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Analyse zum 1. FC KölnWarum das Kainz-Experiment ein fatales Licht auf die Kaderplanung wirft

Lesezeit 4 Minuten
Florian Kainz steht auf dem Spielfeld und versucht den Ball abzuwehren.

In ungewohnter Rolle: Der Kölner Offensiv-Allrounder Florian Kainz musste bei der 1:2-Niederlage in Bremen in der Defensive aushelfen.

Nach nur einem Punkt aus fünf Spielen droht dem 1. FC Köln der schlechteste Start seit der Abstiegs-Saison 2017/18. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Vakuum im defensiven Mittelfeld.

Florian Kainz begab sich bei der Rückkehr an seine frühere Wirkungsstätte auf ungewohntes Terrain. Zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere wurde der 30-jährige Offensivakteur im defensiven Mittelfeld aufgeboten. Es würde die vielfältigen Probleme des noch sieglosen 1. FC Köln nicht ausreichend abbilden, die 1:2-Niederlage beim SV Werder Bremen einzig auf das taktische Experiment von Steffen Baumgart zurückzuführen, mit dem der FC-Trainer ausgerechnet im Kellerduell der Fußball-Bundesliga für Erstaunen gesorgt hatte. Gleichwohl wirft die Besetzung der Kölner Doppelsechs Fragen auf. Fragen, die die Kaderplanung betreffen und damit grundsätzlicher Natur sind.

Mitgliederversammlung am Mittwoch im Zeichen der Krise

Wo in den vergangenen vier Jahren der von Eintracht Frankfurt abgeworbene Ellyes Skhiri als geniales Bindeglied zwischen Defensive und Offensive die Fäden im Kölner Spiel zog, versuchte sich der FC in der richtungsweisenden Partie an der Weser mit einem Duo, das so wohl kaum jemand auf dem Zettel gehabt haben dürfte. Die Doppelsechs setzte sich zusammen aus dem ehemaligen Kölner Topscorer Florian Kainz und dem ehemaligen Regionalliga-Spieler Denis Huseinbasic, der auf der Suche ist nach jener Leichtigkeit, mit der er in seinem Bundesliga-Premierenjahr im Angriff umherwirbelte.

Der eigentliche Sechser Dejan Ljubicic wurde im Gegenzug auf den rechten Flügel beordert, Luca Waldschmidt rückte wiederum von der Außenbahn nach innen. Die Idee dahinter lautete, möglichst viele potenzielle Leistungsträger gleichzeitig aufzubieten. Somit bestand Steffen Baumgarts Prellbock vor der Abwehr aus zwei Spielern, die sich eigentlich für die Entstehung und Verwertung von Torchancen verantwortlich zeichnen. Zweikampfhärte und Laufstärke, zwei Eigenschaften, die im defensiven Mittelfeld besonders gefragt sind, zählen positionsbedingt dagegen nicht zu den Kernkompetenzen von Florian Kainz und Denis Huseinbasic.

Obendrein sah sich Kainz mit der Herausforderung konfrontiert, bereits die dritte unterschiedliche Position in dieser noch jungen Saison bekleiden zu müssen. Der Linksaußen, der auf dem Flügel einst mit Finten und Flanken glänzte, war am Ende der vergangenen Saison in Ermangelung eines Spielmachers auf die Zehner-Position gezogen worden. Jetzt, wo in Eric Martel und Mathias Olesen zwei defensive Mittelfeldspieler verletzt ausfallen, gab der Routinier auch noch den Aushilfs-Sechser. In Verbindung mit der Übernahme der Kapitänsbinde von Freund und FC-Legende Jonas Hector ist das womöglich zu viel Verantwortung auf einmal für den introvertierten österreichischen Nationalspieler, der wie sein vom sommerlichen Wechselwirbel gezeichneter Landsmann Dejan Ljubicic der Topform weit hinterherhinkt.

Noch kein Zutrauen zu Neuzugang Jacob Christensen

Der wochenlange Ausfall von Martel und Olesen wäre eigentlich eine Chance für Jacob Christensen. Doch Steffen Baumgart scheint dem jungen Neuzugang aus Dänemark die Bundesliga noch nicht zuzutrauen. Anders ist es nicht zu erklären, dass Christensen seit seinem Debüt beim Pokalspiel in Osnabrück komplett unberücksichtigt geblieben ist. Zwar hatten die Kölner Verantwortlichen von Beginn an betont, in dem 22-Jährigen eine Investition in die Zukunft zu sehen, also keinen klassischen Ersatz für Ellyes Skhiri. Dass Christensen es nach fünf Spieltagen allerdings auf noch keine einzige Bundesliga-Minute gebracht hat, ist dann doch eine herbe Enttäuschung.

Dabei verfügten die Kölner Entscheider über ausreichend Vorlauf, die Weichen für die Zeit nach der Ära Ellyes Skhiri zu stellen. Der Abgang des Schlüsselspielers hatte sich bereits vor einem Jahr abgezeichnet. Trotz finanzieller Altlasten und des Damoklesschwerts Transfersperre müssen sich Sportliche Leitung und Scouting-Abteilung die Frage gefallen lassen, warum ihnen für die so wichtige Schaltzentrale im Mittelfeld keine Verpflichtung gelungen ist, die dem FC ohne längere Eingewöhnungszeit weitergeholfen hätte. „Bei Ellyes Skhiri ist klar, was passieren wird. Daher müssen wir uns auf der Sechs mit einem Spieler verstärken, der annähernd in der Lage ist, in seine Fußstapfen zu treten“, hatte Sportchef Christian Keller Ende März in einem Interview mit dieser Zeitung angekündigt.

Bei Ellyes Skhiri ist klar, was passieren wird. Daher müssen wir uns auf der Sechs mit einem Spieler verstärken, der annähernd in der Lage ist, in seine Fußstapfen zu treten.
FC-Sportchef Christian Keller im März 2023

Ein halbes Jahr später ist die Realität eine andere. Nach dem Verlust von Jonas Hector und Ellyes Skhiri sind Spieler, die Verantwortung übernehmen, augenblicklich rar gesät im Kölner Kader. Der Wirkungstreffer nach besorgniserregender zweiter Halbzeit in Bremen veranlasste Sportchef Keller dazu, von „vermeintlichen Leistungsträgern“ zu sprechen. Das Vertrauen in die eigene Spielidee hat durch den krachenden Fehlstart spürbaren Schaden erlitten.

Nach nur einem Punkt von 15 möglichen steht der FC vor dem Heimspiel am Samstag gegen das Überraschungsteam VfB Stuttgart mit dem Rücken zur Wand. Es droht der schlechteste Start seit sechs Jahren, der Saison des sechsten Abstiegs. Die Mitgliederversammlung am Mittwochabend (18 Uhr, Lanxess Arena), bei der ursprünglich die Präsentation eines Millionengewinns im Vordergrund stehen sollte, findet nun unter gänzlich veränderten Vorzeichen statt.