AboAbonnieren

Kranke BäumeSo steht es um die Wälder in Rhein-Sieg

Lesezeit 5 Minuten
Kahlschlag im Kottenforst: Gerade Fichten haben die Dürrejahre nicht überstanden.

Kahlschlag im Kottenforst: Gerade Fichten haben die Dürrejahre nicht überstanden.

Bundesweit sind vier von fünf Bäumen krank – Auch in der Region hat vor allem die Fichte Schaden genommen.

Der deutsche Wald ist gestresst, die Bäume in Deutschlands Wäldern leiden stark unter den Folgen der Klimakrise. Selbst trotz feuchten Wetters gibt es keine Entwarnung. Laut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der die bundesweite Waldzustandserhebung 2023 gerade vorstellt hat, ist nur jeder fünfte Baum gesund. Der Wald brauche eine Langzeit-Kur, sagt der Minister. Auch der Kronenzustand der Wälder, der alljährlich stichprobenartig analysiert wird, zeigt bei allen Arten eine sogenannte Verlichtung. Wie steht es um die Wälder in unserer Region?

Sebastian Tölle, Stadtförster in Rheinbach, ist noch einigermaßen entspannt. „Die Lage ist herausfordernd, aber wir haben noch alles im Griff“, sagt der Förster. Mehr als ein Viertel des Rheinbacher Stadtgebietes ist Wald, davon wiederum 830 Hektar Kommunalwald, der überwiegend von Laubholz geprägt ist. Ein großer Vorteil in Zeiten des Klimawandels: „Wir haben überwiegend Eichen und Buchen, und das seit fast 50 Jahren. Wir sind durch die Mischung gut aufgestellt.“ Der Stadtwald habe eine Vorreiterrolle, „es geht um Risikominimierung“, erklärt Tölle.

Eichen und Buchen verkraften Wassermangel deutlich besser als Fichten. „2018 war es so trocken, dass sie Schaden genommen haben, vor allem der Borkenkäfer hat den Fichten drei Jahre hintereinander zugesetzt.“ Selbst die Buchenwurzeln kamen nicht mehr klar, und auch die Eiche hat Schwierigkeiten. Das sei nicht flächendeckend so, aber es gebe auch in Rheinbach „nennenswerte Einzelbereiche“, so Tölle. Verluste in der Holzwirtschaft waren die Folge, teilweise musste zwangsgefällt werden, die Preise rutschten ab.

Blick in die Geschichte

Forstamt Rheinbach markiert Bäume mit weißem Dreieck. Förster Sebastian Tölle (41) mit Tagespraktikant Patrick Bohnhoff (17)

Mit einem weißen Dreieck markiert der Rheinbacher Staftörster Sebastian Tölle sogenannte Habitatbäume.

Warum es überhaupt so viele Fichten, die eigentlich im kühlen Bergklima zu Hause sind, auch in unseren Breiten gibt, erklärt ein Blick in die Geschichte. Forstdirektor Stephan Schütte (rundes Foto), Leiter des Regionalforstamtes Rhein-Sieg-Erft, dem zweitgrößten im ganzen Bundesland, weiß mehr: „Holz war früher der zentrale Heiz- und Rohstoff, bis die Kohle ihn ablöste. Die Wälder in Mitteleuropa sahen damals nicht gut aus“, erklärt Schütte. Im 19. Jahrhundert begann man in Mitteleuropa, den Brennstoff Holz zunehmend durch Braun- und Steinkohle zu ersetzen. Damit ließ der Nutzungsdruck, wie Schütte es nennt, für das Holz nach. „Anschließend haben die Preußen eine systematische Forstverwaltung mit Fichten und Kiefern aufgebaut und nachhaltige Forstwirtschaft betrieben.“

Bis zum Zweiten Weltkrieg: Die Alliierten haben hier „Holz als Kriegsschuld geerntet und verschifft, weil sie selbst keines mehr hatten“, erläutert Schütte. Weiterer Bedarf bestand während des Wiederaufbaus im von Schwerindustrie geprägten Bundesland Nordrhein-Westfalen. „700 000 Menschen arbeiteten unter Tage, es wurde Grubenholz gebraucht. Und das waren vor allem Fichten.“ Im großen Stil wurde aufgeforstet, die zweite große Fichtenwelle rollte an. Diese Bäume sind jetzt mehr als 60 Jahre alt und vom Borkenkäfer befallen. Die Schädlinge bohren Gänge unter der Borke, in denen sie sich fortpflanzen. „Der Käfer war schon immer ein Feind, aber 200 Jahre lang hat das gut funktioniert“, so Schütte. Ist der Baum aber von Trockenheit geschwächt, kann er kein Harz mehr produzieren, mit dem er die Käfer umschließt. Der Baum ist wehrlos.

Gerade im Trockenjahr 2018 wurde das zum Problem, weil sich die Käfer munter vermehren konnten. Aus einem Pärchen wurden so rund 3600 Tiere, rechnet Schütte vor, „im Jahrhundertsommer gab es bis zu vier Käfer-Generationen“. Die Folge: „Von 250 000 Hektar Fichtenwäldern waren 160 000 Hektar weg. Das ist wirklich dramatisch und kommt im Waldzustandsbericht gar nicht zum Ausdruck“, moniert Schütte. Die Fichte habe bundesweit einen Aderlass erlebt und sie „ist kein Baum der Zukunft mehr“, so der Forstdirektor.

Abkehr von Monokulturen

Die Langzeit-Kur, die Cem Özdemir dem Ökosystem Wald verordnen möchte, meint die Abkehr von Monokulturen hin zu Mischwäldern. „Genau das machen wir schon seit 40 Jahren“, unterstreicht Schütte. „Wir hatten die Vision, Fichtenwälder wieder aufzubauen, jetzt müssen wir die Kahlflächen aufforsten.“ Dafür gibt der Bund Fördermittel.

Vermehrt würden dazu hitzeresistentere Baumarten eingesetzt, denn die Wahl der Baumsorten bei Neupflanzungen spiele eine wichtige Rolle, damit diese auch zukünftig gegen die sich ändernden Bedingungen gewappnet sind. Sogenannte Klimabäume wie Traubeneiche, Feldulme oder Hainbuche, Flaumeiche und Esskastanie haben Eigenschaften, mit denen sie sich besonders gut an die Herausforderungen im urbanen Raum anpassen können. „Wir müssen weiter experimentieren“, sagt Schütte. Man müsse nur darauf achten, dass die Fremdpflanzen nicht invasiv würden, also Lebensräume, Arten oder Ökosysteme beeinträchtigten.

Gelitten haben auch Buchen und Eichen: „Sie haben jetzt eine geringere Wurzelmasse, die Regeneration dauert einige Jahre.“ Wenn Niederschläge fehlen, entledige sich die Buche ihrer Blätter vorzugsweise in der Krone, weil sie sie nicht mehr versorgen kann. Damit verliert sie aber auch ihren „Sonnenschirm“, die Rinde bekommt Sonnenbrand. „Die Buche ist noch mehr Sorgenkind als die Eiche“, sagt Schütte. Insgesamt funktioniere der Wechsel von Hoch- und Tiefdruckgebieten nicht mehr, „der Jetstream schlingert“, weiß Stephan Schütte: Sein Fazit: „Wir müssen in den kommenden 50 Jahren den Wald umbauen.“


Zahlen

830 Hektar Wald sind im Besitz der Stadt Rheinbach. Das ist ein großer Teil des Waldes im städtischen Einzugsgebiet. Denn von dem 6971 Hektar großen Territorium sind etwa 1850 Hektar Wald. Zirka 410 sind in Staatsbesitz, 600 Hektar in privaten Händen. Laubholz dominiert nach der statistischen Baumartenverteilung: 45 Prozent Eiche, 20 Buche, fünf Esche, Ahorn oder Kirsche, fünf Birke, Weide, Roteiche oder Pappel, sechs Fichte, zehn Douglasie oder Küstentanne, zwei Lärche, sieben Kiefer.

Diese Zahlen gelten aber für Bestände und geben nicht die tatsächliche Verteilung von Baumarten wieder, so dass die Buche der weit häufigste Baum im Stadtwald ist. Die ältesten Bäume sind Eichen. Einige von ihnen sind mehr als 100 Jahre alt und dürfen auch stehen bleiben, wenn sie längst von Tieren ausgehöhlt und als Quartier erobert wurden. (jr)