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Großübung250 Einsatzkräfte trainieren am Zülpicher See – Szenario mit vielen Verletzten

Lesezeit 6 Minuten
Das Bild zeigt zwei Taucher. Einer von ihnen hat eine Puppe sichernd umarmt.

Die Taucher der DLRG fanden „Ali“, die Puppe, nach relativ kurzer Suche in dem trüben Wasser.

Ein Unwetter stürzt ein Festival ins Chaos. Das ist das Szenario einer Übung der Rettungsdienste in Zülpich mit 70 Verletztendarstellern.

Eben noch war Festivalstimmung im Seepark am Zülpicher Wassersportsee, rund 1000 Zuschauer feierten die Musik. Doch dann geschieht das Unverstellbare: Ein Unwetter zieht auf, eine Windhose zieht über das Gelände, Bühnenteile fliegen durch die Luft. Von einem Moment auf den anderen herrscht nur noch Chaos. Personen sind verletzt, einige schwer, ein Feuer bricht aus. Die Menschen schreien, rufen um Hilfe oder rennen sogar panisch ins Wasser, wo sie zu ertrinken drohen.

Doch glücklicherweise ist das alles nur gespielt und eine Übung. Die Wunden der Verletzten sind aufgemalt, das Chaos wohlberechnet. Im Rahmen einer Großübung proben zahlreiche Einsatzkräfte aus dem gesamten Kreis Euskirchen die Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten (ManV), wie es im Rettungswesen heißt. Rund 250 Einsatzkräfte und 70 Mimen sind bei der Übung involviert.

Bei „Rock am Ring“ am Nürburgring schlug 2016 der Blitz ein

Es ist ein Szenario, das jeder Veranstalter fürchtet: Während die Leute tanzen und feiern, kommt ein plötzliches Unwetter, das Schäden verursacht, Verletzte fordert und Panik auslöst. Ganz so unwahrscheinlich ist ein solches Szenario keineswegs: Immer wieder erscheinen derartige Ereignisse in den Schlagzeilen, beispielsweise bei „Rock am Ring“ im Jahr 2016, als durch einen Blitzeinschlag Dutzende Menschen verletzt wurden, 15 davon schwer.

Natürlich bereiten sich die Veranstalter vor. Ersthelfer sind vor Ort, in zahlreichen Fällen muss eine Brandsicherheitswache gestellt werden. Doch wenn ein Ereignis mit derart vielen Opfern und Betroffenen eintritt, übersteigt das die vor Ort bereitstehenden Kapazitäten bei Weitem. Viele Retter sind dann erforderlich, deren Einsatz möglichst koordiniert ablaufen sollte.

Vier Rettungskräfte transportieren einen Mann auf einer Krankentrage zu einem Rettungswagen.

Angesichts dutzender „Verletzter“ hatten die Rettungskräfte alle Hände voll zu tun.

Das Bild zeigte eine Frau mit Kappe, die neben einer Verletzten kniet und gestikulierend auf einen Rettungsassistenten einredet.

Mit viel Energie ist Birgit Beerse (mit Kappe) unterwegs, um die Retter gehörig unter Druck zu setzen.

Einmal einen Ernstfall zu simulieren, damit sich die Einsatzkräfte etwa mit den Örtlichkeiten vertraut machen können, ist daher in der Regel sehr willkommen. Das war es auch im Fall von Seepark und Stadt Zülpich. Wie Kreisbrandmeister Peter Jonas berichtet, hatten sie direkt großes Interesse, als er die Anfrage stellte, ob dort eine solche Übung stattfinden könne.

Bei derart groß angelegten Übungen geht es in erster Linie um die Koordination und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Organisationen. Am Samstag etwa haben Kräfte vom Rettungsdienst des Kreises, der Feuerwehren aus mehreren Kommunen, von DRK, THW, Maltesern und DLRG zusammengearbeitet.

Rotes Kreuz und DLRG arbeiten zusammen auf dem Zülpicher See

Während sich auf dem eigentlichen Festivalgelände die eintreffenden Rettungskräfte darum kümmern, zunächst Strukturen zu schaffen, eine geordnete Versorgung der Patienten und den schnellen Transport in die Krankenhäuser zu organisieren, arbeiten die Wasserwacht des DRK und die DLRG gemeinsam auf dem See. Ihre Aufgabe ist es, die Menschen, die ins Wasser geflohen sind, wieder an Land zu bekommen.

Dies erweist sich als keine ganz einfache Aufgabe, da die zwei Menschen, die rund 30 Meter vom Ufer entfernt schwimmen, eigentlich wild entschlossen sind, an Ort und Stelle zu bleiben. „Ali, wo bist du?“, rufen sie immer wieder. René Loben, Einsatzleiter der DLRG im Kreis Euskirchen, erläutert die Situation: „Die beiden suchen einen dritten, der allerdings unter Wasser ist.“ Was im Ernstfall auch zur Folge haben kann, dass diese sich dann auch nicht retten lassen wollen, sondern lieber weitersuchen. Doch das solle den Profis überlassen werden, die schon auf der Anfahrt seien.

Das Bild zeigt einige der für die Übung engagierten Darsteller, die sich vor einer Registrierungsstelle aufgereiht haben.

Alle nicht Verletzten mussten sich bei den Maltesern registrieren lassen.

Zwei Feuerwehrleute knien im Rahmen einer Übung bei Verletztendarstellern, die sich eine Decke über den Kopf gezogen haben und über eine Wiese krabbeln.

Mit einer Decke über dem Kopf krabbelten diese beiden Mimen über die Wiese. Sie spielten Jugendliche im Drogenrausch.

Dabei seien die Aussichten, eine Person, die schon länger unter Wasser sei, wirklich unbeschadet an die Oberfläche zu bekommen, nicht besonders gut. Loben: „Drei bis fünf Minuten ist in etwa die Zeitspanne. Danach beginnen die Hirnzellen abzusterben.“ Dennoch ist Aufgeben auch nach dem Ablauf dieser Zeitspanne keine Option: Loben berichtet, dass es bereits Fälle gegeben haben, wo Menschen, die aus kaltem Wasser gerettet worden seien, auch noch nach 20 Minuten erfolgreich reanimiert worden seien. Der Regelfall sei das leider nicht: „Bis die Taucher da sind, wird aus der Rettung meist eine Bergung.“ Denn laut Loben benötigen die Taucher eine halbe Stunde Rüstzeit und dann noch die Anfahrt an den Unfallort.

Mit einem speziellen Suchmuster machen sich Tobias van Bonn und Christoph Höhner auf die Suche nach der Puppe, die den verschwundenen „Ali“ darstellt. Bis zu einem Meter weit habe er gesehen, sagt van Bonn: „Ich musste abbremsen, um nicht gegen die Puppe zu schwimmen.“

Auch wenn es nur eine Puppe ist, arbeitet das Taucherteam wie im Ernstfall: Wiederbelebungsmaßnahmen mit Herzdruckmassage und Sauerstoff werden eingeleitet. Jedoch haben all ihre Mühen keinen Erfolg. „Tot“, stellt Notärztin Nicole Fuchs für die gerettete Puppe fest. Sie findet solche Übungen wichtig, denn die Abläufe müssten einstudiert werden. „Bei mir ist es das erste Mal, dass ich mit dabei bin.“

Die Mimen am Zülpicher See schreien, schimpfen und drängeln

Auch auf dem eigentlichen Festivalgelände ist einiges los. Denn die 70 Mimen beschränken sich nicht darauf, mit ihren aufgeschminkten Wunden auf Behandlung zu warten, sondern benehmen sich so, wie sich Menschen unter Schock und in Panik benehmen: Sie schreien, sie schimpfen, sie drängeln. Zwei Jugendliche spielen einen Drogenrausch, haben sich eine Decke über den Kopf gezogen und versuchen, vom Gelände zu kriechen, bis sie von zwei Feuerwehrleuten aufgehalten werden.

Warum hilft hier denn keiner? Ihr steht ja nur rum!
Eine Darstellerin

Oder Brigitte Beerse vom DRK-Kreisverband Rhein-Sieg, die aufgeregt von einem Helfer zum nächsten rennt, sie stört und immer wieder zu den Verletzten zieht. „Ich bin von außen dazugekommen, denn ich wollte drei Leute von dem Konzert abholen, die jetzt verletzt sind, und jetzt muss ich mich natürlich um die kümmern“, beschreibt sie ihre Rolle. Dann gibt sie wieder Gas. „Warum hilft hier denn keiner? Ihr steht ja nur rum!“, ruft sie ein ums andere Mal und zerrt die Helfer durch die Gegend. Dann wieder vergattert sie andere Opfer dazu, Schatten für die Bewusstlosen zu spenden.

Seit 2019 engagiert Beerse sich in dem Bereich. „Ich finde das als Ehrenamt sinnvoll, weil nur so die Rettungskräfte richtig ausgebildet werden können“, erläutert sie die Notwendigkeit dieser besonderen Schauspiel-Sparte. Eine so realistisch wie möglich gespielte Übung könne dazu beitragen, im Ernstfall die Angst zu nehmen. Derartige Mimen werden laut Beerse stets gesucht. Und: Wer so etwas mache, könne sich bundesweit betätigen.

„Wir haben hier erfahrene Kräfte, aber auch Mimen, die zum ersten Mal dabei sind“, sagt Janina Engel vom Jugendrotkreuz. Die jungen DRKler und Jugendfeuerwehrleute stellten zahlreiche der Verletztendarsteller. Was sie jeweils spielen, könnten sie sich aussuchen. „Dem einen liegt das Schreien, den anderen mehr die Verletzung“, sagt Engel.

Zehn Helfer haben vor Übungsbeginn dafür gesorgt, dass die geschminkten Wunden verblüffend echt aussehen. Wie bei Burkhard Kühn, dem ein Metallteil so an den Körper geklebt ist, dass es aussieht, als stecke es in der Lunge. Im wahren Leben würde ihn eine solche Verletzung wahrscheinlich das Leben kosten. Doch Kühn ist ganz entspannt. Diese Verletzung simuliert er nicht zum ersten Mal bei einer Übung. Ihm liege es, verletzt zu sein, findet Kühn: „Verletzungen sind einfacher zu spielen als ein Schock.“