „in unserer doch ziemlich armen Familie“, dass gegen Monatsende zumeist er zum Einkaufen geschickt wurde, denn für das jüngste und kleinste der acht Overath-Kinder wurde im Lebensmittelladen eher angeschrieben.
Fest im Gedächtnis abgespeichert hat Overath auch, dass „wir Kinder in Blechbottichen gebadet wurden“ und Mutter Helene für die Wäscheberge noch keine Maschine zur Verfügung stand. Und ein Bild ist ihm besonders vor Augen, zumal er das Foto immer mal wieder mal in Händen hält: Der kleine Wolfgang und Vater Heinz: „Er war damals erst um die 50, aber schon alt, hatte zwei Weltkriege erleben müssen, wurde verwundet. Unsere Eltern haben trotzdem alles für uns getan.“
Wohl auch wegen der Widrigkeiten im eigenen Leben stand der Vater dem Vorhaben des Sohns skeptisch gegenüber, sich der Hauptbeschäftigung als Fußballspieler zu verschreiben. Denn unter dem durch die Bundesliga-Gründung neu entstandenen Berufszweig konnte er sich so recht nichts vorstellen. Wolfgang Overath selbst auch nicht: „Von Profifußball hatte ich null Ahnung.“ Dennoch schmiss er das Gymnasium kurz vor dem Abitur, um 1962 von seinem Heimatverein Siegburger SV 04 zum 1. FC Köln zu wechseln und dort bis zum Karriereende 1977 zu bleiben. Die Bedenken des Vaters nahmen erst ab, als der inzwischen etablierte Fußballer ihm zeigen konnte, dass er durch den Bau von Häusern auch für die Zeit nach der aktiven Laufbahn abgesichert sein würde.
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Bei Dior gefertigte Trikots aus Seide
Overath war am ersten Bundesliga-Spieltag am 24. August 1963 dabei, schoss beim 1. FC Saarbrücken das Führungstor. Mit einem 2:0 leiteten die Kölner ein, dass sie in dieser für den deutschen Fußball historischen Spielzeit erster Deutscher Meister wurden. Dies auch deshalb souverän, weil der legendäre Vereinspräsident Franz Kremer, der sich mit seiner Vision von der Bundesliga mit Mitstreitern durchsetzen konnte, für seinen FC die besten Bedingungen geschaffen hatte. Dass die Mannschaft in blütenweißen, in Paris bei Dior aus Seide gefertigten Trikots auflief, war dafür nur ein äußeres Zeichen. „Wichtiger war, dass der FC am Geißbockheim schon ein tolles, modernes Trainingsgelände besaß“, sagt Overath. „Auch dafür hatte Franz Kremer gesorgt. Da konnte kein anderer Bundesliga-Verein mithalten.“
1200 D-Mark monatliches Grundgehalt und 250 D-Mark Prämie pro Sieg waren in Overaths erstem Vertrag vereinbart, zudem gab es einmalig 5000 D-Mark und einen gebrauchten VW Karmann-Ghia.
Nur fünf Wochen nach dem Bundesliga-Debüt feierte Overath in Frankfurt am Main gegen die Türkei (3:0) auch seinen Einstand in der Nationalelf. Dass Profis heute ein Vielfaches verdienen, neidet er den Nachfolgern nicht. Und häufige Vereinswechsel sind für ihn „einfach der Lauf der Zeit“, wie Overath in einem Interview zum Bundesliga-Jubiläum im „DFL Magazin“ der Deutschen Fußball Liga äußerte. „Heute ist Fußballprofi eher wie ein Job in anderen Berufen – das ist überhaupt nicht negativ gemeint, gar kein Vorwurf an die jetzige Spielergeneration. Früher ist man zu einem Verein gegangen, den man liebte und über den man sagte: Das ist mein Verein.“
Mehr Zweifel hegte Overath, als Rufe laut wurden, er solle das Amt des FC-Präsidenten übernehmen, dessen Verwaltungsrat er von 1994 bis 1998 schon angehört hatte – zumal sein Freund und früherer Nationalmannschaftskollege Uwe Seeler, der in dieser Rolle beim Hamburger SV (1995 bis 1997) selbst nicht glücklich geworden war, abriet. Dennoch übernahm Overath den Part von 2004 bis 2011. Dass sein ehrenamtliches Engagement von „so viel Negativem“ (Overath) begleitet wurde, führte zu seinem Rücktritt. Aus Enttäuschung über kritische Töne besuchte Overath anschließend drei Jahre lang kein Heimspiel in Müngersdorf mehr, wo er nach der Versöhnung nun wieder regelmäßig zu Gast ist.
Für den Verein seines Herzens absolvierte Overath 542 Pflichtspiele, damit die meisten aller FC-Profis, darunter 409 Einsätze (83 Tore) in der Bundesliga. 1968 und 1977 folgten DFB-Pokalsiege auf die Deutsche Meisterschaft, der sich am 24. März 1965 ein spezielles Erlebnis anschloss. Als im Europapokal der Landesmeister, der heutigen Champions League, im Viertelfinale gegen den FC Liverpool Hin- und Rückspiel jeweils 0:0 endeten, wurde ein Entscheidungsspiel angesetzt. Und als auch dieses Aufeinandertreffen in Rotterdam trotz Verlängerung unentschieden stand (2:2), gab es kein Elfmeterschießen, sondern eine Entscheidung per Münzwurf. Um die Spannung weiter auf die Spitze zu treiben, blieb die vom belgischen Schiedsrichter Robert Schaut geworfene Holzscheibe zunächst senkrecht im Boden stecken. Im zweiten Anlauf war das Glück auf Liverpools Seite. Köln hingegen hatte nach 300 Minuten Gesamtspielzeit ohne Niederlage verloren.
„Das Los ist keine Lösung“, sagte Overath. Dann schon „lieber“ auf dem Platz das Nachsehen haben wie im ebenso dramatischen „Jahrhundertspiel“ im WM-Halbfinale 1970 in Mexiko, das Italien mit 4:3 gewann – dieses Mal nach Verlängerung. Der Linksfuß mit den genialen Pässen, Regisseur und Kämpfernatur, sicherte im Spiel um Platz drei gegen Uruguay mit seinem Tor den 1:0-Sieg, wurde zum besten Mittelfeldspieler der WM gekürt. Weil Franz Beckenbauer im „kleinen Finale“ verletzt fehlte, war Overath nach der Heim-WM 1974 der einzige Spieler, der bei den drei Turnieren seit der Vizeweltmeisterschaft 1966 in England alle 19 Begegnungen des DFB-Teams bestritten hatte.
EM-Titel wegen Operation verpasst
Den EM-Titel 1972, bei dem Günter Netzer brillierte, hatte Overath wegen einer Leistenoperation verpasst. Lange fand er nicht mehr zurück zur Form, beschäftigte sich gar mit einem Verzicht auf die WM 1974, bevor im ersten Training der Vorbereitung „plötzlich alles wieder wie von selbst ging“. Der Weg war frei zur sportlichen Krönung im 81. und letzten Länderspiel (17 Tore), zum WM-Titel durch ein 2:1 im Endspiel gegen die Niederlande in München. „Für die deutsche Nationalmannschaft war er von uns der bessere, weil im positiven Sinne besessenere Spieler“, sagt Netzer. Trotz ihrer Rivalität um die beste Nummer 10 waren beide Regisseure schon damals befreundet – „heute mehr denn je“, so Overath.
Zweimal pro Woche geht es noch immer in die Halle „zum Training“, wie er sagt. „Nach wie vor bin ich mit Leib und Seele dabei. Fußball ist Lebenselixier, Laufen für mich Quälerei.“ Trotzdem joggt Overath ebenso regelmäßig an der Wahnbachtalsperre nahe seinem Geburts- und Wohnort Siegburg. Die Heimatstadt hat ihn 2003 zum Ehrenbürger ernannt, durch zahlreiche weitere Auszeichnungen wurde neben den sportlichen Leistungen auch sein soziales Engagement gewürdigt.
Großes soziales Engagement
18 Jahre war Overath in der Elf von Lotto Rheinland-Pfalz aktiv, die vor allem für benachteiligte Kinder mehr als 3,4 Millionen Euro einspielte. Ein nach ihm benannter Fonds hat Obdachlose und Familien in Not schon mit mehr als zwei Millionen Euro an Spendengeldern unterstützt.
„Wenn es einem gut geht, muss man helfen“, sagt Overath. „Noch heute weiß ich, wie es bei uns zu Hause aussah. Und dass ich dann ein Leben auf der Sonnenseite verbracht habe. Mit einer tollen Familie“: Ehefrau Karin heiratete er 1966. Der Kontakt zu den Söhnen Marco und Sascha ist ebenso eng wie zur brasilianischen Adoptivtochter Silvana. In seiner Immobilienfirma mit Büros in Siegburg und Troisdorf arbeitet Overath bei guter Gesundheit unverändert täglich. All das „bringt mir das Gefühl“, sagt er vor seinem 80. Geburtstag an diesem Freitag, „da gibt es ganz oben jemand, an den ich glaube. Und ich bete jeden Abend und sage: vielen Dank! Ich hatte ein so ein wunderbares Leben.“