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Interview

Biodiversitätsforscher
„Dem regionalen Wald geht es mit dem Klimawandel definitiv schlecht“

Lesezeit 8 Minuten
Die Fichte hat in unseren Wäldern auf Dauer keine Zukunft mehr, ist die Meinung von Experten.

Die Fichte hat in unseren Wäldern auf Dauer keine Zukunft mehr, ist die Meinung von Experten.

Jens Mutke forscht zu Biodiversität in der Region und sieht Klima-, Wald- und Artenschutz als ganzheitliche Aufgabe. Wir haben mit ihm gesprochen

Den Wald als CO2-Speicher und Lebensgrundlage zu erhalten, ist eine hochkomplexe Aufgabe, bei der es auf das Zusammenspiel aller Akteure ankommt. Im Interview mit Jutta Laege gibt Biodiversitätsforscher Dr. Jens Mutke aus Bonn Einblicke.

Wann würden Sie einen Wald hierzulande gesund bezeichnen?

Wenn die Bäume vital und von Laub bedeckt sind, wenige Krankheitssymptome zeigen, der Wald insgesamt resistent gegen Umweltstress ist. Ein gesunder Wald sollte gewisse Umweltschwankungen gut vertragen. Es sollte eine natürliche Verjüngung da sein, die Bäume sollten sich immer wieder selbst aussäen und nachkommen können. Und wenn der Wald gesund ist, hilft er bei der Klima- und Wasserregulierung, sorgt für den Schutz der biologischen Vielfalt, für Boden- und Erosionsschutz – also das, was wir neben der Holzproduktion als „Ökosystemleistungen“ bezeichnen.

Wie würden Sie den Wald von heute beschreiben?

Es gibt zwei Aspekte: Einerseits ist der deutsche Wald gesünder als vor 200 Jahren. Andererseits geht es ihm heute unter den Herausforderungen des Klimawandels definitiv schlecht.

Das müssen Sie bitte genauer erklären.

Der typische geschlossene Hochwald, wie wir ihn heute bei uns sehen, hat sich erst in den letzten 200 Jahren wieder so entwickelt. Wälder wurden im Mittelalter, aber auch zum Anfang der Industrialisierung deutlich intensiver genutzt. Da hatte man auf vielen Flächen kaum noch große Bäume, sondern nur noch sogenannten Stockausschlag. Bäume, die gefällt wurden, mussten neue Triebe entwickeln, die dann, nach 15 Jahren wieder geschlagen werden konnten. Das führte zu einem sogenannten Niederwald.

Warum ist der Zustand des heutigen Waldes so bedenklich?

Laut Waldschadensbericht sind etwa 80 Prozent der Bäume in irgendeiner Form geschädigt. Da spielen vor allem die letzten Trockenjahre 2018 bis 2020 und 2022 eine große Rolle, wo in weiten Bereichen deutlich über die Hälfte aller Fichten abgestorben sind. Östlich von Köln, im Königsforst, waren es über 90 Prozent. Im Kottenforst bei Bonn sind auch die meisten Fichten weg – insgesamt etwa 15 Prozent der Waldfläche innerhalb weniger Jahre.

Welche Gegenmaßnahmen sind bisher ergriffen worden?

Zumindest die Wälder in der öffentlichen Hand sind in den letzten zwei, drei Jahrzehnten zunehmend umgebaut worden. Prinzipiell will man den Fichtenanteil reduzieren und den Mischwaldanteil erhöhen. Es gibt da vorbildliche Naturschutzprojekte wie die Villewälder zwischen Köln und Bonn. Da arbeiten Landesbetrieb Wald und Holz NRW und Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft zusammen mit der Biologischen Station für eine naturnähere Bewirtschaftung des Waldes.

Und im Privatwald?

Wir haben in Deutschland rund 50 Prozent Privatwald , bei dem deutlich mehr auf Fichte gesetzt wurde, was natürlich aus ökonomischer Sicht lange Zeit Sinn gemacht hat. Die holzverarbeitende Industrie in Deutschland ist zum größten Teil auf Nadelholz angelegt. Fichte wächst schnell, wächst gerade, ist gut zu verarbeiten. Aber ist halt einfach kein Zukunftsmodell. Unterhalb 600 Metern über Normalnull muss man sagen, ist Fichte einfach Geschichte.

Welche Rolle kann denn die Holzwirtschaft in Zukunft spielen?

Wenn Holz im Bau zunehmend klimaschädliche Baumaterialien wie Zement ersetzt, haben wir einen positiven Effekt. Schonende lokale Holzproduktion macht auch mehr Sinn, als das Holz aus anderen Regionen der Erde zu kaufen und dort für Abholzung zu sorgen. Fast alle Wälder in Deutschland wurden schon irgendwie genutzt. Wir sollten aber Wildnisgebiete und Altbestände, die wir noch haben, erhalten als Refugien für Tierarten, Pilzarten, Pflanzenarten und auch als Schutzfläche. Das muss man im Blick haben. Aber auch Waldbesitzer honorieren, die die privatwirtschaftliche Nutzung zurückstellen.

Wie wird sich der Wald bei uns verändern?

Es leiden ja nicht nur die Fichten, sondern auch Buchen und Eichen, die eigentlich stabiler bezüglich Trockenheit sein sollten. Vor allem betroffen sind auch die wirklich alten Bäume. Hier im Kottenforst bei Bonn sind alte Buchen stark geschädigt oder abgestorben, weil sie sich einfach nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgen konnten. Und wenn man das auf die nächsten 30, 40 Jahre projiziert, also wirklich einen überschaubaren Zeitraum, dann werden selbst Buchenwälder nur noch in den höheren Lagen im Mittelgebirge stabil sein. Von den zukünftigen klimatischen Bedingungen her ist hier für die Köln-Bonner Bucht ein Flaumeichenwald wie in Südfrankreich oder in Zentralitalien vorhergesagt. Im besten Falle.

Wie genau müssen wir uns diesen Flaumeichenwald vorstellen?

Die Flaumeiche ist eine wärmeliebende Baumart mit größerer Toleranz gegenüber starker Trockenheit und heißen Sommern. Sie bildet im Vergleich zu unseren heutigen Wäldern niedrigere Bestände mit für die Förster unattraktiveren, eher krummen Wuchs. Daher wird das Holz eher für Brennholz verwendet. Es könnten bei uns in solchen Wäldern aber auch einige unserer heutigen Baumarten nach wie vor eine Rolle spielen wie Hainbuchen, Traubeneichen oder Elsbeeren.

Ist das der Wald der Zukunft?

Es gibt derzeit niemanden, der Ihnen seriös sagen, wie unsere Wälder 2070 wirklich aussehen werden. Die tatsächliche Zusammensetzung der Wälder 2070 wird stark vom forstlichen Management beeinflusst sein.

Was sind die schlimmsten Gefahren, die auf den Wald einwirken?

Inzwischen der Klimawandel und wie wir damit umgehen: Ein Wald im Inneren hat teilweise zehn, 15 Grad niedrigere Temperatur und ganz andere Luftfeuchte. Wenn Flächen plötzlich großflächig kahl sind, haben Sie am Boden in voller Sonne unter Umständen über 50 Grad. Und ein Wald besteht ja nicht nur aus Bäumen. In Nordrhein-Westfalen leben ungefähr 20 000 Tierarten im Wald. Und praktisch alle Landpflanzen haben eine Symbiose mit Pilzen, die Trockenheit nicht vertragen. Neben dem Klimawandel, kommen aber auch Gefahren wie der Stickstoffeintrag hinzu, der aus intensiver Landwirtschaft, aus dem Verkehr und fossilen Energien stammt.

Wie genau leistet der Wald unseren Klimaschutz?

Zum einen als Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels: also wie erwähnt Bodenschutz, Regulierung des Wasserabfluss, Regulierung des Landschaftsklimas. Zum anderen sind im deutschen Wald 2,6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden, davon über die Hälfte im Waldboden. Insofern ist also auch ein gesunder Waldboden, der schonend und nicht mit schweren Maschinen bewirtschaftet wird, wichtig. Und derzeit ist der Wald auch eine Kohlenstoffsenke, da in Deutschland im Schnitt 57 Millionen Tonnen CO2 jährlich gebunden werden – was allerdings weit unter zehn Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen entspricht.

Aber er gibt ja auch wieder den gefährlichen Kohlenstoff ab.

Ja, der Wald ist nicht nur CO2-Senke, sondern auch CO2-Quelle, weil Biomasse umgesetzt wird und Holz verrottet, aber das ist ein langfristiger Prozess. Aus Biologen-Sicht muss der Anteil an Totholz im Wald erhöht werden, weil es für diverse Tiere und Pilzarten ein ganz wichtiger Lebensraum ist, außerdem als Wasserspeicher fungiert und, wenn es dann im Boden abgebaut ist, hilft, gesunden Boden aufzubauen. Aber klar, Holz, das im Wald liegt, zersetzt sich und wird über die Jahrzehnte das CO2 wieder freigeben. Aber was passiert sonst mit dem Kohlenstoff? Die Alternative ist: Das Holz wird geerntet und verbraucht. Wenn Sie es dann in den Kamin schmeißen, ist es die schlechteste Variante, dann ist es sofort wieder in der Luft. Auch Holz, das in Bau oder Möbeln eingesetzt wird, bindet Kohlenstoff ja nicht ewig.

Wie sieht der Wald der Zukunft aus, der CO2 optimal bindet?

Auf Grund der großen Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel auf uns zurollt, können wir nur schwer abschätzen, was das für die zukünftige Waldentwicklung bedeutet. Bisherige Analysen aus der Bundeswaldinventur zeigen, dass die CO2-Bindung pro Hektar am höchsten ist bei 20 bis 80 Jahre alten Waldbeständen. Aber auch sehr alte Bäume von über 160 Jahren fixieren noch deutlich mehr CO2 pro Hektar als neu angelegte Pflanzungen. Die Unterschiede der CO2-Fixierung pro Hektar und Jahr zum Beispiel zwischen Fichte, Eiche und Buche sind dagegen eher klein. Bisher haben mitteleuropäische Wälder höhere Raten der CO2-Fixierung als Wälder im trockeneren Mittelmeerklima.

Was müssen wir tun, um den Wald und unser Überleben zu sichern?

Wir müssen Treibhausgasemissionen reduzieren! Ich weise immer gerne darauf hin, dass der Sektor Verkehr der Einzige ist, der in den letzten 20 Jahren nicht die Bohne dazu beigetragen hat. Also da gibt es noch großes Potenzial. Für den Wald setzt die Waldbaustrategie NRW auf Risiko-Streuung: Wenn Flächen wieder aufgeforstet werden, müssen wir auf jedem Hektar mindestens vier verschiedene Baumarten unterschiedlicher Altersklassen mischen, so dass immer irgendetwas da ist, das überlebt, das System aufrechterhält und den anderen Arten ermöglicht, sich zu regenerieren.

Wieviel Raum braucht der Wald in Zukunft?

Es gibt im Naturschutz das Konzept der unzerschnitten, verkehrsarmen Räume, die rund 100 Quadratkilometer umfassen sollen. In Nordrhein Westfalen gibt es diese Räume praktisch nicht mehr. Sie werden von Straßen und Autobahnen überall zerschnitten.

Darf Wald für den Ausbau regnerativer Energien verschwinden?

Besser wäre es, Flächen, die für   Gewerbe und Industrie genutzt werden auch für diese Zwecke zu nutzen.

Haben Sie einen Lieblingsbaum?

Als Biodiversitätsforscher liegen mir natürlich alle 60 000 Baumarten dieser Erde am Herzen.