Offene Stellen, Überlastungen in den Pflege- und Klinikeinrichtungen belasten das Gesundheitssystem. Betroffene und Träger äußern sich.
PflegekräftemangelPotenziale bei Menschen mit Fluchthintergrund wird häufig nicht genutzt
„Pflegekräfte werden doch gesucht. Ich verstehe nicht, dass ich bisher keine Chance auf eine feste Stelle bekomme“, kritisiert Fatoumata Binta Sow. Sie ist 37 Jahre alt, stammt aus dem westafrikanischen Guinea und ist Mutter von drei Kindern (8, 6, 2). Letzteres hat nach eigenen Erfahrungen auch immer wieder zu Absagen bei Pflegeträgern geführt. „Neben mangelnden Sprachkenntnissen war immer wieder das Thema ,Kinder’ ein Hinderungsgrund – auch wenn das bei den Absagen nicht immer offen ausgesprochen wurde“, sagt sie.
Seit 2016 ist Sow in Deutschland. 2017 nahm sie an einem Integrations- und Sprachkurs mit dem mittleren Sprachniveau B1 teil, das in der Regel noch nicht für eine Ausbildung ausreicht.
Sprachbarriere und fehlende Dokumente stellen Hürden dar
Mangelnde Sprachkenntnisse sind auch bei der Caritas in Köln ein Grund, warum es nach Deutschland geflüchtete Menschen schwer haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Der Träger unterstützt daher Integrations- und Lernprojekte, die in den angeschlossenen Gesundheits- und Krankenhilfe-Einrichtungen durchgeführt werden.
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Hinzu kommen jedoch noch weitere Gründe, warum Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund ihre Ausbildung nicht beginnen können, wie Alexander Buhr vom Diözesan-Caritasverband im Erzbistum Köln erläutert: „Die Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen ist oft ein schwieriger Prozess.“ Es fehlen häufig die für die Zulassung benötigten Unterlagen. Manchmal sei deren Besorgung in den Herkunftsländern wegen der Situation vor Ort gar nicht möglich.
„Ein weiterer Hinderungsgrund ist der rechtliche Aufenthaltsstatus der Geflüchteten, der eine Ausbildung verhindert“, so Buhr. Die sogenannte Ausbildungsduldung ist nur bedingt geeignet, denn mit ihr bleiben die Betroffenen weiter ausreisepflichtig, selbst wenn sie für die Dauer der Ausbildung nicht abgeschoben werden können. „Das bietet jedoch keine ausreichende Rechtssicherheit – weder für die arbeitssuchende Person noch für den Ausbildungsbetrieb“, so der Caritas-Mitarbeiter weiter. Dazu benötige man mindestens eine fest verankerte Aufenthaltserlaubnis.
Fatoumata Binta Sow wurde für die Pflege-Ausbildung abgelehent
Fatoumata Binta Sow verfügt aktuell über eine befristete Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge, die ihr grundsätzlich ermöglicht, eine Ausbildung zu machen. Im März 2019 nutzte sie die Chance, ein einmonatiges Praktikum bei den Sozial-Betrieben Köln (SBK) zu absolvieren.
Ihr gefiel die Arbeit und nach einem weiteren Integrations- und Sprachkurs der Stufe B2, welche von der Industrie- und Handelskammer Köln als Mindeststandard für Auszubildende empfohlen wird, bewarb sie sich 2020 für eine dreijährige Ausbildung bei den SBK – jedoch ohne Erfolg. „Begründet haben sie die Absage damit, dass sich ,viele andere beworben hätten und kein Platz mehr für sie da wäre’“, erinnert sich Sow. Es folgten weitere Bewerbungen für eine Ausbildung als Krankenpflegerin in der Klinik Holweide (Februar 2021) und als Altenpflegerin bei der Caritas Köln (Oktober 2021). Auch hier erhielt sie Absagen mit den genannten Begründungen.
Behauptung „jeder kann pflegen“ ist nicht korrekt
Wie bemühen sich andere Träger um Bewerber mit Fluchthintergrund? Der Caritasverband im Bistum Essen teilt auf Anfrage der Rundschau mit, dass man in der Pflege seit vielen Jahren auch Menschen mit Fluchthintergrund ausbilde, um ihnen hier eine neue berufliche Zukunft zu geben. Allerdings sei nicht jeder geeignet oder bereit für den Beruf, sagt Christoph Grätz, Pressereferent beim dortigen Caritasverband.
„Der Eindruck, jeder kann pflegen, ist nicht korrekt. Die Pflege ist eine hoch qualifizierte Arbeit, die einen komplexen Bildungsweg, inklusive der deutschen Sprache, verlangt.“ Auch die Besorgung der Ausbildungsnachweise sei oft sehr aufwändig. Man sei bei der Caritas in Essen aber offen, Geflüchteten eine Chance auf Beschäftigung in der Pflege zu geben, wenn die sprachlichen und Eignungsvoraussetzungen vorliegen.
Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe zeigt Alternative
Ganz anders geht der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe vor. „Wir bilden verstärkt seit 2015 Menschen mit Flüchtlings- und Migrationshintergrund in Pflegeberufen aus. In manchen Jahren ist ihr Anteil bei annähernd 40 Prozent – bei rund 350 Auszubildenden jährlich. Etwa 100 Anwärter bereiten wir regelmäßig vor der Ausbildung in Integrations- und Sprachkursen vor“, stellt die stellvertretende Geschäftsführerin Birgit Schierbaum heraus.
Dabei begleite man die Anwärter bereits vor und während der Ausbildung mit Sprachkursen und sozialpädagogischer Beratung. Auch ein Hauptschulabschluss auf dem zweiten Bildungsweg sei in der Bildungseinrichtung im Bonner Ortsteil Dransdorf möglich. Nach der Ausbildung kommen die Anwärter annähernd zu 100 Prozent bei Trägern im Bonner Raum unter, so die stellvertretende Geschäftsführerin der Dransdorfer Ausbildungsstätte.
„Ein Weg, den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen, ist, die Potenziale, die in der Region sind, auch zu nutzen. Und dazu gehört sicher, Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund zu unterstützen und auszubilden, damit sie einen Pflegeberuf ergreifen können“, ist Schierbaum überzeugt.
Familiäre Situation hat sich entspannt
Seit August letzten Jahres hat es nach vielen Bemühungen nun auch bei Fatoumata Binta Sow geklappt. Seit knapp sieben Monaten absolviert sie eine Ausbildung zur Kinderpflege im Berufskolleg Bergisch Gladbach. Eine Zusage, dass sie danach bei einem Träger eine Anstellung bekommt, hat sie bisher allerdings noch nicht.
Dennoch hofft Sow, dass sie nach Abschluss ihrer Ausbildung in der Pflege auch einen Job findet. Seit Ende 2019 hat sich auch familiär die Situation entspannt. Sie wohnt seitdem wieder mit ihrem Ehemann zusammen, der aus Guinea nachgezogen ist. „Wenn ich Schichtdienst habe, könnte mein Mann auf die Kinder aufpassen. Zudem habe ich Freunde und nette Nachbarn, die aushelfen könnten, wenn es zeitlich eng würde“, so Sow. Sie würde einfach gerne durch eine Arbeit in der Seniorenbetreuung oder Krankenpflege der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben. „Ich möchte in einem Beruf arbeiten, in dem ich Bedürftige pflegen und unterstützen kann“, hofft die 37-Jährige.
Zahlen zur Pflege in Köln und NRW
Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP) in Köln teilt auf Nachfrage der Rundschau mit, dass Menschen mit Fluchterfahrung aktuell in der Pflege bis Mitte letzten Jahres keine große Rolle spielen. „Im Juni 2022 waren in Köln von den insgesamt 11.500 Mitarbeitern rund 70 Personen mit Fluchterfahrung in der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege ausgewiesen. In der Altenpflege waren es von insgesamt 3400 etwa 50 Mitarbeiter“, so Michael Isfort vom DIP. Die Anzahl der Mitarbeiter mit Migrationshintergrund sei hingegen schwierig zu beziffern, weil die Familiensituationen sehr unterschiedlich definiert werden, so Isfort weiter. Es gebe jedoch Zahlen für ganz Nordrhein-Westfalen bei den Auszubildenden mit ausländischem Pass in der Pflege vom Jahr 2020. Hier lag deren Anteil in der Krankenpflege bei rund 1650 von insgesamt 10.900 Schülern und in der Altenpflege bei rund 3040 von insgesamt 13.240 Lernenden.
Offene Stellen in der Pflege in Köln wurden Mitte 2022 im Durchschnitt mit 70 Stellen für Krankenpflegende und 72 Stellen für Altenpflegende angegeben. Nach Auswertung seiner erfassten Daten schätzt das DIP aber die real zu besetzenden Stellen eher bei rund 250, stellt Michael Isfort abschließend fest.