WiehlOberberger Ski-Produktion August Noss nahm vor 65 Jahren Fahrt auf
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Bis zu Beginn der 50er Jahre engagierte sich die Firma Noss vor allem in der Fabrikation von Werkzeughölzern
Im Herbst 1953 kamen die ersten Bretter made in Oberberg auf den Markt.
Mühlen – Die Oberberger machten keine halben Sachen. Als die Firma August Noss in Wiehl-Mühlen, fernab des Hochgebirges gelegen, in die Ski-Produktion einstieg, brachte sie gleich vier verschiedene Modelle in den Handel. Alle trugen an der Spitze eine kleine Plakette mit einem schneebedeckten Berg und dem Wort „Oberberg“. Vor 65 Jahren begann der Aufstieg einer mittelständischen Holzwarenfabrik zu einem angesehenen Ski-Lieferanten. Davor hatte Noss lediglich Holz für Skier geliefert.
Es ist fraglich, ob die Alpinisten der 50er bis 70er Jahre wussten, dass ihre Bretter aus einer vergleichsweise flachen Mittelgebirgsregion im weiten Norden stammen. Wer an die Skiproduktion denkt, hatte Oberberg schon damals nicht auf der Karte. In der oberbergischen Zeitung hieß es im Oktober 1953: „Die meisten der Bretter, auf denen unsere Skihaserln in den Winterurlaub fahren, werden in Oberbayern angefertigt. Und dort sitzen auch die altgeübten Meister.“
Lattenproduzent
Im Dezember 1933 berichtete die Gummersbacher Zeitung vom Holzbearbeitungswerk Noss in Mühlen. Schon zu dieser Zeit betätigte sich die Firma in der Ski-Branche, jedoch nur als Zulieferer. Noss produzierte Holzlatten, aus denen andere Unternehmen Skier herstellten. „Vor vier oder fünf Jahren widmete man sich zum ersten Male der Wintersport-Geschäftsmöglichkeiten“, hieß es in dem Bericht: „Heute liefert Mühlen seine Schilatten an den größten Teil der deutschen Fabriken, weiterhin aber auch ins Ausland: Italien, Schweiz, Österreich, Tschechei, Rumänien, Siebenbürgen.“ (ag)
Dass sich die Mühlener trotzdem aufs glatte Eis der Skiproduktion begaben, hatte wirtschaftliche Gründe. Bis zu Beginn der 50er Jahre engagierte sich die Firma Noss vor allem in der Fabrikation von Werkzeughölzern: Stiele für Äxte, Besen und andere Gartengeräte wurden hergestellt, zuerst aus Eschenholz, später dann nur noch aus dem härteren Hickory. Doch eines Tages war der Stiele-Markt gesättigt, die Produktion musste heruntergefahren werden, berichtete die Zeitung damals: Kurzarbeit oder Entlassungen hätten gedroht, wäre die Betriebsleitung nicht auf die Idee mit den Skiern gekommen. Ein durchaus kühner Gedanke, denn so weitab der Alpen gab es zu dieser Zeit kaum Hersteller.
Die Zeitung schrieb: „Die Chefs überlegten etliche Monate, sondierten das Feld, stellten fest, daß die Zahl der Wintersportler erheblich gestiegen ist.“ Kurzentschlossen wurde ein Fachmann aus dem oberbayerischen Murnau in die Firma geholt, um den Weg zu den eigenen Skiern zu bereiten – mit Erfolg.
Das Skimaterial der Wahl war damals das erwähnte Hickory-Holz. Stämme der Baumsorte importierte die Firma Noss aus nordamerikanischen Wäldern. Hickory ist ein sehr hartes, belastbares und haltbares Holz. Der Oberbayer half den Oberbergern, eine Vorrichtung herzustellen, mit der das Holz unter Druck zu besonders stabilen Brettern verleimt werden konnte. Zuerst wurde aus der abgelagerten Holzlatte, dem sogenannten Kantel, die Form des Skis herausgeschnitten. Dann kamen die Latten in die Biegerei, wo das Holz in Dampf gekocht, dadurch geschmeidig gemacht und gebogen wurde. Im nächsten Schritt wurde das Holz gebeizt, anschließend schliff ein Meister die Kanten. Zum Schluss schliff ein Arbeiter die Führungsspur an der Unterseite des Skis, das Brett wurde lackiert und Stahlkanten eingesetzt.
Im Herbst 1953 kamen die ersten Bretter made in Oberberg auf dem Markt. Das Berg-Emblem für die Skispitze hatte der Grafiker Otto Seligmann aus Ründeroth entworfen. Die Plakette wich später einem einfacheren Aufkleber mit verschneitem Berg und dem Schriftzug Noss auf rotem Grund. Auf einigen Skiern stand auch nur „Noss“.
Vier vier Gütesorten gab es schon 1953: Die einfache Ausführung trug den Namen „Sekunde“, höherpreisig waren „Prima“ und „Spezial“. Noch tiefer ins Portemonnaie greifen musste der Skifahrer für die „Spezial-Auslese“. Die Skier unterschieden sich in der Qualität des Holzes.
Bis Ende 1970er Jahre wurden in Mühlen bei Bielstein Skier produziert. Einen der letzten Noss-Skier fuhr Dr. Erwin Kampf (66), ehemaliger Vorsitzender des Wiehler Kulturkreises. Er hat familiäre Verbindungen zur Firma, seine Großmutter Bertha war eine geborene Noss. „Ich hatte in den 70ern den letzten Kunststoff-Ski, den P 60“, erinnert sich Kampf. Das P stand für Plastik: „Wobei der Kern des Skis aus Holz bestand, der nur mit Kunststoff beschichtet war.“
Es sei ein guter Ski gewesen, sagt Kampf: „Trotzdem waren die Kunststoffski nur eine kurze Episode, das letzte Aufbäumen.“ Die Konkurrenz aus dem Alpenraum war zu groß. Im Jahr 1980 wurde die Holzwarenfabrik in Mühlen abgerissen.