Rhein-Sieg-Kreis – Menschenrettung ist eigentlich nicht erste Aufgabe des Technischen Hilfswerks (THW). „Das kann ich an einer Hand abzählen in meinen 36 Jahren Zugehörigkeit“, sagt der Ortsbeauftragte des THW Siegburg, Oliver Schieferstein, im Gespräch mit dieser Zeitung. Doch in der vergangenen Woche war alles anders. „Wir haben Babys aus den Fluten gerettet und Menschen aus Autos gezogen“, beschreibt er Szenen des Einsatzes. „Mit unserem Kipper haben wir Krankentransporte gemacht, weil die Rettungswagen nicht mehr weiterkamen.“
Am Mittwoch um 16 Uhr ging es los, zunächst zu einem überörtlichen Einsatz in Eschweiler. Sascha Brennig wurde als Fachberater in die Einsatzleitung geschickt, Ralf Beyer war an der Steinbachtalsperre als Fachberater Hochwasser/Deich gefragt. Schnell wurden die Einsatzkräfte nach Rheinbach und Swisttal geleitet, mit ihren halbwegs watfähigen Gerätekraftwagen (GKW). „Da wurde die Himmelsrichtung genannt und die Ansage: Sucht euch eure Einsätze.“ Lange suchen mussten sie nicht.
Schon auf der Anfahrt schwamm ihnen auf der Autobahn 61 ein Wagen entgegen. „Wir sind mit dem Lastwagen rangefahren, um ihn aufzuhalten. Einer der Helfer ist auf das Dach des Autos geklettert. Er hat die Scheibe eingeschlagen, den Fahrer herausgeholt, und die anderen haben ihn in die Mannschaftskabine gezogen.“ Durch die Betonrinne des Mittelstreifens stieg das Wasser auf der einen Fahrbahn an, wurde zum Flusslauf, während in der Gegenrichtung der Verkehr noch fast normal lief.
„Bei einem Stopp hörte die Gruppe Hilferufe“, erinnert sich Schieferstein. Auf einem benachbarten Feld stand ein von den Fluten umschlossener Hochsitz, darauf eine vierköpfige Familie mit einem Baby. „Die kamen nicht mehr weg. Zufällig war ein Strömungsretter der DLRG vor Ort. Mit einem unserer Leute konnte er eine Leine spannen, die wir an unserem GKW anschlugen. Mit der Schleifkorbtrage konnten wir erst das Baby und dann den Rest der Familie in Sicherheit bringen.“ Zwei GKW mussten sie stehen lassen, weil sie weder vor- noch zurückkamen. Erst zwei Tage später konnten sie sie wieder holen.
Ralf Beyer berichtet von unter Brücken eingekeilten Fahrzeugen, von der schwierigen Situation an der Talsperre, von Häusern, die voll liefen. „Da hörst du Menschen um Hilfe rufen und kannst nichts mehr tun. Und irgendwann hören sie auf zu schreien.“
Die psychischen Belastungen für die Ehrenamtler sind greifbar. „Das sind Situationen, die für uns außergewöhnlich waren und die auch nachwirken werden“, stellt Schieferstein fest. Deshalb hat er zu einer ersten Nachbereitung eingeladen, in der Sascha Brennig, Teil der Einsatzleitung im Kreishaus, über die außergewöhnlichen Anforderungen referiert.
THW konnte als einzige Organisation flächendeckend kommunizieren
Der „komplette THW-Bausatz“, so der Ortsbeauftragte, sei genutzt worden, außer die Fachgruppe Sprengen. Pumpen, Häuser abstützen, Beleuchtung, Räumen, schwere Fahrzeuge – alles kam zum Einsatz. Etwa 70 THW-Helfer waren vor Ort. Manche von ihnen standen über Stunden im Bereitstellungsraum in Swisttal-Heimerzheim, wären gern aktiv geworden.
Brennig beschreibt dezidiert die Phasen der Großschadenslage, die Schwierigkeiten mit der Kommunikation. „Wir waren übrigens die einzige Organisation, die flächendeckend miteinander kommunizieren konnte“, erklärt er. Funkmasten standen auf dem Hof der Unterkunft An den Tongruben, so konnte der Analogfunk aufrechterhalten werden.Nicht glücklich waren die Ehrenamtler, wollten sie doch helfen. Brennig machte ihnen klar, wie schwierig die Koordination gerade in der Anfangsphase war. Aber auch, wie wichtig frische Kräfte in der taktischen Reserve seien, falls plötzlich Notsituationen aufgetreten wären. Er bedankte sich bei seinen Siegburger Kollegen, die ihm im Schichtmodus den Rücken frei hielten.
Auch die Rolle der sozialen Medien sprach Schieferstein an: „Das hat erheblichen Druck auf die Helfer ausgeübt, insbesondere die Fake News, dass der Damm in Euskirchen gebrochen sei.“ Bei einer dieser Meldungen stiegen zwei seiner Leute auf das Dach des Rathauses in Swisttal-Ludendorf, meldeten sich über Handy bei ihren Freunden und Verwandten. Dann gab es lange Zeit keinen Kontakt mehr, passiert ist zum Glück nichts.
„Das war für mich eine Horrorvorstellung, dass ich meine Leute in den Einsatz schicke und sie sich verletzen oder gar sterben.“ Seine Betroffenheit ist deutlich spürbar. Sie wird noch lange bleiben.