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InklusionMädchen mit Epilepsie wird aus Spielgruppe in Bergisch Gladbach geworfen

Lesezeit 5 Minuten
Das Mädchen sitzt auf dem Boden im Wohnzimmer und sieht sich ein Bilderbuch an.

Die zweijährige Antonia leidet unter Epilepsie, und ihre Betreuung stellt Einrichtungen vor schwierige Fragen. Was können Erzieher und Erzieherinnen leisten – wie kann mit der Krankheit umgegangen werden?

Nach nur fünf Wochen kündigt der Elternverein den Platz in der Kleinkinderspielgruppe. Die traurige Geschichte einer gescheiterten Inklusion.

Monatelang haben Dorothee und Richard Breske nach einem Betreuungsplatz für ihre Tochter gesucht. Die zweijährige Antonia leidet an Epilepsie und soll gemeinsam mit Gleichaltrigen spielen und lernen. Dann haben sie endlich Glück und finden einen Platz in einer Kleinkinderspielgruppe. Doch die Inklusion scheitert. Das Jugendamt lässt die Familie allein. Es ist die traurige Geschichte einer großen Enttäuschung.

Was zuerst nach „Glück gehabt“ aussieht, nimmt keinen guten Ausgang. Nach nur fünf Wochen in der Kleinkinderspielgruppe wird Antonia einfach aussortiert. „Nach eingehender Prüfung der Situation mussten wir uns leider eingestehen, dass die Erzieherinnen nicht ausreichend fachlich ausgebildet/geschult sind“, heißt es in dem Kündigungsschreiben des Elternvereins vom 8. Oktober.

Angeführt wird noch, das Raumangebot sei zu begrenzt, um eine angemessene und tragbare Betreuung von Antonia zu gewährleisten. Die Kündigung des Platzes gilt mit sofortiger Wirkung. Die Krankheit des Mädchens wird mit keinem Wort erwähnt.

Antonia soll mit Gleichaltrigen aufwachsen

Antonia hat das Dravet-Syndrom, eine frühkindliche schwere Form der Epilepsie. Die Krampfanfälle kommen in Verbindung mit Fieber oder extrem hohen Außentemperaturen, erzählt Dorothee Breske, bei ihrer Tochter in der Regel nachts, nur einmal bisher tagsüber. Die Krankheit nehme einen leichten Verlauf, Antonia entwickle sich bislang ganz normal. Um das Risiko, dass dies nicht so bleiben wird, wissen die Eltern. Solange, wie es geht, wollen sie nicht, dass ihre kleine Tochter in einer Parallelwelt groß wird, sie soll mit Gleichaltrigen ohne Behinderung zusammen sein können.

„Antonia liebt andere Kinder“, sagt Dorothee Breske. Morgens setzt sie sich stolz ihren neuen rosa Rucksack auf. Groß sieht sie damit aus, denkt ihre Mutter. In der Spielgruppe fühlt sie sich von Anfang an wohl. „Am liebsten hat Antonia in der Kinderküche gespielt.“ Betreut werden die zehn Kinder im Alter ab zwei Jahren von einer Erzieherin und einer weiteren pädagogischen Kraft, insgesamt neun Stunden, aufgeteilt auf drei Vormittage in der Woche. Die Finanzierung der Spielgruppe wird zu 80 Prozent von der Stadt getragen, zu 20 Prozent über Elternbeiträge.

Neuer Vorstand meldete Bedenken an

Die Zusage für den Platz hatte der Elternverein im Mai gegeben. Aber dann wechselte zum neuen Kita-Jahr im August der Vorstand im Elternverein und meldete Bedenken an. „Es ging vor allem um die Verabreichung des Medikaments im Falle eines Krampfanfalls“, berichtet Dorothee Breske. Sie bemüht sich, dem Kita-Personal zu erklären, dass die Bedienung einfach sei.

Diese Einschätzung bestätigt ein Urteil des Sozialgerichts Dresden aus dem Jahr 2019. Das Gericht stellt fest, dass die Verabreichung des Mittels mit seiner einfachen Bedienung ausdrücklich auch Lehrern und Erziehern zuzumuten ist. Das Medikament kann entweder rektal zugeführt oder in den Mund gespritzt werden.

Nie wurde mit uns nach Lösungen gesucht. Immer ging es nur um Probleme
Mutter Dorothee Breske

„Nie wurde zusammen mit uns nach Lösungen gesucht. Immer ging es nur um Probleme“, erinnert sich Dorothee Breske. Eine auch durch das Jugendamt angeregte Schulung zur Medikamentengabe habe keine Resonanz gefunden. Stattdessen habe der Vorstand vorgebracht, im Fall eines epileptischen Anfalls müsse ein Rettungswagen alarmiert werden, berichtet die 40-Jährige. In dieser Zeit falle eine der beiden Erzieherinnen aus bei der Beaufsichtigung der anderen Kinder. Aus Sicht von Richard Breske ein reines Scheinargument: „Jedes Kind kann sich mal verletzen, zum Beispiel wenn es vom Klettergerüst fällt.“

Zudem befinden sich die Räumlichkeiten der Spielgruppe in einem Anbau des Vinzenz-Pallotti-Hospitals. Der Rettungswagen wäre innerhalb weniger Minuten vor Ort. Der Vorstand der Elterninitiative gibt keine Stellungnahme ab auf die schriftliche und telefonische Anfrage dieser Zeitung.

Individualbetreuung für Spielgruppen ist nicht vorgesehen

„Wer nicht will, der will nicht“, sagt Richard Breske. Er habe zwischen den Zeilen die wahre Begründung für den Rauswurf herausgehört: „Unsere Tochter ist aufgrund ihrer Krankheit nicht erwünscht.“ Er kann nicht verstehen, dass er sich dafür rechtfertigen muss, dass er seiner Tochter ermöglichen will, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein.

Eine Individualbegleitung, finanziert durch den Landschaftsverband Rheinland auf Grundlage des Bundesteilhabegesetzes, ist nur für Kindertageseinrichtungen möglich, aber nicht für solch niederschwellige Angebote wie Spielgruppen, bestätigt ein Sprecher des LVR. Aus Sicht der Eltern sei diese aktuell gar nicht nötig, weil Antonia noch regelhaft entwickelt sei.

Stadt Bergisch Gladbach lässt Familie allein

Das städtische Pressebüro verweist in seiner Reaktion auf die Anfragen dieser Zeitung bezüglich Integrationshilfen für Antonias Altersklasse auf den LVR sowie auf eine unabhängige Beratungsstelle für Eltern in Bergisch Gladbach. „Das Problem liegt zudem wohl bei der Elterninitiative“, heißt es in einer weiteren Mail. Weitere Fragen der Redaktion, wie das Jugendamt Eltern mit behinderten Kindern bei der Suche nach einem Betreuungsplatz unterstützt, beantwortet die Stadtverwaltung anderthalb Wochen lang nicht.

So ergeht es auch den Breskes bei ihren Bitten um Unterstützung bei den Diskrepanzen mit dem Elternvorstand. „Unsere Mails und Anrufe hat das Jugendamt zum Teil bis heute nicht beantwortet“, sagt Richard Breske. Eine Sachbearbeiterin habe der Elterninitiative immerhin den Vorschlag einer Schulung für den Notfall unterbreitet – ohne Erfolg.

Aber vor ein paar Tagen habe sich die neue zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamtes aufgrund der Zeitungsanfragen gemeldet: „Sie wollte sich unsere Geschichte anhören.“ Auf die Frage, wie sich das anfühlt, sucht Dorothee Breske nach dem richtigen Wort: „ohnmächtig“, sagt sie.

Die Eltern machen nun Abstriche bei ihren Arbeitszeiten, um für Antonia da zu sein. Dorothee Breske arbeitet in Teilzeit als Lehrerin an einer Förderschule, ihr Mann Richard in der Immobilienverwaltung. Die Odyssee der Suche nach einem Kita-Platz — diesmal aber in einer integrativen Kindertagesstätte — geht weiter.


Elternverband bietet Schulungen an

Epilepsie ist kein Ausschluss, in den Kindergarten zu gehen, stellt Mireille Schauer, Epilepsie-Beraterin und Pädagogin beim Epilepsie Bundes-Elternverband, in aller Deutlichkeit fest. Wenn Kinder aus Einrichtungen rausgeworfen oder gar nicht erst aufgenommen werden aufgrund ihrer Erkrankung, liege ein klarer Verstoß gegen die Inklusion und Chancengleichheit vor.

Leider sei Antonias Schicksal kein Einzelfall. „Wir erleben es immer wieder, dass es in Kindergärten oder Schulen zu Ausschlüssen kommt“, berichtet Schauer. Meistens schaffe es der Verband, Diskrepanzen auszuräumen, indem er über das Krankheitsbild aufkläre.

Auch ein Dravet-Syndrom als schwere Form der Epilepsie sei kein Ausschluss-Kriterium. Die Kündigung des Platzes von Antonia sei Diskriminierung. Zudem betont Schauer, dass ein Krampfanfall, der mit einem Medikament unterbrochen werde, kein Notfall sei.

Einrichtungen könnten sich jederzeit bei dem Elternverband melden, um eine kostenlose und umfassende Online-Schulung zum Umgang mit der Krankheit zu erhalten – am besten per Mail. Ein Rückruf erfolge dann zeitnah. (ub)