Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen haben zuletzt alles bestimmt – auch im Gesundheitssystem in Oberberg.
Wie lang ist der Schatten, den das Virus wirft, wirklich?
Frank Klemmer hat Dr. Ralph Krolewski, Arzt mit Praxis in Bernberg und Vorsitzender des oberbergischen Hausärzte-Verbandes, gefragt, welche Folgen Corona für seinen Berufsstand hat.
Herr Dr. Krolewski, Sie haben gerade noch Urlaub. Haben Sie den gebraucht nach den letzten Monaten in der Praxis?Ralph Krolewski: Na klar, wir hatten zwar weniger Patienten, aber wir haben mit großer Aufmerksamkeit immer unter der FFP-2-Maske gearbeitet – acht Stunden am Tag, alle meine Mitarbeiter und ich. Die Arbeit unter der Maske ist eine Belastung. Man wird schneller müde. Wir haben gemessen, ob wir Sauerstoffmangel bekommen. Das war zwar nicht der Fall. Aber man merkt das, es ist anstrengender.
Sie selbst haben sehr früh auf die Gefahr hingewiesen – im Kreisgesundheitsausschuss schon vor Karneval. Waren Sie trotzdem ein bisschen überrascht, wie stark das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen ist?
Es ist ja so, dass wir laufend neu lernen. Ich war auch deshalb vorbereitet, weil ich mich schon damals während des Ausbruchs der Schweinegrippe vor mehr als zehn Jahren sehr ausgiebig mit dem Ausbruch von Pandemien auseinandergesetzt habe. Bei Covid-19 haben wir es mit einem neuen Virus zu tun, das als Gefahr seit 2003 und dem Ausbruch von Sars schlummerte – das wusste ich. Deshalb habe ich schon seit Längerem darauf hingewiesen, aber es hat keiner ernstgenommen. Im Februar habe ich dann im Kreisgesundheitsausschuss vorgetragen, dass wir nicht vorbereitet sind.
Wie konnten Sie seit 2003 die Pandemie kommen sehen?
Die Faktoren für so eine Pandemie waren von den Epidemiologen schon beschrieben. Es sind auch Forderungen gestellt worden, um so einen Verlauf zu verhindern. Die sind aber weder national noch international berücksichtigt worden. Seit 2009 habe ich in meiner Praxis Vorkehrungen getroffen – zum Beispiel indem ich das Fenster mit Gegensprechanlage habe einbauen lassen.
Wie war die Reaktion auf Ihre Rolle als Mahner? Andere wie Karl Lauterbach sind dafür angefeindet worden. Sie auch?
Das ist mir so nicht widerfahren, ich bin nicht persönlich angegriffen worden. Ich habe immer meine Meinung, die ich aufgrund der veröffentlichten Quellen entwickelt habe, begründet. Und das hat auch keiner gewagt anzugreifen. Mich hat gewundert, wie spät manche Diskussionen in Deutschland erschienen sind, sowohl in der Ärzteschaft als auch auf der politischen Ebene.
Schon Ende Februar hat einer der führenden Epidemiologen aus Asien bei einem Vortrag in London über die Wirkungsweise von sozial-distanzierenden Maßnahmen berichtet. Demnach hatten zum Beispiel Schulschließungen und Masken einen fast 50-prozentigen Effekt zur Eindämmung des Virus in Hongkong.
Hongkong ist ja immer noch eher am Westen orientiert. Da funktioniert das anders als sonst in China, wo eine ganze Stadt in kürzester Zeit unter Kriegsbedingungen heruntergefahren werden kann. Die Frage war, was in einer freiheitlicheren Gesellschaft geht. Ich habe das sofort aufgegriffen. Da wurde in Deutschland noch lange nicht über eine Maskenpflicht diskutiert, auch von Lauterbach nicht.
Wie gut haben sich Ihre Kollegen in Oberberg inzwischen auf die Lage eingestellt?
Ich finde, alle haben das gut geschafft. Am Anfang war das große Thema die Schutzausrüstung. Anfangs habe ich eine anonyme Umfrage bei oberbergischen Hausarztpraxen gemacht, wie viel bei den Kollegen da ist und wie lange es reicht. Damals hatten 80 Prozent keine ausreichende Schutzausrüstung. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein hat dann auf dem internationalen Markt – zum Teil unter abenteuerlichen Bedingungen, auch konfrontiert mit Betrügern – Schutzausrüstung besorgt. Die oberbergischen Praxen bekamen zwei Tage vorher eine E-Mail mit einem Code, mit dem sie an einem Abholpunkt in Remscheid-Lennep ihre Ausrüstung holen konnten. Da wurden vier 40-Tonner-Trucks aufgefahren – für eine kontrollierte Vergabeaktion, die auch gesichert war vor kriminellen Zugriffen. Inzwischen gab es drei Verteilaktionen. Bei der ersten Aktion hat jede Praxis 20 FFP-2-Masken bekommen – und das nicht nach deutschem Standard. Wie sich herausstellte, waren einige Chargen auch gefälscht. In dieser Phase haben sich die Praxen tapfer orientiert. Sie haben sowohl die Regelversorgung im Lockdown sichergestellt als auch sich um Corona-Verdachtsfälle gekümmert, bis die KV Schwerpunkt-Sprechstunden eingerichtet hatte.
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Die Lage ist, dass wir uns für einige Monate noch in einer kontrollierten Eindämmungsphase befinden. Die unterschiedlichen Maßnahmen zur sozialen Distanzierung werden immer wieder anhand der aktuellen epidemiologischen Situation beurteilt werden müssen, bis wir Covid-19 durch eine Massenimpfung zurückdrängen können. Die ganze Gesellschaft ist einer neuen Normalität gelandet. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, sich darauf einzustellen und sie solidarisch zu bewältigen.
Was bedeutet die neue Normalität für die Hausärzte?
Ich nenne Ihnen ein paar Zahlen: Wir behandeln hier im Oberbergischen im Quartal im Durchschnitt über 200 000 Patienten. Im zweiten Quartal 2020 sind pro Hausarztpraxis 25 bis 30 Prozent weniger in die Behandlung gekommen. Dabei sind die Menschen nicht gesünder geworden. Sie sind nicht in die Praxen gekommen, obwohl ihre Beschwerden Vorboten einer schwereren Erkrankung sein könnten. Die Praxen haben unter Infektionsschutzbedingungen gearbeitet, die dazu führen, dass man in der gleichen Zeit viel weniger Patienten mit einer höheren Aufmerksamkeit behandeln muss. In der Urlaubszeit haben wir zwar jetzt mehr Fälle, weil wir uns gegenseitig vertreten. Aber erst am Ende des Quartals werden wir wissen, wie sich die Fallzahlen entwickelt haben.
Welche Folgen hat das?
Das hat ökonomische Auswirkungen auf die Praxen. Das Gesundheitssystem gilt als kritische Infrastruktur in Deutschland. Auch für den Bereich der niedergelassenen Ärzte wurde ein Rettungsschirm aufgespannt. Dennoch haben viele Praxen Kurzarbeit anmelden müssen. Es kann durchaus sein, dass sie ab Herbst in Liquiditätsengpässe kommen – je nachdem, welche Kreditbelastungen es gibt. Ich habe auch gehört, dass es Zurückhaltung bei neuen Niederlassungsplänen gibt. Auch das gehört zur neuen Normalität, dass es keine sicheren Abschätzungen gibt, welche finanziellen Folgen die Krise noch hat.
Gehört es zur neuen Normalität auch, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter beschleunigt wird?
Die meisten Praxen bieten meines Wissens Videosprechstunden schon an. Die werden aber nur wenig genutzt. Nehmen wir meinen Standort in Bernberg: Wenn ich vor Corona 200 Patienten in der Praxis gesehen habe, hat im Vergleich dazu vielleicht einer mal eine Videosprechstunde in Anspruch genommen. Ich habe eine sehr unterschiedliche Klientel mit Patienten aus 54 Herkunftsländern, darunter auch viele Flüchtlinge aus 18 verschiedenen Ländern. Die wollen den direkten Arzt-Patienten-Kontakt.
Trotzdem engagieren Sie sich für mehr Digitalisierung in der Medizin...
Wir haben ein gut organisiertes Gesundheitssystem in Oberberg, aber die Zusammenarbeit muss besser werden. Ich habe den Krankenhäusern angeboten, Schnittstellen einzurichten, um die Kommunikation zu verbessern. Die Technik haben wir mit den Pflegediensten auf den Weg gebracht – eine standardisierte Kurz-Kommunikation auf dem Boden eines Kooperationsprojektes, das es seit 2009 gibt.
Die Technik kommt von der US Navy und der Nasa, sie wurde im Jahr 2000 in den USA ins Gesundheitswesen übertragen. Ich habe durch Zufall davon erfahren, wir haben das ins Deutsche übertragen und mit den Pflegediensten abgestimmt. Jetzt haben wir es auf Covid-19 angepasst. Wir, das heißt der Hausärzteverband mit meinem Kollegen Thomas Assmann und mir, haben allen Akteuren angeboten, sich zu beteiligen. Es hängt jetzt von den anderen Akteuren ab, ob sie die Chance aufgreifen.