AboAbonnieren

NazizeitWie Jascha Lülsdorf aus Schildgen der Kennedy-Fotograf Lowe wurde

Lesezeit 4 Minuten
Schildgen_JFK_am_Schreibtisch

Fotografischer Wegbegleiter von John F. Kennedy (l.) war Jacques Lowe. 

Bergisch Gladbach – Sie haben in der Nazi-Zeit hier gelebt, die jüdischen Bürger, auch in Schildgen. Achim Rieks, Vorsitzender des Ökumenischen Begegnungscafés Himmel un Ääd, hat die Schicksale der Menschen recherchiert und sie innerhalb des Forums Ostwest bei einem Zoom-Meeting unter dem Titel „Jüdische Biographien in Schildgen“ vorgetragen.

Unter den 36 Teilnehmern entdeckte man auch Ursula Völkner, die Enkeltochter jenes Dr. Erich Deutsch, der 1944 im KZ Theresienstadt ums Leben kam. Ein Stolperstein in Schildgen erinnert an den Medizinalrat, der 1936 in Schildgen ein Haus kaufte, wo heute das Sparkassengebäude steht. „Ich bin doch Deutscher, ich gehe hier nicht weg“, hatte Erich Deutsch sich geweigert, wie seine Tochter Ilse ins sichere Ausland zu fliehen.

Er war integriert im Gemeindeleben, in Berlin, in Wanne-Eickel, in Ründeroth, dann in Schildgen, immer wieder verfolgt von den Nazis. 1903 war er zum Christentum konvertiert, als er seine evangelische Frau heiratete. Als ihm Ende 1934 die Approbation als Arzt entzogen wurde, lebte die Familie vom Obstverkauf aus dem Garten und dem Sekretärinnengehalt der Tochter, die 1938 wieder nach Schildgen kam, 1941 den Optiker Kurt Edelmann heiratete und 1943 Tochter Ursula zur Welt brachte.

Enkeltochter von Erich Deutsch ist wichtige Zeitzeugin

Ursula erfuhr erst mit 16 Jahren vom tragischen Schicksal ihres Großvaters und seiner Familie. In diesen Jahren ist die 77-Jährige, aktive Schildgenerin auch für Achim Rieks eine wichtige Gesprächspartnerin und überaus besorgt über den Vormarsch rechten Gedankenguts.

Schildgen_Dr._Erich_Deutsch

Medizinalrat in Schildgen war Dr. Erich Deutsch.

Auch der Großindustrielle Dr. Paul Silverberg (1886-1959) konvertierte 1895 zum evangelischen Christentum. 1903 wurde er der Nachfolger seines Vaters Adolf als Generaldirektor der Fortuna AG für Braunkohlebergbau und Brikettfabrikation, später Rheinbraun. „Er war der führende Kopf der Rheinischen Braunkohleindustrie, das Großkraftwerk Fortuna versorgte 30 Jahre lang Köln mit Strom“, so Achim Rieks.

1915 kaufte Silverberg das Herrenhaus Hoverhof im Dhünntal. Mit Konrad Adenauer verband den Unternehmer eine lebenslange Freundschaft, mit anderen Großindustriellen wie Stinnes, Siemens, Krupp und Duisberg war er gut bekannt und befreundet. Doch 1933 verlor er seine mächtige Position in der Wirtschaft, 1934 musste der Protestant wegen seiner jüdischen Herkunft in die Schweiz emigrieren, er kehrte nie nach Deutschland zurück, starb 1959 in Lugano. Silverberg war für das Kölner MAKK Museum für angewandte Kunst ein bedeutender Stifter.

Das könnte Sie auch interessieren:

Seine Bekanntschaft mit Silverberg brachte auch den jüdischen Kölner Hut-Fabrikaten Martin Reichenbach nach Schildgen: Er kaufte das herrschaftliche Landhaus „Odinshof“ – seine katholische Frau „Änne“ bewirtschaftete den Hof, brachte die Söhne Klaus-Martin, Hans und Rolf auf die Welt.

Schildgen_Drei_Reichenbach-Soehne_wurden_Priester

Die drei Reichenbach-Söhne wurden Priester.

Um den Nazis zu entgehen, emigrierte Martin Reichenbach 1939 nach England, nie sollte er seine Frau wiedersehen. Die drei Kinder überlebten in der Niederlanden, mussten immer wieder vor dem Zugriff der Nazis den Ort wechseln. „Alle drei Jungen wurden Priester“, berichtet Achim Rieks. Die Villa wurde im April 1945 durch eine Brandbombe vollständig zerstört.

Jascha Lülsdorf versteckte sich im Kohlenkeller

Für einen weiteren jüdischen Mitbürger spielte Schildgen eine wichtige Rolle: Jascha Lülsdorf, Jahrgang 1930, der wegen seiner Mutter als Volljude eingestuft wurde, konnte sich hinter dem Kartoffelkeller im Heizraum der Gaststätte „Zur Post“ vor den Nazis verstecken. Als er 1940 als Zehnjähriger nach Amerika auswandern konnte, nannte er sich Jacques Lowe und wurde später als Fotograf berühmt: Seit 1958 vor allem als fotografischer Wegbegleiter der Familie Kennedy.

„Die Attentate an den Kennedy-Brüdern warfen ihn aus der Bahn – er fotografierte zehn Jahre lang nicht mehr“, berichtet Achim Rieks über den Kölner, der 2001 mit 71 Jahren in Manhattan starb. Ein paar Monate nach seinem Tod wurden 40.000 Negative von Lowe bei der Zerstörung des World Trade Centers am 1. September 2001 vernichtet.

Mehr über das Leben des Kennedy-Fotografen und seine Schildgener Zeit wird Achim Rieks in der Reihe Geschichts-Forum innerhalb des Forums Ostwest mit einer Ausstellung im Ökumenischen Begegnungscafé Himmel un Ääd vom 15. Juni bis 10. Juli vermitteln, dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr, samstags von 9 bis 13 Uhr. Erforderlich ist eine Anmeldung auf der Homepage.