Die niedergelassenen Ärzte rufen wegen zunehmender Gewalt von Patienten die Politik um Hilfe und fordern schärfere Strafen.
Tür eingetretenLage in Arztpraxen eskaliert immer öfter
„Aggressives Verhalten, verbale Bedrohungen bis hin zu Tätlichkeiten sind ein wachsendes Problem in den Arztpraxen. Nicht nur in Notaufnahmen, auch bei den Niedergelassenen eskaliert die Lage immer öfter“, sagte Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), unserer Redaktion. Offene Aggression und ein extrem forderndes Verhalten hätten deutlich zugenommen. „Es geht um verbale, es geht um physische Gewalt. Ich hatte selbst schon einen Patienten, der eine Tür kaputt getreten hat“, sagte Gassen.
„Asoziales Verhalten“ bislang ohne Konsequenzen
Bislang habe „so ein asoziales Verhalten null Konsequenzen“, so der KBV-Chef. „Deshalb muss das Gesetz von Justizminister Marco Buschmann zum besseren Schutz von Einsatzkräften auf die Arztpraxen ausgeweitet werden.“ Es sei überfällig, das Strafgesetz hier zu verschärfen, denn „auch Praxen müssen sich nicht alles bieten lassen“. Buschmann kündigte an, dies zu prüfen. „Wir wollen Rettungskräfte wie Feuerwehrleute, Polizisten oder auch das medizinische Personal in den Notfallambulanzen besser vor Anfeindungen und Gewalt schützen“, sagte der FDP-Politiker unserer Redaktion. Ob es vergleichbare Situationen in den Praxen gebe, werde er mit Gassen besprechen. Buschmann stellte aber klar: „Wer in eine Arztpraxis geht, dort Menschen bedroht, beleidigt, sie mit Gewalt angeht oder das Hausrecht verletzt, macht sich schon heute strafbar.“
Gesundheitsminister Lauterbach unterstützt härtere Bestrafung
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach sich in einem Post auf der Plattform X bereits klar für eine stärkere Bestrafung bei Gewalt oder Gewaltandrohungen gegen Ärzte und Pflegekräfte aus.„Uns droht so schon ein ganz massiver Arztmangel, Praxen können nicht wieder besetzt werden“, schrieb er. Mit Buschmann arbeite er derzeit an dem Gesetz zur Strafverschärfung. „Eine Klientel, die meint, jedem drohen zu können“KBV-Chef Gassen betonte, in der Regel hätten Patienten und Ärzte ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. „Es gibt aber eine kleine, leider aber größer werdende Klientel, die wirklich schwer erträglich ist. Die meint, jedem drohen zu können.“
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Ein nationenübergreifendes Phänomen
Zu den „Übeltätern“ gehörten gleichermaßen Menschen mit Migrationshintergrund, Flüchtlinge und Deutsche. Dass sich Patienten nicht benehmen könnten und eine „schräge Einschätzung der eigenen Behandlungsdringlichkeit“ hätten, sei „ein nationenübergreifendes Phänomen“, betonte Gassen, der als Orthopäde in Düsseldorf praktiziert. „Wir können Gewalt in den Praxen als Gesellschaft nicht länger tolerieren“, mahnte auch Dirk Spelmeyer, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, eindringlich im Gespräch mit unserer Redaktion. „Der Ton ist in der Tat aggressiver geworden.“ Gerade die Medizinischen Fachangestellten würden bisweilen beleidigt und beschimpft. Das sei nicht hinnehmbar, so Spelmeyer.
Mehr als jeder Dritte Mediziner berichtet von brenzligen Situationen
Bundesweite Zahlen zu der Problematik gebe es nicht, hieß es auf Anfrage von der Bundesärztekammer. Jedoch hatte die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe, die rund 15000 niedergelassene Ärzte vertritt, diese kürzlich zu Gewalterfahrungen befragt. Über ein Drittel von ihnen hat demnach bei Hausbesuchen im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes bereits brenzlige oder gefährliche Situationen erlebt. Auch in einigen Notfalldienst-Praxen habe das Aggressionspotenzial zugenommen. Als einen Grund für Aggressionen nennen Betroffene mangelnden Respekt.
Ein Arzt aus einer Notaufnahme sprach jüngst von Patienten mit einer „Vollkasko-Mentalität“, nach der das eigene Problem sofort gelöst werden müsse. Auch Wartezeiten ließen eine Situation schneller eskalieren. Die steigen seit Jahren, weil inzwischen Menschen mit einer Vielzahl von Problemen in die Ambulanzen drängen. Erste Krankenhäuser in NRW haben bereits reagiert, um insbesondere die Notaufnahmen zu schützen. Viele Kliniken ergreifen Gegenmaßnahmen: Sie schulen ihr Personal in Deeskalation, statten Diensttelefone mit Notrufknöpfen aus, nutzen Videobeobachtung oder Sicherheitsdienste – und wünschen sich eine Strafverschärfung. Die Bundesärztekammer unterstützt dieses Vorhaben. Straftaten gegen medizinische Berufsgruppen müssten schärfer bestraft, aber auch effektiv verfolgt und aufgeklärt werden, fordert sie. „Wir brauchen dringend Aufklärungskampagnen, die deutlich machen, dass diese Menschen Retter und Helfer sind“, hieß es auf Anfrage. (mit dpa)