Bergisch Gladbach – Was für ein dreister Halbstarker, der nicht zum Prozess kommt und nicht ans Handy geht, als ihn Jugendrichterin Britta Epbinder anruft. Er ist angeklagt, auf dem Hohenzollernring in Köln einen Bekannten niedergeschlagen zu haben. Doch dann kommt der 19-jährige Angeklagte mit einer halben Stunde Verspätung doch noch ins Gericht, entschuldigt sich kleinlaut, der Bus habe im Stau gestanden.
Der freche Halbstarke entpuppt sich als familiär überforderter junger Mann, und am Ende verurteilt ihn die Richterin trotz einiger Bedenken nach Jugend- statt nach Erwachsenenstrafrecht. Für den Faustschlag ins Gesicht seines früheren Fußball-Trainers kassiert Ali G. (Namen geändert), der Forderung der Anklägerin entsprechend, „nur“ eine Verwarnung. Er muss sich ein Jahr lang unter Betreuungsaufsicht stellen, 300 Euro Schmerzensgeld zahlen und an einem Antiaggressionstraining des Gladbacher Jugendamtes teilnehmen.
Attacke am Weiberfastnachtstag
Begegnet waren sich Täter und Opfer (25) an Weiberfastnacht gegen 18.15 Uhr. Während Ali G. angab, der andere habe ihn so beleidigt, dass er mit der flachen Hand zugeschlagen habe, schilderte Peter K. das Geschehen anders. Ali G. habe gefälschte Impfzertifikate angeboten.
Das habe er auf Snapchat gemacht, einem Internet-Dienst, der Fotos und andere Medien eigentlich nur kurz sichtbar werden lässt. Peter K. habe allerdings einen Screenshot davon angefertigt, was wiederum Ali mitbekommen habe. Darüber sei Ali sauer gewesen und habe fest zugeschlagen.
Weitere Anklagen sind schon erhoben
Der Faustschlag war nicht das erste Mal, dass Ali G. mit dem Gesetz in Konflikt kam. Epbinders Vorgänger hatte dem jungen Mann bereits zwanzig Sozialstunden aufgebrummt und ihn, weil er sie nicht zu Ende machte, für zwei Wochen in Jugendarrest geschickt. Zwei weitere, ganz neue Anklagen wegen Körperverletzung und wegen sexueller Belästigung sind noch anhängig.
Andererseits befindet sich Ali im zweiten Lehrjahr als Automechaniker, spielt wieder im Verein Fußball, hat seit einem Jahr eine feste Freundin. Die familiäre Situation ist schwierig: Die Eltern sind geschieden, die beiden Schwestern leben bei der Mutter, Ali dagegen beim Vater, um ihm eine Stütze zu sein. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe spricht von einer „Parentifizierung“, einer Rollenumkehr zwischen Vater und Sohn. Überdies überweist Ali von seinem Lehrgeld 200 Euro monatlich an die Mutter, damit es auch seine Schwestern gut haben.
Ausbildung soll nicht zerstört werden
Angesichts all dieser Umstände äußert die Staatsanwältin, dass sie den Angeklagten am liebsten erst einmal für vier Wochen in Arrest schicken würde, um dann weiterzusehen. „Aber wir müssen ja pädagogisch vorgehen“ – und auch an das Ausbildungsverhältnis des jungen Mannes denken.
Richterin Epbinder appelliert im Urteil an Ali, an seinen Aggressionen und an seiner Zuverlässigkeit zu arbeiten. Der junge Mann, der sich erkennbar schwer damit getan hat, in dem von vier Justiz-Auszubildenden und -Praktikantinnen besuchten Prozess offen über seine Empfindungen zu reden, nimmt das Urteil sofort an. Voraussichtlich im Februar wird er sich erneut vor der Jugendrichterin verantworten müssen.